Bindungswirkung einzelner Regelungen der TA Luft aufgehoben
In der Ausgabe des Bundesanzeigers vom 16.12.2013 hat das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) das Fortschreiten des Standes der Technik für bestimmte Vorsorgeanforderungen der Technischen Anleitung Luft (TA Luft) aus dem Jahr 2002 verkündet. Die betroffenen Regelungen der TA Luft sind damit nicht mehr bindend. Dies hat Bedeutung für Unternehmen der Eisen- und Stahlerzeugung, der Lederindustrie, der Zement-, Kalk- und Magnesiumoxidindustrie sowie der Glasherstellung.
Die Veröffentlichung im Bundesanzeiger ist auf § 48 Abs. 1a BImSchG in Verbindung mit Nr. 5.1.1 Abs. 5 TA Luft gestützt. Danach kann das BMU das Fortschreiten des Standes der Technik oder eine insoweit notwendige Ergänzung im Bundesanzeiger veröffentlichen. Voraussetzung dafür ist, dass sich aus sogenannten BVT-Merkblättern (Merkblätter über die Besten Verfügbaren Techniken = BVT) weitergehende oder ergänzende Anforderungen ergeben, als sie in der TA Luft geregelt sind. Betroffen hiervon sind allein emissionsseitige Anforderungen der TA Luft, etwa in Form von Emissionswerten.
BVT-Merkblätter werden auf EU-Ebene ausgearbeitet. Vereinfacht ausgedrückt beschreiben und bewerten BVT-Merkblätter den in den EU-Mitgliedsstaaten in einzelnen Industriesektoren (z. B. Eisen- und Stahlerzeugung, Abfallbehandlung, etc.) oder sektorübergreifend, z. B. in der Abwasserbehandlung, nachweisbaren Stand der Technik.
Bis zur Umsetzung der Industrieemissionsrichtlinie (IED) in das deutsche Recht, namentlich in das Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG), dessen Änderungen im Wesentlichen Anfang Mai 2013 in Kraft getreten sind, waren BVT-Merkblätter bei der Ermittlung des Standes der Technik – neben einer Vielzahl anderer Kriterien – lediglich zu berücksichtigen (vgl. Nr. 13 im Anhang zum BImSchG). Dies läuft auf eine im Ergebnis schwache Bindungswirkung von BVT-Merkblättern hinaus, solange ihre Inhalte nicht in untergesetzlichen Regelwerken wie etwa der TA Luft umgesetzt werden. Für Nicht-IED-Anlagen verbleibt es auch in Zukunft bei dieser schwachen Bindungswirkung.
Mit Umsetzung der IED in das BImSchG ist allerdings die Bindungswirkung sogenannter BVT-Schlussfolgerungen, die – vereinfacht ausgedrückt – die wesentlichen Inhalte eines BVT-Merkblatts wiedergeben, für IED-Anlagen deutlich gesteigert worden. Nunmehr sind die zuständigen staatlichen Stellen verpflichtet, die in BVT-Schlussfolgerungen enthaltenen Erkenntnisse für IED-Anlagen innerhalb bestimmter Zeitfenster im untergesetzlichen Recht umzusetzen. Dies wird auf eine Anpassung beispielsweise der TA Luft hinauslaufen. Denkbar ist zudem, dass immissionsschutzrechtliche Verordnungen wie etwa die 17. BImSchV (Verordnung über die Verbrennung und Mitverbrennung von Abfällen) oder die 13. BImSchV (Verordnung über Großfeuerungsanlagen) angepasst werden müssen, auch wenn sie jüngst erst zwecks Umsetzung der Vorgaben der IED geändert wurden. Unter bestimmten Voraussetzungen müssen außerdem Regelungen in BImSchG-Genehmigungen angepasst werden.
Das BMU hat die Veröffentlichungen von BVT-Schlussfolgerungen betreffend die
– Eisen- und Stahlerzeugung (Beschluss 2012/135/EU)
– die Lederindustrie (Beschluss 2013/84/ EU)
– die Zement-, Kalk- und Magnesiumoxidindustrie (2013/163/EU) und
– die Glasherstellung (Beschluss 2013/134/EU)
zum Anlass genommen, diejenigen Vorsorgeregelungen der TA Luft aus dem Jahre 2002, die die vorbezeichneten Branchen betreffen, zu überprüfen. Dabei wurde festgestellt, dass die dort enthaltenen Regelungen zu einem nicht unerheblichen Umfang nicht mehr dem Stand der Technik entsprechen, wie er in den vorbezeichneten, jüngst veröffentlichten BVT-Schlussfolgerungen niedergelegt worden ist. Daher wurde die Bindungswirkung der betroffenen Vorsorgeanforderungen der TA Luft durch die Veröffentlichung im Bundesanzeiger vom 16.12.2013 aufgehoben. Damit sind die betroffenen Regelungen nicht mehr im behördlichen Vollzug, d. h. bei Genehmigungs- und Überwachungsverfahren, anwendbar. Das dadurch entstandene rechtliche „Vakuum“ soll nach den Vorstellungen der Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft für Immissionsschutz (LAI) bis auf Weiteres dadurch gefüllt werden, dass auf von ihr ausgearbeitete Vollzugsempfehlungen zurückgegriffen wird. Diese datieren vom 12.11.2013 und betreffen die vorbezeichneten Branchen, bezüglich derer BVT-Schlussfolgerungen erlassen und die Bindungswirkung einzelner Vorsorgeregelungen der TA Luft aufgehoben wurden. Teilweise enthalten die Vollzugsempfehlungen deutliche Verschärfungen der emissionsseitigen Anforderungen bzw. deren Ergänzungen.
Die Vollzugsempfehlungen sollen solange Anwendung finden, bis die emissionsseitigen Regelungen der TA Luft an den fortgeschrittenen Stand der Technik, wie er in den BVT-Schlussfolgerungen zum Ausdruck kommt, angepasst worden sind. Derzeit ist nicht absehbar, wann dies der Fall sein wird.
Aus rechtlicher Sicht ist darauf hinzuweisen, dass die Vollzugsempfehlungen keine Bindungswirkung im Sinne einer Rechtsnorm haben. Allerdings berücksichtigen die Vollzugsempfehlungen die Erkenntnisse der BVT-Schlussfolgerungen. Soweit dies der Fall ist, dürfte es jedenfalls für Betreiber von IED-Anlagen – vorbehaltlich einer Prüfung des Einzelfalls – empfehlenswert sein, in Abstimmung mit der Behörde die Inhalte der Vollzugsempfehlungen zugrunde zu legen.
Bei Nicht-IED-Anlagen, die durch die Aufhebung der Bindungswirkung bestimmter emissionsseitiger Anforderungen der TA Luft ebenfalls in ein regelungstechnisches „Vakuum“ fallen, ist insoweit aber zu berücksichtigen, dass die BVT-Schlussfolgerungen für IED-Anlagen konzipiert sind. Für Nicht-IED-Anlagen verbleibt es auch nach Umsetzung der IED in nationales Recht, hier namentlich in das BImSchG, daher bei der vergleichsweise abgeschwächten Bindungswirkung der BVT-Merkblätter bzw. BVT-Schlussfolgerungen, solange ihre Inhalte nicht in untergesetzliche Regelwerke wie beispielsweise die TA Luft eingeführt worden sind.
Insgesamt ist erkennbar, dass das Thema „BVT“ zunehmend im nationalen Recht, hier namentlich dem Immissionsschutzrecht, ankommt mit den sich daraus ergebenen Konsequenzen für die Betreiber bestimmter BImSchG-Anlagen. Dieser Trend wird sich noch intensivieren. Denn eine Vielzahl von BVT-Merkblättern wird derzeit auf EU-Ebene überarbeitet. Diese betreffen etwa die Zellstoff- und Papierindustrie, die Nichteisenmetallindustrie oder die Holzwerkstoffindustrie. Teilweise liegen die überarbeiteten BVT-Merkblätter schon im 2. Entwurf vor. Überarbeitet wird zudem das BVT-Merkblatt betreffend Abfallbehandlungsanlagen.
Quelle: Köhler & Klett Rechtsanwälte