Versicherung als Abfallerzeuger

Das Oberverwaltungsgericht des Landes Nordrhein-Westfalen (OVG) ist in seinem Urteil vom 10.08.2012 (20 A 222/10) auf der Grundlage einer wertenden Betrachtung zu dem Ergebnis gekommen, dass eine Versicherung, die anstelle ihres insolventen Versicherungsnehmers einen Abbruchunternehmer mit dem Abbruch eines durch einen Brand zerstörten Gebäudes beauftragt hat, Abfallerzeuger im Sinne des Abfallrechts ist und deshalb zur Entsorgung der beim Abbruch angefallenen Abfälle herangezogen werden kann. Damit reiht sich das Urteil des OVG in eine Reihe von Entscheidungen ein, die den entsorgungspflichtigen Abfallerzeuger allein auf der Grundlage einer wertenden Betrachtung ermitteln. Dadurch wird der Erzeugerbegriff jedoch nahezu uferlos ausgedehnt.

Die klagende Versicherung begehrte in dem zugrundeliegenden Rechtsstreit eine gegen sie gerichtete Ordnungsverfügung aufzuheben. Die Versicherung war durch die Ordnungsverfügung angehalten worden, die auf dem Grundstück des insolventen Versicherungsnehmers lagernden Abfälle zu entsorgen sowie die ordnungsgemäße Entsorgung nachzuweisen. Darüber hinaus drohte die zuständige Behörde jeweils ein Zwangsgeld an für den Fall, dass die Ordnungsverfügung nicht befolgt wird. Vor Erlass der Ordnungsverfügung hatte die zuständige Behörde als mögliche entsorgungspflichtige Personen den Betriebsinhaber und den Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin, den Insolvenzverwalter, das Abbruchunternehmen bzw. dessen Geschäftsführer und schließlich die Versicherung, die den Abbruchunternehmer beauftragt hat, in den Blick genommen. Letztlich adressierte die zuständige Behörde die Ordnungsverfügung an die Versicherung. Sie sei Abfallerzeuger, da sie die Abbrucharbeiten in Auftrag gegeben habe. Die Versicherung wandte in dem Klageverfahren u.a. dagegen ein, sie sei nicht Abfallerzeuger, weil sie im Rahmen einer Geschäftsführung ohne Auftrag für die Grundstückseigentümerin und Insolvenzschuldnerin tätig geworden sei.

 

Das OVG lässt keinen Zweifel daran, dass die Anfechtungsklage gegen die Ordnungsverfügung unbegründet ist. Das Gericht führt näher aus, dass die Versicherung zum entsorgungspflichtigen Personenkreis gehöre. Letztendlich lässt das Gericht dahingestellt, ob die Versicherung entsorgungspflichtiger Besitzer der Abfälle war bzw. die tatsächliche Sachherschafft über die Abfälle inne hatte. Jedenfalls, so meint das Gericht, sei die Versicherung als Erzeuger des Abfalls anzusehen.

 

Dazu führt das Gericht aus, nach der gesetzlichen Definition sei Erzeuger von Abfällen jede natürliche oder juristische Person, durch deren Tätigkeit Abfälle angefallen sind und jede Person, die Vorbehandlungen, Mischungen oder sonstige Behandlungen vorgenommen hat, die eine Veränderung der Natur oder der Zusammensetzung dieser Abfälle bewirkt (vgl. § 3 Abs. 8 Kreislaufwirtschaftsgesetz). Dies treffe auf die Versicherung zu. Zwar hätten die nach der Ordnungsverfügung zu entsorgenden Abfälle ihre Abfalleigenschaft unmittelbar durch die Tätigkeit des Abbruchunternehmens erlangt. Dieses habe durch den Abbruch der Produktionshalle Stoffe erst beweglich gemacht und teilweise die Zusammensetzung von Abfällen verändert. Beides sei jedoch letztlich der Klägerin, also der Versicherung zuzurechnen.

 

Der Erzeugerbegriff verlange lediglich, dass der Abfall als ursächliche Folge einer Tätigkeit des Betreffenden entstanden sei. Somit seien die als Mittel für den Anfall des Abfalls infrage kommenden Tätigkeiten nicht eingeschränkt, so dass jedes Verhalten erfasst werde, das als Handeln oder sonstiges Tätigwerden oder Tätigsein einer Person zu betrachten ist. Es genüge die Anknüpfung an eine „beliebige Tätigkeit“ und eines wie auch immer gearteten Ursachenzusammenhangs, um die Eigenschaft als Abfallerzeuger zu erfüllen. Die Auslegung des Erzeugerbegriffs unter dem Blickwinkel des Verursacherprinzips sei im Übrigen auch europarechtskonform und auch insoweit nicht zu beanstanden. Letztlich müsse der Ursachenzusammenhang zwischen der Tätigkeit und dem Entstehen des Abfalls bei wertender Betrachtung unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit die Verantwortung für die Entsorgung des Abfalls rechtfertigen. Im Übrigen sei auch nicht erforderlich, dass der Abfallerzeuger zu einem früheren Zeitpunkt den Abfallbesitz innegehabt hat.

 

Bezogen auf den zu entscheidenden Fall kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass bei wertender Betrachtung die Tätigkeit des Abbruchunternehmens der Versicherung zuzurechnen ist und deren Erzeugereigenschaft begründet. Sie habe durch die „Beauftragung“ des Abbruchunterneh­mens eine entscheidende und maßgebliche Ursache für die Entstehung der Abfälle gesetzt. Der Auftraggeber sei insoweit als abfallrechtlich entsorgungsverantwortlicher Erzeuger anzusehen, weil er die Abfallentstehung mit Blick auf die Weisungsgebundenheit des Auftragnehmers beherrscht habe. Eine deutliche Absage erteilt das Gericht der Inbezugnahme von zivilrechtlichen Regelungen über die Geschäftsführung ohne Auftrag. Diese Regelungen seien bereits vom Grundsatz her ungeeignet, eine anderweitige abfallrechtliche Erzeugerverantwortlichkeit zu begründen. Vielmehr würden diese Regelungen im Wesentlichen die zivilrechtlichen Pflichten und Rechtsfolgen in einem Zwei-Personen-Verhältnis betreffen, wenn ein Geschäftsführer in einem fremden Rechtskreis tätig wird. Entsprechende zivilrechtliche Auslegungsfragen und Wertungen seien jedoch vor allem mit Blick darauf zu beantworten und vorzunehmen, ob dem Geschäftsführer Schadenersatz- und Herausgabepflichten treffen und ob er Aufwendungsersatz verlangen kann. Die Beantwortung solcher Fragen lasse jedoch keine abschließenden Rückschlüsse darauf zu, wer verantwortlicher Abfallerzeuger ist. Entsprechendes gelte, wenn es um die zivilrechtliche Frage geht, ob die Versicherung vorliegend ein „objektiv fremdes Geschäft“ geführt habe. Die in der Beantwortung dieser Frage liegenden zivilrechtlichen Wertungen könnten jedenfalls nicht im Hinblick auf die abfallrechtliche Erzeugereigenschaft Geltung beanspruchen. Die abfallrechtlichen Regelungen zur Entsorgungsverantwortlichkeit der Besitzer und Erzeuger von Abfällen sollen nach Auffassung des Gerichts nämlich sicherstellen, dass möglichst stets (zumindest) eine verantwortliche Person für die Entsorgung in Anspruch genommen werden kann. Dies spreche dafür, die Begriffe des Besitzers und des Erzeugers eher weit und unabhängig von zivilrechtlichen Wertungen auszulegen.

 

Die Ausführungen des OVG machen deutlich, dass die Inanspruchnahme der Versicherung als Abfallerzeuger auf der Grundlage einer wertenden Betrachtung durchaus ergebnisorientiert ist. Das Gericht führt offen aus, dass es nach seiner Auffassung darum geht, jedenfalls dafür Sorge zu tragen, dass eine verantwortliche Person für die Entsorgung in Anspruch genommen werden kann. Die damit gerechtfertigte weite Auslegung des Erzeugerbegriffs unterliegt durchaus rechtspolitischen Bedenken, so dass der Gesetzgeber aufgefordert ist, die entsprechenden Begrifflichkeiten bei nächster Gelegenheit zu konkretisieren, allein um Rechtsklarheit zu schaffen.

 

Quelle: Köhler & Klett Rechtsanwälte

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