EuGH, Urteil vom 15.03.2018 – C-104/17
Die Richtlinie 94/62/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 20.12.1994 über Verpackungen und Verpackungsabfälle hat sich zum Ziel gemacht, die unterschiedlichen Maßnahmen der Mitgliedstaaten im Bereich der Verpackungsbewirtschaftung zu harmonisieren und gleichzeitig die Auswirkungen der Verpackungsabfälle auf die Umwelt zu vermeiden.
Auch der deutsche Gesetzgeber sieht sich diesen Zielen ausgesetzt, welchen er zunächst mit der Verpackungsverordnung und nun – ab dem 01.01.2019 – mit dem Verpackungsgesetz nachzukommen gedenkt. Während sich der deutsche Ansatz maßgeblich auf Systembeteiligungspflichten (Stichwort: „Duale Systeme“) und besondere Anforderungen für Getränkeverpackungen (Stichwort: „Einweg- und Mehrwegpfand“) fokussiert, d.h. auf Systeme, welche das Wiederverwenden bzw. das Recycling von Verpackungsabfällen fördern sollen, nutzen andere Mitgliedstaaten durchaus weitergehende Herangehensweisen. Dies gilt beispielsweise für Rumänien. Dort sind Marktteilnehmer, welche erstmals verpackte Waren auf dem nationalen Markt in Verkehr bringen, verpflichtet, einen Beitrag an einen Umwelt-Fond zu zahlen. Dieser Betrag wird anhand des Gewichtsunterschiedes zwischen der Menge der Verpackungsabfälle einerseits, welche den Mindestvorgaben hinsichtlich der Verwertung oder Verbrennung entsprechen und anderseits der Menge der Verpackungsabfälle berechnet, welche tatsächlich in Müllverbrennungsanlagen verbrannt bzw. recycelt werden. Der Betrag ist damit höher, wenn mehr Verpackungen auf dem nationalen Markt in Verkehr gebracht werden und wenn diese gewissen Mindestanforderungen an die Verwertung und das Recycling nicht entsprechen. Daher entsteht ein Anreiz zur Reduzierung von Verpackungen und zur Förderung des Recyclings. Die Gelder aus dem Fond sollen Umweltschutz-Projekte unterstützen. Das System ist damit am ehesten mit dem deutschen Abwasserabgabenrecht vergleichbar, welches auch den ökonomischen Hebel einer besonderen Abgabe zur Verringerung der Umwelteinwirkungen bei gleichzeitiger Finanzierung von umweltbezogenen Projekten nutzt. Der dem EuGH vom rumänischen Berufungsgericht Piteşti vorgelegte Fall betraf nun ein Unternehmen (Cali Esprou), welches unterschiedlichste Waren nach Rumänien importierte und dort an rumänischeEinzelhändler verkaufte. Von den zuständigen Behörden wurde Cali Esprou aufgefordert, einen entsprechenden Betrag an den Umwelt-Fond zu zahlen. Das Unternehmen sah sich jedoch nicht als „Verursacher“, da es in keiner Weise auf die Verpackungen einwirke. Zudem sei die rumänische Regelung nicht mit dem europäischen Verursacherprinzip vereinbar. Auch das rumänische Berufungsgericht sah sich nicht in der Lage, diese Frage unmittelbar zu beantworten, und legte daher dem EuGH die Frage vor, ob auch die Einbeziehung von Importeuren unter die Begrifflichkeit des Verursachers europarechtlich gedeckt sei.
Der EuGH führt dazu aus, dass Art. 15 der Verpackungsrichtlinie den Rat dazu ermächtige, marktwirtschaftliche Instrumente zur Erreichung der Ziele der Richtlinie einzusetzen. Da der Rat auf europäischer Ebene solche Instrumente allerdings nicht erlassen habe, könnten die einzelnen Mitgliedsstaaten eigene marktwirtschaftliche Instrumente einführen, solange diese mit den Grundsätzen der Umweltpolitik der Union, insbesondere dem Verursacherprinzip, vereinbar seien. Der EuGH folgerte daraus, dass das rumänische System einem solchen marktwirtschaftlichen Instrument entspräche, das den Zielen der Richtlinie diene und insbesondere die Abfallhierarchie respektiere. Der EuGH sah auch keinen Verstoß gegen das Verursacherprinzip. Denn es käme nicht darauf an, dass Importeure und Vertreiber nicht auf die Verpackungen einwirkten, sondern dass Importeure und Vertreiber dafür verantwortlich seien, dass die Verpackungen auf dem rumänischen Markt in den Verkehr gebracht würden. Dieses Ergebnis gibt die Verpackungsrichtlinie selbst vor, indem sie den Begriff „Marktteilnehmer“ u.a. mit „Importeure, Händler und Vertreiber“ definiert (vgl. Art. 3 Nr. 11 der RL 94/62/EG). Der Gerichtshof prüfte darüber hinaus noch die Vorgaben des Art. 110 AEUV, der es verbietet, auf Waren aus anderen Mitgliedstaaten – seien es unmittelbar oder mittelbar – höhere inländische Abgaben gleich welcher Art zu erheben, als gleichartige inländische Waren unmittelbar oder mittelbar zu tragen hätten. Da der in Rede stehende Betrag jedoch unabhängig vom Ursprung der Ware erhoben würde, sah der EuGH auch hier keinen Konflikt mit europäischem Recht.
Anmerkung: Das Urteil des EuGH verdeutlicht, was eigentlich keiner Verdeutlichung mehr bedurfte: Das Verursachungsprinzip des europäischen Rechts bezieht sich nicht allein auf die Hersteller von Waren oder Verpackungen, sondern auch auf das Inverkehrbringen in den jeweiligen Markt. Auch für Verpackungsabfälle ist damit anerkannt, dass Importeure und Händler als „Verursacher“ angesehen werden können. Dies ergab sich vorliegend bereits aus der Richtlinie selbst. Interessant ist das Urteil daher vielmehr aus politischer Sicht. Denn in Zeiten, in denen der deutsche Gesetzgeber durch das neue Verpackungsgesetz eine höher Wiederverwendungs- und Recyclingquote für Verpackungsabfälle erreichen und der europäische Gesetzgeber durch das Verbot bestimmter Wegwerfprodukte den Anfall von bestimmten Abfallarten verringern will, verdeutlicht das rumänische Beispiel, dass auch weitere marktwirtschaftliche Instrumente in Betracht gezogen werden können, um die Gesamtmenge an Verpackungsabfällen zu verringern.
Quelle: KOPP-ASSENMACHER & NUSSER
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