Weitere Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts zu Alttextilsammlungen

Am 11.07.2017 sind zwei Urteile des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) zu gewerblichen Alttextilsammlungen ergangen (7 C 35.15 und 7 C 36.15). In diesen Entscheidungen, die in der Begründung im Wesentlichen übereinstimmen, hat das BVerwG zu einigen mit der Durchführung gewerblicher Sammlungen verbundenen Rechtsfragen erstmals höchstrichterlich Stellung genommen. Im Übrigen hat das BVerwG seine bereits mit Urteil vom 30.06. begonnene Rechtsprechung zur sog. Irrelevanzschwelle bei der Feststellung eines der gewerblichen Sammlung entgegenstehenden überwiegenden öffentlichen Interesses fortgeführt, ohne diese weiterzuentwickeln. Der folgende Beitrag stellt die Entscheidung im Verfahren 7 C 35.15 dar.

Der Entscheidung des BVerwG liegt ein typischer Sachverhalt zugrunde: Der Klägerin, die eine gewerbliche Sammlung von Textilien und Schuhen aus privaten Haushaltungen betreibt, war diese im Jahr 2012 durch den Landkreis mit der Begründung untersagt worden, die Sammlung gefährde die Funktionsfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgers (örE). Die dagegen erhobene Klage hatte erstinstanzlich zunächst Erfolg, wurde auf die Berufung des Beklagten hin jedoch vom OVG Münster (OVG) abgewiesen. Nach Ansicht des OVG standen der gewerblichen Sammlung überwiegende öffentliche Interessen im Sinne von § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 i.V.m. § 17 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG) entgegen. Nach der letztgenannten Vorschrift ist eine wesentliche Beeinträchtigung der Planungssicherheit und Organisationsverantwortung des örE anzunehmen, wenn durch die gewerbliche Sammlung Abfälle erfasst werden, für die der örE oder sein Drittbeauftragter eine haushaltsnahe oder sonstige hochwertige getrennte Erfassung und Verwertung durchführt. Diese Regelung hat das OVG zwar lediglich als widerlegbare Vermutung angesehen. Da die Sammelmenge aller gewerblichen Sammlungen insgesamt 50 Prozent der vom örE erfassten Menge überschritt, konnte diese Vermutung nach Ansicht des OVG jedoch nicht widerlegt werden. Diese Entscheidung hat das BVerwG nunmehr im Ergebnis bestätigt.

Dabei hat das BVerwG zunächst zu drei bisher höchstrichterlich noch nicht abschließend geklärten Fragen Stellung genommen:

Dies betrifft erstens die Frage, inwieweit eine organisatorische Trennung zwischen dem örE und der für eine Untersagung zuständigen Behörde erforderlich ist. Die Klägerin hatte diesbezüglich beanstandet, dass eine unzulässige Verflechtung bestehe, da der als Abfallbehörde zuständige Landrat zugleich stellvertretender Verbandsvorsitzender des Abfallwirtschaftsverbandes sei. Dem widerspricht das BVerwG: Zwar könne eine mangelnde Distanz zum örE und dessen Sonderinteressen Anlass zur Prüfung geben, ob rechtsstaatliche Gebote für die Gestaltung eines fairen Verfahrens zur Gewährleistung einer unparteiischen Aufgabenerfüllung oder der unionsrechtlich verankerte wettbewerbsrechtliche Missbrauchstatbestand dem Handeln als zuständige Behörde entgegenstehen. Hier fehlte es jedoch an einer organisationsrechtlichen Doppelzuständigkeit, da weder der für die Verwertung zuständige Abfallwirtschaftsverband noch die für die Erfassung zuständige Stadt – zu der nach Ansicht des BVerwG das „eigentliche“ Wettbewerbsverhältnis des gewerblichen Sammlers besteht – für die Untersagung zuständig waren. Dass der Landrat auch im Abfallwirtschaftsverband tätig sei, unterscheide sich – so das BVerwG – nicht grundlegend von der Konstellation, bei der die Funktionen auf verschiedene Abteilungen einer Behörde aufgeteilt seien und es auf der Ebene des Behördenleiters einen gemeinsamen Vorgesetzten gebe. Auch darin liegt nach Ansicht des BVerwG kein Verstoß gegen das rechtsstaatliche Gebot fairer Verfahrensgestaltung; unzulässige Einflussnahmen seien gegebenenfalls bei der Überprüfung der Sachentscheidung zu beanstanden.

Zweitens hat das BVerwG bestätigt, dass es sich bei der in § 18 Abs. 1 KrWG geregelten Drei-Monatsfrist nicht um eine Entscheidungsfrist für die Behörde, sondern nur um eine Wartefrist für die Aufnahme der Sammlung handelt. Beschränkende Maßnahmen der Behörde nach § 18 Abs. 5 KrWG (Auflagen, Bedingungen, Befristung oder Untersagung) können daher auch noch später als drei Monate nach Anzeige getroffen werden, nicht zuletzt, um auf nachträglich eingetretene Umstände zu reagieren. Begrüßenswert ist, dass das BVerwG in diesem Zusammenhang klarstellt, dass bei nachträglichen Anordnungen dem grundrechtlich fundierten Vertrauensschutz im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung, der nach Ansicht des BVerwG auch die gebundene Entscheidung nach § 18 Abs. 5 Satz 2 KrWG unterliegt, Rechnung zu tragen ist. Daneben stellt das BVerwG die Möglichkeit von Haftungs- und Entschädigungsansprüchen des gewerblichen Sammlers in den Raum, ohne hierauf näher einzugehen.

Drittens hat das BVerwG bestätigt, dass es sich bei Altkleidern und Schuhen, die in einem öffentlich zugänglichen Container gesammelt werden, um Abfall handelt. Das BVerwG sieht in dem Einwurf in den Container eine Entledigung, die stets gegeben sei, wenn der Besitzer die Stoffe oder Gegenstände, an denen er kein Gebrauchsinteresse hat, selbst entsorgt oder an Dritte abgibt.

Hinsichtlich der Anwendung von § 17 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 KrWG hat das BVerwG nahtlos an seine Rechtsprechung im Urteil vom 30.06.2016 (7 C 4.15) angeknüpft. Dementsprechend hat es den noch vom OVG herangezogenen rechtlichen Maßstab, wonach erst bei einer Überschreitung von 50 Prozent der Sammelmenge ohne weitere Prüfung der Einzelfallumstände eine wesentliche Beeinträchtigung der Planungssicherheit und Organisationshoheit anzunehmen sein sollte, verworfen und insoweit die sog. Irrelevanzschwelle von 10–15 Prozent für maßgeblich erklärt. Damit hat sich das BVerwG auch über die Einwände des der Bundesregierung unterstellten Vertreters des Bundesinteresses hinweggesetzt, der bereits die wesentlich höhere 50 Prozent-Grenze ohne Einzelfallprüfung kritisiert hatte, weil die unionsrechtlichen Vorgaben einen absoluten Konkurrenzschutz nicht zuließen. Eine Begründung für die Höhe der Irrelevanzschwelle, zu der gerade die abweichende Auffassung des OVG Anlass gegeben hätte, lässt die Entscheidung – wie schon das Urteil vom 30.06.2016 – allerdings vermissen. Festgehalten hat das BVerwG zudem daran, dass bei der Feststellung der Beeinträchtigung des örE neben von gewerblichen Sammlungen erfassten Mengen auch die Sammelmengen gemeinnütziger Sammlungen zu berücksichtigen sind und dass es insoweit nicht auf den Zeitpunkt der Anzeige nach § 18 Abs. 1 KrWG, sondern auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in einer Tatsacheninstanz ankommt. Insgesamt zieht das BVerwG zur Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Untersagung damit einen für gewerbliche Sammler wesentlich ungünstigeren Maßstab heran als zuvor das OVG.

Die von der Klägerin ins Feld geführten Gegenargumente hat das BVerwG sämtlich für nicht durchgreifend erachtet:

Auch die Erfassung von Alttextilien aus privaten Haushaltungen könne eine Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse im Sinne des Unionsrechts sein, da die Mitgliedstaaten insoweit einen weiten Definitionsspielraum hätten.

Eine unzulässige Diskriminierung von gewerblichen gegenüber gemeinnützigen Sammlungen liege nicht vor, denn die Bevorzugung gemeinnütziger Sammlungen sei einerseits durch deren besondere Zweckbestimmung, andererseits durch die geringe Sammlungsintensität gerechtfertigt. Im Übrigen könnten die Träger karitativer Einrichtungen Sammlungen durch gewerbliche Unternehmen durchführen lassen.

Soweit die Klägerin meine, die gesetzliche Regelvermutung einer wesentlichen Beeinträchtigung der Planungssicherheit und Organisationsvermutung könne nicht greifen, wenn der örE Jahr für Jahr höhere Sammelmengen verzeichne, berücksichtige sie nicht, dass bei der Beurteilung der Veränderungen für das System des örE wie auch des status quo grundsätzlich auf einen festen Zeitpunkt abzustellen sei, in dem diese möglichen Entwicklungen Berücksichtigung fänden.

Schließlich überzeugte auch der von der Klägerin vorgetragene Einwand das BVerwG nicht, wegen der gleichen Grundkonzeption bei allen Sammlungen könne es keine leistungsfähigeren Sammlungen geben, sodass die Ausnahme des § 17 Abs. 3 Satz 4 KrWG leerlaufe. Danach gilt die Vermutung des § 17 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 KrWG nicht, wenn die gewerbliche Sammlung wesentlich leistungsfähiger ist als die vom örE angebotene oder konkret geplante Leistung. Indes trage der Einwand nicht den in § 17 Abs. 3 Satz 5 und 6 KrWG genannten Kriterien für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit Rechnung, nach denen sich ein differenziertes Leistungsbild von Sammlungen ergeben könne. Diese Aussage des BVerwG erscheint allerdings praxisfern, zumal das BVerwG seinerseits nicht berücksichtigt, dass § 17 Abs. 3 Satz 6 KrWG bestimmte Differenzierungen ausschließt und damit ein differenziertes Leistungsbild eher erschwert und zu den nach § 17 Abs. 3 Satz 5 KrWG für den Vergleich maßgeblichen Kriterien etwa der Umfang der Erfassung gehört, bei der der örE strukturell im Vorteil ist. Auch die bisherige Erfahrung spricht dafür, dass die Befürchtung eines Leerlaufens von § 17 Abs. 3 Satz 4 KrWG nicht unberechtigt ist.

Da die Untersagung der gewerblichen Sammlung auch bei Anwendung des vom BVerwG angelegten Maßstabes rechtmäßig und die dagegen gerichtete Klage damit unbegründet war, wurde die Revision im Ergebnis zurückgewiesen.

Quelle: Köhler & Klett Rechtsanwälte

Das dazu gehörige Fachseminar ist in der Seminarwelt des IWU Magdeburg auffindbar.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert