Mit Beschluss vom 22.05.2019 – 22 CS 18.2247 – hat sich der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (VGH) im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes mit der Frage befasst, unter welchen Voraussetzungen ein nach dem Bundes Immissionsschutzgesetz (BImSchG) genehmigungsbedürftiger Schrottplatz in einem durch Bebauungsplan ausgewiesenen Gewerbegebiet zulässig ist. Der Beschluss des VGH zeigt (einmal mehr), welche Schwierigkeiten die rechtliche Beurteilung der Frage der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit eines Schrottplatzes in einem Gewerbegebiet unter dem Gesichtspunkt der Atypik mit sich bringen kann.
Der Entscheidung des VGH liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Der Beigeladenen war im April 2018 unter Anordnung des Sofortvollzugs durch den Antragsgegner, dem Landratsamt Aschaffenburg, die Genehmigung nach § 4 BImSchG für die Errichtung und den Betrieb einer Abfallentsorgungsanlage erteilt worden. Die Anlage umfasst die zeitweilige Lagerung von Eisen- und Nichteisenschotten mit einer Gesamtlagerkapazität von 1.495 t, die zeitweilige Lagerung von nicht gefährlichen Abfällen mit einer Gesamtlagerkapazität von 100 t sowie die sonstige Behandlung (Sortieren) von nicht gefährlichen Abfällen mit einer Durchsatzleistung von 100 t/Tag.
Das Betriebsgelände, das nach der Betriebsbeschreibung eine Größe von 900 m² Hoffläche sowie 1.535 m² Hallenfläche bei einer Geländefläche von insgesamt 3.761 m² aufweist, soll in 3 Betriebseinheiten aufgeteilt werden, wobei in einer Betriebseinheit die Eingangs- und Ausgangserfassung der Stoffströme sowie in einer weiteren, nicht abgeschlossenen Betriebseinheit die Lagerwirtschaft für Eisenabfälle und Schotte erfolgt und sich in einer dritten Betriebseinheit, einer dreiseitig umschlossenen Halle, der Lager- und Behandlungsbereich für Nichteisenmetalle einschließlich größenveränderlicher Boxen und eine 3-t-Waage sowie Fahr- und Rangierbereiche befinden. Die Abfallbehandlung soll durch Sortierung von nicht gefährlichen Abfällen vermittels Greifbagger und Stapler stattfinden. Eine mechanische Behandlung, etwa in Form der Zerkleinerung, ist nicht vorgesehen. Der An- und Abfahrtsverkehr beträgt arbeitstägig max. 15 Pkw/Kleintransporter und 6 Lkw. Die Betriebszeit ist Montag bis Samstag jeweils von 7:00 bis 19:00 Uhr.
Der Antragsteller ist Eigentümer eines ca. 170 m vom Standort der Beigeladenen entfernt gelegenen Grundstücks. Dieses Grundstück und der Anlagenstandort der Beigeladenen liegen im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, der für diesen Bereich ein Gewerbegebiet ausweist.
Das vorinstanzlich mit dem Vorgang befasste Verwaltungsgericht Würzburg hatte dem Antrag des Antragstellers, die aufschiebende Wirkung seiner Klage gegen die der Beigeladenen erteilte BImSchG-Genehmigung wiederherzustellen, mit Beschluss vom 22.10.2018 stattgegeben, und zur Begründung ausgeführt:
Der Antragsteller könne sich als Eigentümer eines im Plangebiet belegenen Grundstücks erfolgreich auf seinen Gebietserhaltungsanspruch berufen. Denn die nach dem BImSchG genehmigte Entsorgungsanlage der Beigeladenen genüge nicht den Anforderungen des § 8 Abs. 1 BauNVO. Danach sind im Gewerbegebiet nur „nicht erheblich belästigende Gewerbebetriebe“ zulässig. Bei der Anlage der Beigeladenen handele es sich aber um einen erheblich belästigenden Betrieb. Dies ergebe sich u.a. daraus, dass die nach dem BImSchG genehmigte Anlage der Beigeladenen mit einer Gesamtlagerkapazität von 1.495 t Eisen- und Nichteisenschrotten deutlich über dem genehmigungsrechtlich relevanten Schwellenwert von 100 t liege; gleiches gelte für die Behandlung (Sortierung) von nicht gefährlichen Abfällen. Die angelieferten Eisen- und Nichteisenschrotte hätten zudem ein erhöhtes Störpotenzial, wenn sie auf-, ab- oder umgeladen würden. Zudem sei die Halle nicht vollständig geschlossen.
Daher und weil ein beachtlicher An- und Abfahrtsverkehr durch Pkw und Lkw gegeben sei, zeichne sich der Betrieb der Beigeladenen nicht durch eine Atypik aus, die eine Gewerbegebietsverträglichkeit zur Folge haben könnte. Eine solche Atypik sei nur dann anzunehmen, wenn der Betrieb nach seiner Art und Betriebsweise von vornherein keine erheblichen Belästigungen befürchten lasse und damit seine Gewerbegebietsverträglichkeit dauerhaft und zuverlässig sichergestellt sei. Dafür müsse es sich um ein vom branchenüblichen Erscheinungsbild abweichendes Vorhaben handeln, bei dem anzunehmen sei, dass der Betrieb diesen atypischen Charakter auch künftig behalten werde. Derartige Aspekte seien hier jedoch nicht zu erkennen. Insbesondere fänden lärm- und staubintensive Ablade- und Umschichtungsarbeiten nicht ausschließlich in einer abgeschlossenen Halle oder einer Einhausung statt, sondern zu wesentlichen Teilen im Freien.
Auf die gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 22.10.2018 gerichtete Beschwerde der Beigeladenen hat der VGH den vorbezeichneten Beschluss aufgehoben und den Antrag des Antragstellers auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner gegen den immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbescheid erhobenen Klage abgelehnt. Zur Begründung führt der VGH aus:
Entgegen der Auffassung der Beigeladenen sei die ihr erteilte immissionsschutzrechtliche Genehmigung nicht offensichtlich rechtmäßig. Denn das Verwaltungsgericht Würzburg habe unter Zugrundelegung einer typisierenden Betrachtungsweise zutreffend auf Aspekte hingewiesen, wonach der Betrieb der Beigeladenen ein im Gewerbegebiet unzulässiges Störpotenzial habe. Insoweit nennt der VGH unter anderem die aus seiner Sicht erhebliche Gesamtlagerkapazität sowie das lärmträchtige Sortieren.
Allerdings ergeben sich aus Sicht des VGH auch Aspekte, die die Annahme einer Atypik rechtfertigen könnten: So sei das Betriebsgelände zu einem nicht unerheblichen Teil mit einer dreiseitig umschlossenen Halle eingehaust. Dies sowie der Umstand, dass die Annahme bzw. Abholung der Abfälle in der Halle oder in dreiseitig geschlossenen Schüttboxen stattfindet, führe zu einer Minimierung der Immissionen an den maßgeblichen Immissionssorten. Dazu trage auch eine 3 m hohe Betonblockwand bei. Dass die Halle nicht völlig geschlossen bzw. zu schließen sei, ändere nichts an ihrer lärmmindernden Wirkung im Vergleich zu einem kritischen Lagerplatz „unter freiem Himmel“. Im Übrigen sei – entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts Würzburg – kein beachtlicher An- und Abfahrtsverkehr durch Pkw und Lkw gerade auch im Vergleich zu den umliegenden Gewerbebetrieben und im Vergleich mit den in der Rechtsprechung zitierten Fallgestaltungen gegeben.
Insgesamt lasse sich daher eine zweifelsfreie Aussage über die Gewerbegebietsverträglichkeit des Vorhabens der Beigeladenen unter dem Gesichtspunkt der Atypik im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes nicht gegeben; der Ausgang des Hauptsacheverfahrens stelle sich daher als offen dar. Daher hat der VGH München eine Interessenabwägung vorgenommen mit dem Ergebnis, dass das Interesse des Antragstellers an der Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage hinter dem Interesse der Beigeladenen am weiteren Vollzug der ihr erteilten BImSchG-Genehmigung zurückstehen müsse. Denn unmittelbare Beeinträchtigungen schwerer oder gar unzumutbarer Art zum Nachteil des Antragstellers seien durch den Betrieb der Beigeladenen bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache nicht zu befürchten.
Die Entscheidung des VGH zeigt einmal mehr die Schwierigkeiten, die die Prüfung der Gewerbegebietsverträglichkeit eines nach dem BImSchG genehmigten Schrottplatzes unter dem Gesichtspunkt der Atypik aufwerfen kann. Der Nachweis, dass und warum im konkreten Einzelfall ein Vorhaben von dem „typischen“ Erscheinungsbild abweicht, erfordert unter Umständen erheblichen argumentativen Aufwand und ist oftmals mit gewissen Wertungsspielräumen verbunden. Speziell zu dem insoweit immer wieder auftauchenden und auch von dem VGH München aufgeworfenen Gesichtspunkt der Überschreitung der einschlägigen Mengenschwellen der 4. BImSchV ist allerdings anzumerken, dass allein der Umstand, dass die Mengenschwellen für ein förmliches Genehmigungsverfahren knapp unterschritten sind, der Annahme einer Atypik nicht im Wege steht, wenn und soweit der Betrieb im Übrigen – d. h. nach seiner konkreten Betriebsweise – kein erhebliches Störungspotenzial mit sich bringt.
Quelle: Köhler & Klett Rechtsanwälte
Das dazu gehörige Fachseminar ist in der Seminarwelt des IWU Magdeburg auffindbar.
Schrottplatz im Gewerbegebiet („Atypik“)