Abfallverbringung: Grenzen des Autarkieeinwandes

Nach der EG-Abfallverbringungsverordnung (Verordnung (EG) Nr. 1013/2006 – VO 1013/2006) haben die zuständigen Behörden die Möglichkeit, aus bestimmten Gründen Einwände gegen eine notifizierte Abfallverbringung zu erheben. Die zulässigen Einwandsgründe sind in Art. 11 und 12 VO 1013/2006 geregelt. Während Art. 12 Abs. 1 VO 1013/2006 einen Katalog von Einwänden gegen die Verbringung von zur Verwertung bestimmten Abfällen beinhaltet, enthält Art. 11 Abs. 1 VO 1013/2006 einen abschließenden Katalog von Einwänden gegen die Verbringung von zur Beseitigung bestimmten Abfällen. Bei Abfällen, die zur Beseitigung bestimmt sind, können Einwände nach Art. 11 Abs. 1 Buchstabe a) und g) VO 1013/2006 unter anderem auf den Grundsatz der Entsorgungsautarkie gestützt werden; dieses Prinzip besagt, dass die Beseitigung von Abfällen grundsätzlich in dem Mitgliedstaat erfolgen muss, in dem die Abfälle anfallen. 

Mit den rechtlichen Grenzen solcher Einwände hat sich jüngst in einem Beschluss vom 27.10.2020 (Az. 2 L 8/20) das Oberverwaltungsgericht Magdeburg (OVG) auseinandergesetzt und insbesondere zum Verhältnis von Art. 11 Abs. 1 Buchstabe a) und g) VO 1013/2006 Stellung genommen. Für Abfälle zur Verwertung gilt – mit Ausnahme von gemischten Siedlungsabfällen aus privaten Haushaltungen, die Beseitigungsabfällen gleichgestellt sind – der Grundsatz der Entsorgungsautarkie nicht, sodass es für diese auch keinen entsprechenden Einwandsgrund gibt.

Sachverhalt

In dem vom OVG entschiedenen Fall stritten die Beteiligten über die Zulässigkeit einer Verbringung von gefährlichen Abfällen von Italien nach Sachsen-Anhalt.

Die Klägerin entsorgt Gleisschotter für eine italienische Firmengruppe. Im Mai 2017 schloss sie mit der in Sachsen-Anhalt ansässigen Firma P. einen Vertrag über die technischen und organisatorischen Bedingungen der Annahme und Beseitigung von 10.000 Tonnen asbesthaltigem Gleisschotter (AVV-Schlüssel 17 05 07*). Die Firma P. verpflichtete sich in diesem Vertrag, die Beseitigung auf ihrer eigenen, für solche Abfälle genehmigten Deponie durchzuführen.

Dementsprechend reichte die Klägerin eine Notifizierung für die geplante Verbringung des asbesthaltigen Gleisschotters aus Italien nach Sachsen-Anhalt ein. In den Notifizierungsunterlagen führte sie aus, dass es in Italien nur eine Deponie gäbe, die in der Lage sei die Abfälle anzunehmen, und daher auch die Notwendigkeit einer Entsorgung im Ausland bestehe.

Das für Abfallverbringungen im Land Sachsen-Anhalt zuständige Landesverwaltungsamt erteilte die erforderliche Zustimmung zu dieser Abfallverbringung jedoch nicht, sondern erhob auf Art. 11 Abs. 1 Buchst. g) Ziff. i) – iii) VO 1013/2006 gestützte Einwände.

Die dagegen erhobene Klage der Klägerin beim Verwaltungsgericht Halle hatte Erfolg.

Entscheidung des Verwaltungsgerichts

Das Verwaltungsgericht hat entschieden, dass die Versagung der Zustimmung zu der angezeigten Verbringung rechtswidrig und der Beklagte verpflichtet war, die beantragte Zustimmung zu erteilen. Das Gericht hat dabei insbesondere darauf abgestellt, dass der Beklagte die Einwände nach Art. 11 Abs. 1 Buchst. g) Ziff. i) – iii) VO 1013/2006 zu Unrecht erhoben hat.

Mit Blick auf den Autarkieeinwand des Art. 11 Abs. 1 Buchst. g) Ziff. i) VO 1013/2006 führt das Gericht aus, dass das Autarkieprinzip grundsätzlich auch Importverbote rechtfertigen könne. Allerdings sei die Einwanderhebung unter Bezugnahme auf ein abstrakt-generelles Importverbot nur nach Art. 11 Abs. 1 Buchst. a) VO 1013/2006 zulässig, nicht auf Grundlage von Art. 11 Abs. 1 Buchst. g) Ziff. i) VO 1013/2006. Die Anwendungsbereiche beider Einwandsgründe grenzt das Verwaltungsgericht wie folgt voneinander ab:

Art. 11 Abs. 1 Buchst. a) VO 1013/2006 ermächtige die Mitgliedsstaaten auf einer ersten Stufe zum Erlass abstrakt-genereller Maßnahmen zur Umsetzung der Grundsätze der Nähe, des Vorrangs der Verwertung und der Entsorgungsautarkie. Auf der zweiten Stufe ermögliche die Regelung eine Einwanderhebung der Mitgliedsstaaten, wenn eine Verbringung nicht mit diesen abstrakt-generellen Maßnahmen übereinstimme.

Die Erhebung des Autarkieeinwandes in Art. 11 Abs. 1 Buchst. g) Ziff. i) VO 1013/2006 hingegen setze keine vorherige Konkretisierung des Autarkieprinzips durch eine abstrakt-generelle Regelung voraus, berechtige aber auch nicht zur Erhebung abstrakt-genereller Einwände. Art. 11 Abs. 1 Buchst. g) Ziff. i) VO 1013/2006 setze vielmehr voraus, dass die Behörde im konkreten Einzelfall darlege, dass die Erhebung des Einwandes erforderlich sei, um dem Grundsatz der Entsorgungsautarkie insbesondere unter der Berücksichtigung der geographischen Lage oder der Notwendigkeit besonderer Anlagen Genüge zu tun. Importbeschränkungen müssten gerade erforderlich sein, um die Verdrängung inländischer Abfälle aus inländischen Anlagen zu verhindern. Die Behörde müsse daher darlegen, dass durch eine geplante Abfallverbringung eine Verdrängung inländischer Abfälle konkret zu befürchten sei. Dies habe der Beklagte nicht in ausreichendem Maße getan; insbesondere sei der bloße generelle Wunsch, inländische Anlagen für inländische Abfälle freizuhalten, nicht ausreichend.

Andere Einwände als den Autarkieeinwand sah das Verwaltungsgericht auch nicht als gegeben an:

Im Hinblick auf das Näheprinzip in Art. 11 Abs. 1 Buchst. g) Ziff. ii) VO 1013/2006 sei ebenfalls eine konkrete Darlegung der Umstände zu verlangen. Ausländische Abfälle könnten nur abgelehnt werden, wenn die Zielanlage behördlicherseits für näherliegend angefallene Abfälle reserviert worden sei. Die Behörde müsse daher darlegen, welche Abfälle die betreffende Anlage konkret zu beseitigen habe. Diese Anforderungen habe der Beklagte nicht erfüllt. Das Näheprinzip hat nach Auffassung des Gerichts zwar eine andere Zielrichtung als das Autarkieprinzip, da es auf mitglieds-staatliche Grenzen keine Rücksicht nehme. Nicht zulässig sei es jedoch, dass sich der Bestimmungsstaat darauf berufe, dass im Herkunftsstaat eine näher gelegene Anlage vorhanden sei, da dies in der Verantwortung des Herkunftsstaates liege.

Der Planeinwand in Art. 11 Abs. 1 Buchst. g) Ziff. iii) VO 1013/2006 setzt nach Auffassung des Gerichts neben dem Bestehen eines Abfallwirtschaftsplanes voraus, dass die beabsichtigte Verbringung gerade nicht im Einklang mit diesem steht. Mit dieser Vorschrift erfolge eine Verzahnung des Verbringungsrechts mit der innerstaatlichen Abfallwirtschaftsplanung. Es könne vorliegend dahinstehen, ob der Abfallwirtschaftsplan für verbindlich erklärt worden sei, da bereits nicht ersichtlich sei, dass die geplante Verbringung dem Plan zuwiderliefe. Der Beklagte habe die Voraussetzungen des Planeinwandes nicht darlegen können, insbesondere weil der Abfallwirtschaftsplan grundsätzlich vom Vorhandensein von Abfallimporten ausgehe.

Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts

Gegen diese Entscheidung des Verwaltungsgerichts hat das beklagte Land Sachsen-Anhalt beim OVG einen Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt und maßgeblich eingewendet, das Verständnis des Verwaltungsgerichts hinsichtlich des Verhältnisses der Einwandtatbestände in Art. 11 Abs. 1 Buchst. a) VO 1013/2006 und in Art. 11 Abs. 1 Buchst. g) Ziff. i) VO 1013/2006 sei nicht überzeugend. Art. 11 Abs. 1 Buchst. g) Ziff. i) VO 1013/2006 verlange nur, dass eine Berücksichtigung der geografischen Gegebenheiten oder der Notwendigkeit besonderer Anlagen für bestimmte Abfälle erfolge, mithin eine Abwägung stattfinde. Für eine weitergehende Differenzierung bestehe kein Anlass. Mit Blick auf den Näheeinwand in Art. 11 Abs. 1 Buchst. g) Ziff. ii) VO 1013/2006 habe das Verwaltungsgericht fehlerhaft für entscheidend gehalten, ob bereits konkrete Auswirkungen zu erwarten seien. Die Regelung erfordere auch einen zeitlichen Vorlauf.

Außerdem rügt der Beklagte, dass sich die Regelung in Art. 11 Abs. 1 Buchst. g) Ziff. iii) VO 1013/2006 nicht auf eine Übereinstimmung mit Handlungsvorgaben und Beachtung von Verboten reduzieren lasse. Es genüge vielmehr, dass die geplante Verbringung den Annahmen zuwiderlaufe, die als Planungsgrundlage in den Abfallwirtschaftsplan eingeflossen seien.

Diese Einwände greifen nach Auffassung des OVG allerdings nicht durch. Das OVG hat den Antrag auf Zulassung der Berufung daher zurückgewiesen und somit die Entscheidung des Verwaltungsgerichts bestätigt.

Im Hinblick auf die Abgrenzung der Einwände in Art. 11 Abs. 1 Buchst. a) VO 1013/2006 und in Art. 11 Abs. 1 Buchst. g) Ziff. 1) VO 1013/2006 folgt das OVG der Auffassung des VG. Art. 11 Abs. 1 Buchst. g) Ziff. 1) VO 1013/2006 setze keine vorherige Konkretisierung des Prinzips der Entsorgungsautarkie durch abstrakt-generelle Maßnahmen auf gemeinschaftlicher oder nationaler Ebene voraus, verlange gleichzeitig aber, dass geographische Besonderheiten und die Notwendigkeit besonderer Anlagen für bestimmte Abfallarten berücksichtigt würden. Zwar erlaube der Einwand sehr weitgehende Beschränkungen, diese müssten aber im Hinblick auf die Verwirklichung des Grundsatzes der Entsorgungsautarkie geeignet und erforderlich sein. Nicht ausreichend sei daher eine pauschale und unsubstantiierte Berufung auf das Autarkieprinzip; die mögliche Verdrängung inländischer Abfälle müsse vielmehr hinreichend dargelegt sein. Weitergehende Einschränkungen seien nur auf Grundlage einer abstrakt-generellen Regelung im Sinne von Art. 11 Abs. 1 Buchst. a) VO 1013/2006 möglich.

Auch hinsichtlich des Näheeinwandes in Art. 11 Abs. 1 Buchst. g) Ziff. ii) VO 1013/2006 und des Planeinwandes in Art. 11 Abs. 1 Buchst. g) Ziff. iii) VO 1013/2006 bestätigt das OVG die Entscheidung der Vorinstanz. Mit Blick auf den Näheeinwand genüge es nicht, wenn die Behörde zeitgleich mit der Ablehnung einer Verbringung eine Reservierung mit Vorlauf ausspreche. Die Verbringung ausländischer Abfälle könne nur dann abgelehnt werden, wenn die Anlage bereits im Verbringungszeitraum behördlicherseits für an einem näher gelegenen Ort angefallene Abfälle reserviert worden sei. Der Planeinwand verfange im vorliegenden Fall bereits deshalb nicht, weil nicht festgestellt werden könne, ob ein Widerspruch zur Abfallwirtschaftsplanung bestehe.

Einordnung der Entscheidung und geplante Gesetzesänderung

Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts und die bestätigende Entscheidung des OVG haben die Anforderungen an die Einwände in Art. 11 Abs. 1 Buchst. g) Ziff. i-iii) VO 1013/2006 und vor allem das Verhältnis von Art. 11 Abs. 1 Buchst. g) Ziff. i) VO 1013/2006 zu Art. 11 Abs. 1 Buchst. a) VO 1013/2006 konkretisiert.

Dabei hat das OVG insbesondere herausgearbeitet, dass der Autarkieeinwand des Art. 11 Abs. 1 Buchst. g) Ziff. i) VO 1013/2006 nur erhoben werden kann, wenn im konkreten Einzelfall dargelegt wird, dass die Beschränkung geeignet und erforderlich ist. Das Gericht stellt fest, dass pauschale Behauptungen durch die Behörden nicht ausreichend sind. Weitreichendere Einschränkungen sind nur auf Grundlage abstrakt-genereller Reglungen möglich. Auch im Hinblick auf den Näheeinwand in Art. 11 Abs. 1 Buchst. g) Ziff. ii) VO 1013/2006 ist nach der Auffassung des Gerichts nicht ausreichend, dass die Behörde pauschal und mit Vorlauf die Reservierung einer Anlage ausspricht.

Das OVG nimmt mit dieser Entscheidung die Behörden in die Pflicht, die Erhebung von Einwänden im Sinne des Art. 11 Abs. 1 Buchst. g) VO 1013/2006 im Einzelfall konkret zu begründen. Damit wird insbesondere verhindert, dass die Behörden Abfallverbringungen mit pauschalen Aussagen und ohne nähere Begründung untersagen.

An diesem Ergebnis wird auch ein Gesetzesentwurf zur Änderung des Abfallgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt (AbfG LSA), der in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang zur Entscheidung des OVG im November 2020 vorgelegt wurde, nichts ändern.

Dieser Entwurf sieht zwar vor, dass derjenige, der außerhalb von Sachsen-Anhalt entstandene Abfälle zur Beseitigung auf Deponien in Sachsen-Anhalt entsorgen will, der Genehmigung der zuständigen Behörde bedarf. Die Genehmigung soll nur dann erteilt werden, wenn die beabsichtigte Verbringung der Abfälle in Bezug auf Menge und vorhergesehene Entsorgungsanlage den Zielen des Abfallwirtschaftsplans nicht entgegensteht. Aus der Gesetzesbegründung ergibt sich aber, dass die Regelung nur für Abfälle gelten soll, die nicht von europarechtlichen Vorschriften erfasst sind, also für Abfälle aus anderen Bundesländern, da die landesrechtlichen Regelungen mit dem Bundesrecht und dem Europarecht vereinbar sein müssen. Ziel der geplanten Gesetzesänderung ist es daher lediglich, Müllimporte aus dem Inland zu begrenzen und die Deponien in Sachsen-Anhalt zu entlasten.

Quelle: Köhler & Klett Rechtsanwälte

Das dazu gehörige Fachseminar ist in der Seminarwelt des IWU Magdeburg auffindbar.