Die EU-Kommission hat am 17.11.2021 ihren Vorschlag für eine neue Abfallverbringungsverordnung vorgelegt. Der Vorschlag sieht für Verbringungen innerhalb der EU im Kern eine Beibehaltung der geltenden Strukturen vor. Neu ist unter anderem die verbindliche Einführung der elektronischen Kommunikation bei der Abwicklung von Notifizierungs- und Anhang VII-Verfahren, die Ausweitung der Regelungen über Verwertungsanlagen mit Vorabzustimmung und die Möglichkeit zur Klärung von Einstufungsfragen durch delegierte Rechtsakte. Wesentliche Verschärfungen soll es im Bereich der Abfallexporte in Drittstaaten außerhalb der EU geben. Insbesondere Exporte in Nicht-OECD-Staaten werden – wenn der Entwurf nicht im weiteren Gesetzgebungsverfahren noch geändert wird – künftig nur noch in seltenen Fällen zulässig sein.
Die EU-Abfallverbringungsverordnung regelt EU-weit einheitlich die verfahrensrechtlichen und materiellen Anforderungen an grenzüberschreitende Verbringungen von Abfällen. Sie gilt sowohl für Abfalltransporte innerhalb der EU als auch für Importe aus und Exporte in Drittstaaten. Aktuell ist die Verordnung (EG) Nr. 1013/2006 maßgeblich. Diese inzwischen 15 Jahre alte Verordnung soll nun durch eine neue Verordnung ersetzt werden. Den für die Einleitung des Rechtssetzungsverfahrens auf EU-Ebene erforderlichen Gesetzgebungsvorschlag hat die EU-Kommission am 17.11.2021 vorgelegt. Mit diesem Entwurf müssen sich nun zunächst das Europäische Parlament und anschließend der Ministerrat befassen.
Der von der Kommission vorgelegte Entwurf behält die systembildende Zweiteilung in Abfallverbringungen, die einer vorherigen Zulassung in einem Notifizierungsverfahren bedürfen, und solchen, die nur allgemeinen Informationspflichten (sog. Anhang VII-Verfahren) unterworfen werden, bei. Maßgebliches Abgrenzungskriterium für die Verfahrenszuordnung sind weiterhin die Abfalllisten in den Anhängen zur Abfallverbringungsverordnung (Anhänge III, IIIA und IIIB: grüne Liste; Anhang IV: gelbe Liste); beibehalten wird auch der Grundsatz, dass in keiner Liste aufgeführte Abfälle und Abfallgemische notifizierungspflichtig sind. Die Grundstrukturen des Abfallverbringungsrechts bleiben damit auch künftig erhalten.
Eine wesentliche Neuerung besteht in dem Vorschlag einer vollständigen Digitalisierung der abfallverbringungsrechtlichen Verfahren, die künftig – zwingend – über eine elektronische Plattform abgewickelt werden sollen. Dies betrifft sowohl notifizierungspflichtige als auch nicht notifizierungspflichtige Verbringungen. Vorgesehen ist, dass die EU-Kommission zu diesem Zweck ein zentrales System betreibt, welches die elektronische Übermittlung und den Austausch von Informationen und Unterlagen ermöglicht. Dieses zentrale System der EU-Kommission soll entweder als Drehkreuz für etwaige von den Mitgliedstaaten eingerichtete nationale Systeme dienen oder, wenn ein Mitgliedstaat kein nationales System einrichtet, unmittelbar von den zuständigen Behörden genutzt werden können.
Durch einen Datenaustausch über elektronische Plattformen würden einige im bisherigen Recht vorgesehene Verfahrensweisen obsolet. So wäre bei notifizierungsfreien Verbringungen das Anhang VII-Dokument nicht mehr während des Transports mitzuführen; vielmehr sieht der Entwurf vor, dass der Veranlasser das ausgefüllte Dokument spätestens einen Tag vor der Verbringung an die Plattform übermitteln und sicherstellen muss, dass die Informationen während des Transports den zuständigen Behörden elektronisch zur Verfügung stehen. Entsprechendes soll für die Begleitformulare bei notifizierungspflichtigen Verbringungen gelten.
Die – in der Praxis bisher wenig bedeutsame – Regelung über Anlagen mit Vorabzustimmung soll nach dem Willen der EU-Kommission erheblich ausgebaut werden. Danach wird künftig bei Erfüllung der Voraussetzungen ein Anspruch auf Erteilung der Vorabzustimmung bestehen; bisher handelte es sich um eine Ermessensentscheidung der zuständigen Behörde. Als Regeldauer für die Vorabzustimmung sieht der Entwurf sieben Jahre vor; die zuständige Behörde kann allerdings, ohne dass dafür besondere Voraussetzungen erfüllt sein müssten, einen abweichenden Zeitraum festlegen.
Sammelnotifizierungen zu einer Anlage mit Vorabzustimmung sollen künftig für drei Jahre gültig sein; bisher gibt es lediglich eine entsprechende Verlängerungsmöglichkeit, deren Gebrauch allerdings im behördlichen Ermessen steht. Eine Verkürzung der dreijährigen Geltungsdauer von Sammelnotifizierungen durch die für das Notifizierungsverfahren zuständigen Behörden ist in ,,hinreichend begründeten Fällen“ aber möglich; welche Gründe hierfür vorliegen müssen, wird in dem Entwurf nicht näher konkretisiert.
Wie bisher werden bei Notifizierungen von Verbringungen zu Anlagen mit Vorabzustimmung zudem bestimmte Verfahrensfristen verkürzt; dabei soll der Kreis der betroffenen Fristen ausgeweitet werden. Eine inhaltliche Reduzierung des Prüfungsumfangs im Notifizierungsverfahren ist mit der Verkürzung allerdings nicht verbunden. Zudem kann die zuständige Behörde am Bestimmungsort – ohne dass dies an nähere Voraussetzungen geknüpft wäre – entscheiden, dass mehr Zeit notwendig ist, um vom Notifizierenden weitere Informationen zu erhalten. Angesichts solcher „Schlupflöcher“ mag bezweifelt werden, dass die für Verbringungen zu Anlagen mit Vorabzustimmung erforderlichen behördlichen Zustimmungen künftig auf dem „fast track“ zu erlangen sind, zumal eine klare Regelung der Rechtsfolgen, die mit der Überschreitung von Fristen durch die Behörden verbunden sind, fehlt.
Erschwert werden soll durch den Entwurf – auch innerhalb der EU – die Verbringung von Abfällen zur Beseitigung. Daher ist für solche Abfälle jetzt erstmals ein grundsätzliches Verbringungsverbot vorgesehen. Mit einer Notifizierung kann eine solche Verbringung aber jedenfalls innerhalb der EU weiterhin zugelassen werden. Da schon bisher Verbringungen von Abfällen zur Beseitigung stets notifizierungspflichtig sind, ist die mit der Einführung eines grundsätzlichen Verbots von Verbringungen zur Beseitigung verbundene Neuerung eher rechtstechnischer Natur. Praktisch bedeutsamer dürfte deshalb sein, dass die Regelung der Einwandsgründe bei Abfällen zur Beseitigung umgestaltet werden soll. Der Notifizierende muss danach insbesondere nachweisen, dass die Beseitigung der Abfälle in dem Staat, in dem sie angefallen sind, ,,technisch nicht machbar und wirtschaftlich nicht tragfähig ist“ – gemeint sein dürfte: ,,oder“. Die Verbringung von Abfällen, die auch im Versandstaat in wirtschaftlich zumutbarer Weise beseitigt werden können, ist danach künftig nicht mehr zulässig.
Im Gegensatz zur bisherigen Rechtslage werden gemischte Siedlungsabfälle Abfällen zur Beseitigung nicht mehr gleichgestellt. Auch bei gemischten Siedlungsabfällen ist daher künftig zwischen der vorgesehenen Art der Entsorgung zu differenzieren. Handelt es sich dabei um eine Beseitigung, gilt ein absolutes Verbringungsverbot, welches – im Gegensatz zur Verbringung anderer Abfälle zur Beseitigung – nicht durch ein Notifizierungsverfahren überwunden werden kann. Ist eine Verwertung, z.B. eine energetische Verwertung in Form der Abfallverbrennung, vorgesehen, unterliegen Verbringungen gemischter Siedlungsabfälle künftig demgegenüber nicht mehr den Regelungen für die Verbringung von Abfällen zur Beseitigung, sondern den liberaleren Regeln für Abfälle zur Verwertung.
Im praktisch besonders wichtigen, da fehleranfälligen Bereich der Abfalleinstufung sieht der Entwurf den Erlass delegierter Rechtsakte durch die EU-Kommission vor, durch die zum Beispiel einheitliche Fremdstoffgrenzen geschaffen werden können. Nähere inhaltliche Vorgaben enthält der Entwurf für den Erlass solcher delegierter Rechtsakte indes nicht. Es ist daher nicht vorherzusehen, ob diese in der Tendenz eher zu einer Erleichterung von Abfallverbringungen innerhalb der EU führen werden oder eher zu einer Ausweitung des Notifizierungsverfahrens und damit zu weiteren Hemmnissen für den Binnenmarkt im Sekundärrohstoffsektor.
Weitreichende Veränderungen soll es im Bereich des Abfallexports aus der EU geben. Insoweit sind in dem Entwurf vor allem Erschwerungen vorgesehen:
Neu ist, dass der Nachweis einer umweltgerechten Behandlung am Zielort der Verbringung bei Exporten aus der EU künftig – unabhängig vom Zielland – durch Anlagenaudits erbracht werden soll. Die im Rahmen eines solchen Audits zu prüfenden Kriterien werden in einer neuen Anlage zur Abfallverbringungsverordnung geregelt; es erstreckt sich beispielsweise auf das Vorliegen der erforderlichen Genehmigungen nach dem nationalen Recht des Drittstaats, auf den sicheren und umweltgerechten Betrieb, auf das Vorhandensein der notwendigen Verfahren, Organisations- und Infrastrukturen für die Behandlung der betreffenden Abfälle, auf das Vorhandensein von Versicherungen zur Abdeckung potenzieller Risiken, auf den Umgang mit Restabfällen, auf die Gewährleistung der Rückverfolgbarkeit aller in der Anlage eingegangenen und behandelten Abfälle sowie auf die Einsparung von Energie und die Reduzierung von Treibhausgasen. Das Anlagenaudit muss mindestens alle drei Jahre wiederholt werden. Letztlich können solche Audits nur vom Anlagenbetreiber selbst in Auftrag gegeben werden; denn bei den zu prüfenden Fragen handelt es sich weitestgehend um Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse, die der Anlagenbetreiber seinen Geschäftspartnern in der Regel nicht offenlegen wird. Allerdings hat der Anlagenbetreiber an der Durchführung solcher Audits ein eigenes wirtschaftliches Interesse, weil ihm nur dadurch die Möglichkeit eröffnet wird, Abfälle aus der EU zu importieren.
Bei Abfallexporten in OECD-Drittstaaten soll künftig ein Überwachungsmechanismus eingreifen: Die EU-Kommission will anhand der in den abfallverbringungsrechtlichen Verfahren generierten Informationen, die künftig elektronisch verfügbar sein werden, fortwährend den Umfang der Abfallexporte in OECD-Drittstaaten überwachen. Bei einer erheblichen Zunahme innerhalb kurzer Zeit wird der Drittstaat aufgefordert, seine Fähigkeit zur umweltgerechten Behandlung nachzuweisen. In der Regel ist dafür eine Frist von 60 Tagen vorgesehen. Werden die Nachweise nicht erbracht, darf die Kommission die Exporte in diesen Drittstaat verbieten. Sollte diese Regelung Gesetz werden, müssten sich Unternehmen, die Abfälle in OECD-Staaten verbringen, künftig also auf den Erlass kurzfristiger Verbringungsverbote einstellen. Bei langfristigen Geschäftsbeziehungen wird es erforderlich sein, diese Möglichkeit bei der Ausgestaltung des zugrunde liegenden Vertrags zu berücksichtigen. Bei kurzfristigen Handelsgeschäften empfiehlt es sich, dass sich die betroffenen Unternehmen zumindest darüber informieren, ob die Kommission bereits ein Nachweisverlangen an den Zielstaat gerichtet hat und deshalb mit einem zeitnahen Verbot gerechnet werden muss.
Grundlegende Änderungen sieht der Entwurf für die Verbringung von Abfällen in Nicht-OECD-Staaten vor. Bisher ist nur der Export von Abfällen mit besonderem Gefahrenpotenzial – unter anderem gelb gelistete Abfälle und im EU-Abfallverzeichnis als gefährlich eingestufte Abfälle – in Nicht-OECD-Staaten verboten. Andere Abfälle, insbesondere solche der grünen Liste, dürfen demgegenüber grundsätzlich verbracht werden; der betroffene Drittstaat hat aber ein Wahlrecht bezüglich des anzuwendenden Verfahrens, wobei er sich auch für ein Verbot der Verbringung entscheiden kann. Künftig soll für die grün gelisteten Abfälle ebenfalls ein grundsätzliches Ausfuhrverbot in Nicht-OECD-Staaten gelten. Um dem zu entgehen, muss der betroffene Drittstaat einen Antrag bei der EU-Kommission stellen und – vereinfacht gesagt – nachweisen, dass er zu einer umweltgerechten Verwertung in der Lage ist. Die Kommission prüft dann diese Angaben und nimmt den Staat sowie die für den Export zugelassenen Abfälle gegebenenfalls in eine Liste auf, die regelmäßig aktualisiert werden soll. Für eine Verbringung, die nach dieser Liste zulässig ist, gilt dann grundsätzlich das Anhang VII-Verfahren, es sei denn, der Drittstaat hat in seinem Antrag angegeben, dass eine Verbringung nur mit einem Notifizierungsverfahren zulässig sein soll.
Im praktischen Ergebnis wird dies bedeuten, dass Exporte in Nicht-OECD-Staaten nur noch in seltenen Fällen zulässig sein werden. Bereits heute wirken die Drittstaaten nicht immer in der im Unionsrecht vorgesehenen Weise an der Ermöglichung von Verbringungen mit. So hat beispielsweise jüngst China die Aufforderung der EU-Kommission, die gegenwärtig in der Abfallverbringungsverordnung noch vorgesehene Wahl der Kontrollverfahren für grün gelistete Abfälle zu treffen, unbeantwortet gelassen. Folge dieser Untätigkeit ist, dass nach der kürzlich in Kraft getretenen neuen Drittstaatenverordnung alle Verbringungen nach China notifizierungspflichtig sind. Künftig werden die Mitwirkungserfordernisse für die Drittstaaten noch deutlich verschärft: Das Antragserfordernis führt dazu, dass die Initiative von dem jeweiligen Drittstaat ausgehen muss; eine Aufforderung durch die Kommission wird es also nicht mehr geben. Die strengen Nachweispflichten sind zudem alle fünf Jahre erneut zu erfüllen. Letztlich wird ein Drittstaat von der Möglichkeit, sich von der Kommission in die Liste der zulässigen Exportländer eintragen zu lassen, nur dann Gebrauch machen, wenn er ein profundes eigenes staatliches Interesse am Import der fraglichen Abfälle hat.
Schließlich sieht der Entwurf vor, dass die EU-Kommission künftig selbst – neben den primär zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten – Inspektionen von Anlagen, Unternehmen, Maklern und Händlern durchführt. Diese Möglichkeit gilt allgemein für alle Arten der Verbringung, also auch für innereuropäische Verbringungen. Ob dadurch im Ergebnis – wie beabsichtigt – ein nennenswerter Beitrag zu einer verbesserten Bekämpfung krimineller Abfallverbringungen geleitstet wird, ist allerdings fraglich. Denn es ist durchaus zweifelhaft, ob die EU-Kommission dazu besser als die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten, die auf dem Gebiet der Abfallverbringung bereits über eine lange Erfahrung verfügen, in der Lage sein wird.
Quelle: Köhler & Klett Rechtsanwälte
Das dazu gehörige Fachseminar ist in der Seminarwelt des IWU Magdeburg auffindbar.