Das Oberverwaltungsgericht Münster (OVG) hat in zwei Urteilen vom 20.11.2018 (20 A 876/17 und 20 A 953/17) über die Zulässigkeit von gewerblichen Alttextilsammlungen entschieden. Dabei hat das OVG zu verschiedenen praktisch bedeutsamen Rechtsfragen des Anzeigeverfahrens und den materiell-rechtlichen Zulässigkeitsvoraussetzungen Stellung genommen. In formeller Hinsicht befassen sich die Entscheidungen unter anderem mit der Darlegung der Verwertungswege, an die nach Auffassung des OVG bei Alttextilien keine hohen Anforderungen zu stellen sind. Materiell-rechtlich setzt das OVG konsequent die Rechtsprechungslinie um, wonach bereits zulässigerweise durchgeführte gewerbliche Sammlungen nicht bei der Beurteilung zu berücksichtigen sind, ob die angezeigte Sammlung im Zusammenwirken mit anderen Sammlungen die sog. Irrelevanzschwelle überschreitet und ihr daher überwiegende öffentliche Interessen entgegenstehen. Auf die Verhinderung der daraus resultierenden Gefahr, dass dem betroffenen öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger (örE) durch zeitlich aufeinanderfolgende Neuanzeigen gewerblicher Sammlungen schrittweise Sammelmengen entzogen würden, ist die gesetzliche Regelung nach Ansicht des OVG nicht zugeschnitten.
Im Hinblick auf das Anzeigeverfahren hat das OVG zunächst bestätigt, dass die in § 18 Abs. 1 Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG) vorgesehene Drei-Monatsfrist lediglich für den Zeitpunkt maßgeblich ist, zu dem die angezeigte Sammlung aufgenommen werden darf, wenn sie nicht zuvor vollziehbar untersagt wird. Einer späteren Untersagung oder Beschränkung der Sammlung nach § 18 Abs. 5 KrWG steht der Ablauf der Frist demgegenüber nach Ansicht des OVG grundsätzlich nicht entgegen. Das ist konsequent, weil gewerbliche Sammlungen lediglich einem Anzeigeerfordernis, aber keinem Genehmigungserfordernis unterliegen; angesichts des gesetzlichen Verzichts auf eine Genehmigung kann der Ablauf der Wartefrist keine Rechtswirkung entfalten, die einer Genehmigungserteilung gleichkommt. Das OVG deutet allerdings an, dass der gewerblichen Sammlung nach Ablauf der Drei-Monatsfrist ein Vertrauensschutz zukommen kann, der bei späteren behördlichen Maßnahmen gegen die Sammlung zu berücksichtigen ist. Mangels Entscheidungserheblichkeit ist das OVG hierauf jedoch nicht weiter eingegangen.
Klargestellt hat das OVG zudem, dass nachträgliche Änderungen der Anzeige möglich sind. Zeitliche Einschränkungen dafür bestehen nach Ansicht des OVG jedenfalls dann nicht, wenn nach Art einer Teilrücknahme der ursprünglichen Anzeige lediglich das Ausmaß und der größtmögliche Umfang der Sammlung herabgesetzt wird; ob im umgekehrten Fall einer Ausweitung der Sammlung etwas anderes gelten würde, muss das OVG nicht entscheiden. Daher durften die Sammler noch während des gerichtlichen Verfahrens die ursprünglich angegebenen Sammelmengen deutlich nach unten korrigieren. Das OVG betont in diesem Zusammenhang allerdings auch, dass gewerbliche Sammlungen ausschließlich im angezeigten Umfang rechtmäßig sind. Der Sammler muss sich daher an die von ihm jeweils angezeigten Höchstmengen halten.
Konkretisiert wurden in den Entscheidungen darüber hinaus die Anforderungen, die bei einer Sammlung von Alttextilien an die Darlegung der Verwertungswege im Rahmen des Anzeigeverfahrens zu stellen sind. Dabei ist das OVG im Ausgangspunkt von der Grundsatzentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 30.06.2016 (7 C 5.15) ausgegangen, wonach die Darstellung einer lückenlosen Verwertungskette bis zum Abschluss der Verwertung einschließlich der Verwertungsverfahren und der genutzten Anlagen nicht erforderlich ist. Während das BVerwG diesen Maßstab in der genannten Entscheidung nur auf den Fall eines Kleinsammlers bezogen hatte, spielt die Größe des Sammelunternehmens in der Argumentation des OVG keine Rolle. Stattdessen hat das OVG allein auf die Verhältnisse am Alttextilmarkt abgestellt. Im Ergebnis hat es als ausreichend angesehen, dass die Sammler in ihren Anzeigen jeweils eine Sortierung der gesammelten Abfälle in einer eigenen Anlage dargelegt und die Entsorgungsunternehmen, die die dabei gewonnenen Fraktionen (tragbare Kleidung, zur Umarbeitung in Putzlappen u.ä. vorgesehene Textilien und Sortierreste) abnehmen, konkret benannt hatten. Damit – so das OVG – würden sich die Klägerinnen seit langem bestehender Verwertungsmethoden und -wege bedienen, deren kapazitätsmäßige Leistungsfähigkeit zur Aufnahme des hierfür bestimmten Materials keiner näheren Konkretisierung bedürften. Diese Wege bildeten die zentrale, gefestigte Grundlage für die gesamte Branche, die auf dem Markt der allgemein als werthaltig erkannten Alttextilien tätig sei und zu der bei wirtschaftlicher Betrachtung auch die örE gehörten, die Alttextilien getrennt erfassen und verwerten. Die Verwertungsstrukturen für Alttextilien seien seit Jahren stabil. Es bestehe nach dem Sinn und Zweck des Anzeigeverfahrens keine Veranlassung dazu, an ihrem Funktionieren nach Aufnahme der in Rede stehenden Sammlungen zu zweifeln. Drastische Veränderungen zeichneten sich nicht ab.
Von der Tendenz, die Anforderungen an die Darlegung der Verwertungswege im Bereich der Alttextilien gering zu halten, weicht das OVG auch in dem Fall nicht ab, dass die Alttextilien in das EU-Ausland verbracht werden sollen. Nach Ansicht des OVG genügt insoweit die zusätzliche Vorlage des in Art. 18 der Verordnung (EG) Nr. 1013/2006 (sog. EU-Abfallverbringungsverordnung) vorgesehenen Vertrages. Das Dokument nach Anhang VII der Abfallverbringungsverordnung, das für die einzelnen Verbringungen auszufüllen und mitzuführen ist, kann und muss nach Ansicht des OVG demgegenüber in dem auf die Ermöglichung zukünftiger und in ihrer Realisierung noch ungewisser Sammlungen gerichteten Anzeigeverfahren nicht vorgelegt werden. In diesem Punkt hat das OVG ausdrücklich einer Entscheidung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs widersprochen, in der auch die Vorlage des Anhang VII-Dokuments gefordert wurde (Urt. v. 25.06.2018, 20 B 17.2431).
In materiell-rechtlicher Hinsicht behandeln die Entscheidungen des OVG im Wesentlichen die Frage, welche Bedeutung bereits rechtmäßig durchgeführten Sammlungen für die Überschreitung der sog. Irrelevanzschwelle zukommt. Diese Irrelevanzschwelle, die je nach betroffener Abfallfraktion und Ausgestaltung der Sammlung des örE zwischen 10 % und 15 % der Sammelmenge liegt, entscheidet nach der Rechtsprechung des BVerwG darüber, ob einer gewerblichen Sammlung aufgrund der Vermutung des § 17 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 KrWG überwiegende öffentliche Interessen entgegenstehen. Da § 17 Abs. 3 KrWG nicht allein auf die einzelne Sammlung, sondern auf ihr Zusammenwirken mit anderen Sammlungen abstellt, sind für die Prüfung einer Überschreitung der Irrelevanzschwelle die Auswirkungen aller maßgeblichen gewerblichen und gemeinnützigen Sammlungen zu addieren.
Dies führt zu der Frage, welche Sammlungen dabei berücksichtigt werden müssen. Bereits mit Urteilen vom 23.02.2018 (7 C 9.16 und 7 C 10.16) hatte das BVerwG entschieden, dass sog. Bestandssammlung nicht einzubeziehen sind; sie gehören nach Ansicht des BVerwG zum status quo, auf den die Sammelstrukturen des örE bereits eingestellt sind. Unter welchen Voraussetzungen eine Bestandssammlung vorliegt, wurde in diesen Entscheidungen des BVerwG allerdings nicht näher ausgeführt.
Nach Ansicht des OVG fallen hierunter alle „bereits rechtmäßig durchgeführten Sammlungen“. Dies eröffnet die Möglichkeit, dass jede (rechtmäßig) neu aufgenommene Sammlung in der Folge zu einer Bestandssammlung wird und damit bei der Beurteilung, ob später aufgenommenen gewerblichen Sammlungen überwiegende öffentliche Interessen entgegenstehen, nicht mehr zu berücksichtigen ist. Für die Anwendung des § 17 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 KrWG macht es danach einen erheblichen Unterschied, ob mehrere Sammlungen gleichzeitig angezeigt werden – dann sind ihre Auswirkungen auf den örE zu summieren – oder nacheinander – dann findet im Ergebnis keine Summierung statt.
Das OVG erkennt zwar die hieraus resultierende Gefahr für die örE, dass sich die Sammelmengen privater Sammlungen, die jeweils für sich genommen die Irrelevanzschwelle unterschreiten, im Laufe der Zeit zu einer Gesamtmenge addieren, die die Irrelevanzschwelle übersteigt. Auf die Verhinderung einer sich schrittweise verwirklichenden Verlagerung von Sammelmengen vom örE zu privaten Sammlungen sei die Irrelevanzschwelle aber nicht zugeschnitten. § 17 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 KrWG besage nicht, dass dem örE im Ausgangspunkt das Aufkommen an getrennt zu sammelnden Abfällen umfassend zur Sammlung zustehe, und vermittle ihm keine Rechtsposition, aufgrund deren er den Fortbestand eines von ihm an einem bestimmten Stichtag erzielten Anteils an den gesamten Sammelmengen beanspruchen könnte. Ebenso wenig biete die Vorschrift eine Grundlage für die Berücksichtigung ungewisser weiterer privater Sammlungen, die möglicherweise in Zukunft angezeigt werden und zu weiteren Einbußen bei den Sammelmengen des örE führen können. Maßgeblich sei, welche Auswirkungen als Folge der in Frage stehenden Sammlung im Zusammenwirken mit anderen privaten Sammlungen bevorstünden, die die Sammelmengen des örE bislang noch nicht beeinflussen.
Quelle: Köhler & Klett Rechtsanwälte
Das dazu gehörige Fachseminar ist in der Seminarwelt des IWU Magdeburg auffindbar.