Keine staats- und haftungsrechtlichen Ansprüche für Altanschließer in Brandenburg

Die 2. Kammer des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) hat mit Beschluss vom 01.07.2020 – 1 BvR 2838/19 – die Rechtsprechung des OLG Brandenburg (BbgOLG) bestätigt, das im Anschluss an die Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 27.06.2019 – III ZR 93/18 – in den sog. Altanschließerfällen eine vom Oberverwaltungsgericht (OVG) Brandenburg abweichende Auffassung zum Entstehen der Beitragspflicht nach alter Rechtslage vertreten hatte. Das BbgOLG hielt eine von Eigentümern eines vor dem 01.01.2000 angeschlossenen Grundstücks erhobene Beitragsforderung – entgegen dem Beschluss des BVerfG aus dem Jahr 2015 – für rechtmäßig. Die BVerfG hat jetzt entschieden, dass in einem Rechtsstreit vor der Zivilgerichtsbarkeit keine Verpflichtung der Gerichte besteht, sich der Rechtsprechung der Verwaltungsgerichtsbarkeit zur Erhebung von Anschlussbeiträgen anzuschließen.

Der nunmehr durch das BVerfG entschiedene Musterfall bezieht sich auf ein in Brandenburg belegenes Grundstück, das vor dem Jahr 2000 an das kommunale Trinkwassernetz angeschlossen wurde. Der zuständige Zweckverband hatte im Jahr 2011 einen Anschlussbeitrag festgesetzt, den er auf eine – unwirksame – Beitragssatzung in Verbindung mit dem zum 01.02.2004 geänderten § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG Bbg stützte. Nach § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG Bbg in der neuen Fassung (n.F.) sollte die Verjährung erst mit Beschluss einer rechtswirksamen Satzung beginnen. Dies hatte zur Folge, dass der streitgegenständliche Beitragsbescheid nicht der Festsetzungsverjährung unterfiel. Nach erfolglosem Widerspruch zahlten die Grundstückseigentümer die festgesetzte Summe; eine Klage erschien zu diesem Zeitpunkt aussichtslos, weil § 8 Abs. 7 KAG Bbg n.F. in anderen Verfahren bereits für verfassungskonform erachtet worden war.

Mit Kammerbeschluss des BVerfG vom 12.11.2005, 1 BvR 2961/14 wurde dann entschieden, dass die Änderung des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG Bbg zu einer rechtsstaatlich unzulässigen echten Rückwirkung führte. Die Grundstückseigentümer beantragten erfolglos das Wiederaufgreifen des Verfahrens und die Rückzahlung des Betrages. Mit ihrer anschließend erhobenen Klage vor den Zivilgerichten verlangten sie die Rückzahlung des entrichteten Anschlussbeitrags auf der Grundlage eines auf das Staatshaftungsgesetz des Landes Brandenburg sowie § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG gestützten Schadenersatzanspruchs. Das BbgOLG wies die Klage im Berufungsverfahren zu Gesch.Z. 2 U 21/17 ab. Der BGH hob das Berufungsurteil mit Revisionsurteil vom 27.6.2019 – III ZR 93/18 – auf und verwies den Rechtsstreit an das BbgOLG zurück, das die Klage daraufhin mit Urteil vom19.11.2019 – 2 U 21/17 – erneut abwies.

Die Beschwerdeführer machten im Verfassungsbeschwerdeverfahren insbesondere geltend, dass sich das BbgOLG und der BGH in verfassungsrechtlich unzulässiger Weise über die Rechtsprechung des BVerfG und des OVG Brandenburg zur Zulässigkeit der Erhebung von Anschlussbeiträgen für vor dem 01.01.2000 angeschlossene Grundstücke hinweggesetzt haben. Die angegriffenen Entscheidungen verstießen daher gegen Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG sowie gegen Art. 3 Abs. 1 GG.

Das BVerfG erachtete die Verfassungsbeschwerde jedoch bereits für unzulässig, weil insofern keine unmittelbare Betroffenheit der Beschwerdeführer durch das BGH-Urteil vorliege und es daher an der erforderlichen Beschwerdebefugnis fehle. Denn die Beschwerdeführer würden durch die BGH-Entscheidung nicht unmittelbar in ihren im Verfassungsbeschwerdeverfahren rügefähigen Rechten betroffen. Angesichts des Erfolgs ihrer Revision und der damit verbundenen Rückverweisung werde vielmehr erst durch das erneut klageabweisende Urteil des BbgOLG vom19.11.2019 in ihre Rechtsstellung eingegriffen.

Soweit die Beschwerdeführer das Urteil des BbgOLG vom 19.11.2019 angreifen, ist die Verfassungsbeschwerde zwar zulässig, aber unbegründet. Insbesondere wurde die Bindungswirkung des BVerfG-Beschlusses durch das BbgOLG nicht in verfassungswidriger Weise missachtet. Zwar sei das BVerfG in seinem Beschluss vom 16.11.2015 von einer konstitutiven Änderung der Rechtslage durch § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG Bbg n.F. ausgegangen. Zu diesem Ergebnis sei das Gericht jedoch nur vor dem Hintergrund gelangt, dass § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG Bbg in der alten Fassung (a.F.) von den Verwaltungsgerichten vertretbar in einem Sinn ausgelegt wurde, der mit der Neuregelung ausgeschlossen werden sollte. Insofern sei es dem BbgOLG und auch dem BGH nicht verwehrt gewesen, eine andere – ebenso methodisch vertretbare – Auslegung von § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG Bbg a.F. vorzunehmen. Die Zivilgerichte müssten der verwaltungsgerichtlichen Auslegung diesbezüglich gerade nicht folgen. Das BbgOLG habe sich in der Sache den Ausführungen des BGH angeschlossen und damit eine eigenständige, von den Verwaltungsgerichten abweichende Auslegung des § 8 Abs. 7 Satz 2 KAG Bbg a.F. vertreten. Verfassungsrechtlich sei diese Auslegung weder zu beanstanden noch sei das BbgOLG dazu verpflichtet, sich der Rechtsprechung des OVG Brandenburg anzuschließen.

Auch die zeitliche Obergrenze für den Vorteilsausgleich sei verfassungskonform. Das BVerfG hat insofern entschieden, dass die zugleich angegriffene Regelung in § 19 Abs. 1 Satz 3 KAG Bbg nicht gegen das Gebot der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes verstößt. Das Rechtsstaatsprinzip schütze in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsklarheit und –vorhersehbarkeit davor, dass lange zurückliegende und abgeschlossene Vorgänge unbegrenzt zur Anknüpfung neuer Lasten herangezogen werden können. Der Gesetzgeber sei bei der Erhebung von Beiträgen verpflichtet, Verjährungsregelungen zu treffen oder jedenfalls im Ergebnis sicherzustellen, dass Beiträge nicht unbegrenzt nach Erlangung des Vorteils festgesetzt werden können. Dabei stehe ihm ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Sowohl die in § 19 Abs. 1 Satz 3 KAG Bbg geregelte Hemmung der Frist infolge der Deutschen Einheit als auch die aus § 19 Abs. 1 Sätze 1 und 3 KAG Bbg resultierende Maximalfrist von 25 Jahren hielten sich in Anbetracht der Sondersituation der neuen Länder und angesichts des in die Zukunft fortwirkenden Vorteils eines Anschlusses an Trinkwasserversorgungs- und Abwasserbeseitigungsanlagen noch im Rahmen gesetzgeberischer Einschätzung.

Im Übrigen begründe der Umstand, dass das BbgOLG der Rechtsprechung des OVG Brandenburg nicht gefolgt sei, nicht den Vorwurf eines Verstoßes gegen das sich aus Art. 3 Abs. 1 GG ergebene Willkürverbot.

Der Beschluss des BVerfG vom 01.07.2020 stellt einen weiteren wichtigen Schritt zur Ordnung der im Land Brandenburg über die letzten 30 Jahre entstandenen Problematik der sogenannten „Altanschließer“, d.h. der bereits zu DDR-Zeiten bis einschließlich 31.12.1999 erstmalig an leitungsgebundene Anlagen der Wasserversorgung oder Abwasserbeseitigung angeschlossenen Grundstücke, dar.

Quelle: Köhler & Klett Rechtsanwälte

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert