Das Oberverwaltungsgericht des Saarlandes (OVG) hat mit Urteil vom 12.01.2017 (2 A 147/15) die Untersagung einer seit Jahren durchgeführten gewerblichen Sammlung von Altpapier im Holsystem mittels „blauen Tonnen“ aufgehoben. Die Entscheidung kann als erste richtungsweisende Entscheidung zur Umsetzung des Grundsatzurteils des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG) vom 30.06.2016 gewertet werden.
Mit der Klage wendete sich ein Entsorgungsfachbetrieb, der seit 2007 privaten Haushalten im Saarland auf Anforderung „blaue Tonnen“ für die Altpapiererfassung zur Verfügung stellt und diese regelmäßig entleert, gegen eine Untersagungsverfügung des Landesamtes für Umwelt- und Arbeitsschutzes. Die Untersagung war damit begründet worden, dass die Sammlung – auch im Zusammenwirken mit anderen, ähnlichen Sammlungen anderer Anbieter – die Funktionsfähigkeit des beigeladenen Entsorgungsverbandes Saar (EVS) als öffentlichrechtlichem Entsorgungsträger (örE) gefährde. Der EVS sammle in seinem Zuständigkeitsgebiet flächendeckend Altpapier im Bringsystem; daneben bestehe in zwei Städten ein Holsystem mittels „blauen Tonnen“. Zudem habe der EVS einen Grundsatzbeschluss gefasst, zukünftig in seinem gesamten Zuständigkeitsbereich ein Erfassungssystem für PPK aus einer Kombination von Holsystem und ergänzendem Bringsystem einzuführen. Die Klägerin alleine entzöge dem EVS 55 Prozent der potentiellen Sammelmenge, weshalb ihre Sammlung unzulässig sei. Zwar genieße die Klägerin Vertrauensschutz, die gewährte „Auslauffrist“ von einem Jahr sei jedoch angemessen.
Die Klage hatte erstinstanzlich vor dem Verwaltungsgericht des Saarlandes Erfolg. Die dagegen gerichtete Berufung des Landesamtes und des beigeladenen Zweckverbandes wies das OVG nunmehr zurück.
Insbesondere ergibt sich nach Ansicht des OVG ein Entgegenstehen überwiegender öffentlicher Interessen nicht aus § 17 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG). In diesem Zusammenhang führt das OVG zunächst aus, dass die Anwendung des § 17 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 KrWG nicht durch § 17 Abs. 3 Satz 4 KrWG ausgeschlossen ist. Nach dieser Regelung gilt § 17 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 KrWG nicht, wenn die vom gewerblichen Sammler angebotene Sammlung und Verwertung der Abfälle wesentlich leistungsfähiger ist als die vom örE bereits angebotene oder konkret geplante Leistung. Zwar spricht nach Auffassung des OVG einiges dafür, dass eine wesentlich höhere Leistungsfähigkeit des Holsystems der Klägerin im Vergleich zum gegenwärtigen Bringsystem des EVS vorliegt; es spreche jedoch nichts dafür, dass auch der Leistungsvergleich mit dem konkret geplanten Holsystem des EVS eine – zumal wesentlich – höhere Leistungsfähigkeit der Klägerin ergeben könnte. Diese Erwägungen zeigen einmal mehr, wie hoch die Hürden sind, die ein gewerblicher Sammler überwinden muss, um sich mit Hilfe des Leistungsvergleichs nach § 17 Abs. 3 Satz 4 KrWG gegen eine Untersagung seiner Sammlung erfolgreich zur Wehr zu setzen.
Im Anschluss an seine Ausführungen zu § 17 Abs. 3 Satz 4 KrWG widerspricht das OVG der erstinstanzlich vom Verwaltungsgericht vertretenen einschränkenden Auslegung des § 17 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 KrWG, dass die Regelung in der Fallgestaltung einer erstmaligen Einrichtung einer Sammlung mit blauen Tonnen durch den örE nicht einschlägig sei. Ein örE nehme – so das OVG – aufgrund seiner Pflichten gewissermaßen kraft Gesetzes am Abfallmarkt teil. Zudem betreibe der EVS bereits eine hochwertige getrennte Erfassung und Verwertung von Altpapier im Bringsystem, sodass die Umstellung auf ein Holsystem kein Marktneueintritt sei. Darüber hinaus ergebe sich aus § 18 Abs. 7 KrWG, dass sich § 17 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 KrWG nicht auf neu beginnende gewerbliche Sammlungen beschränke.
Im Ergebnis verneint das OVG allerdings ein Eingreifen der Regelvermutung des § 17 Abs. 3 Satz 3 Nr. 1 KrWG. Zwar sei die in der Rechtsprechung des BVerwG herangezogene Irrelevanzschwelle um ein Mehrfaches überschritten; es könne vorliegend jedoch nicht von einem Regelfall ausgegangen werden, da sich die entzogene Sammelmenge aufgrund besonderer Umstände auf die Funktionsfähigkeit des Beigeladenen nicht auswirke. Dieser habe sich offensichtlich seit langem strukturell und organisatorisch auf die gewerblichen Sammlungen eingestellt und es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass der Beigeladene bei Fortsetzung der gewerblichen Sammlungen zu einer Anpassung seiner jetzigen Entsorgungsstruktur gezwungen wäre. Darauf, dass es ein in einer Hand befindliches Holsystem, wie von dem Beigeladenen angestrebt, ohne Ausschaltung der gewerblichen Sammler absehbar nicht geben werde, kommt es nach Ansicht des OVG nicht an. Der Schutz des örE sei nicht unternehmens-, sondern aufgabenbezogen und habe allein die Sicherung der im allgemeinen wirtschaftlichen Interesse liegenden Aufgabe im Blick. Dass der Schutz einer Monopolstellung des Beigeladenen nicht gerechtfertigt sei, ergebe sich schon daraus, dass gewerblichen Sammlern nach Unionsrecht grundsätzlich der Marktzutritt zu ermöglichen sei. Die Erfüllung der Entsorgungsaufgabe für Altpapier, die seit Jahren zuverlässig durch gewerbliche Sammlungen wahrgenommen werde, bedürfe vorliegend nicht des Schutzes durch Ausschaltung der gewerblichen Konkurrenz. Das Holsystem des EVS würde sich qualitätsmäßig nicht von dem der gewerblichen Sammler unterscheiden und keine Verbesserung bedeuten.
Die Voraussetzungen der Nr. 2 (Gefährdung der Gebührenstabilität) und Nr. 3 (erhebliche Erschwerung oder Unterlaufen einer diskriminierungsfreien und transparenten Vergabe von Entsorgungsleistungen im Wettwerb) des § 17 Abs. 3 Satz 3 KrWG lägen ebenfalls nicht vor. Zudem sei die (Voll-)Untersagung der gewerblichen Sammlungen aller Sammler selbst bei einer Gefährdung der Funktionsfähigkeit des örE rechtswidrig, da durch sie ein mit Unionsrecht unvereinbarer absoluter Konkurrenzschutz gewährt würde; dies hält das OVG für unvereinbar mit der Zielsetzung des KrWG, einen fairen Interessenausgleich zwischen gewerblichen Sammlern und örE zu gewährleisten. Als mildere Mittel zur Herstellung rechtmäßiger Zustände kämen Auflagen im Sinne des § 18 Abs. 5 Satz 1 KrWG und Maßnahmen nach § 62 KrWG in Betracht. Beispielsweise könne – so das OVG – angeordnet werden, bestimmte Bereiche in einzelnen Kommunen aufzugeben, um zu erreichen, dass die vorzugebende Sammlungsmenge nicht überschritten wird.
Der Entscheidung ist zuzustimmen. Zu begrüßen ist insbesondere, dass sich das OVG nicht – wie es nach der Grundsatzentscheidung des BVerwG nahegelegen haben könnte – auf einen schematischen Mengenvergleich beschränkt, sondern erkannt hat, dass die sog. Irrelevanzschwelle in bestimmten Fallkonstellationen für die Beeinträchtigungen des örE nicht aussagekräftig ist. Dies ist – insoweit dürfte die Entscheidung verallgemeinerungsfähig sein – der Fall, wenn das bestehende Erfassungssystem des örE bereits auf die Konkurrenzsituation zugeschnitten ist, seine Sammelmengen stabil sind und eine Ausweitung der Tätigkeit des örE zur Gewährleistung der Abfallentsorgung nicht geboten ist. Schafft der örE in einer solchen Konstellation durch Expansionspläne, die nicht der Marktsituation entsprechen, eine Konfliktlage, kann dies nicht zulasten der gewerblichen Sammler gehen.
Begrüßenswert ist zudem die Feststellung des OVG, dass ein „Rundumschlag“ gegen gewerbliche Sammlungen, mit dem diese nicht einmal bis zu der sog. Irrelevanzschwelle zugelassen werden, rechtswidrig ist. Damit hat – soweit ersichtlich – erstmals ein Obergericht klarge stellt, dass die Behörde bei einer Überschreitung der Irrelevanzschwelle, die zum Entgegenstehen überwiegender öffentlicher Interessen führt, vorrangig gehalten ist, mit Maßnahmen nach § 18 Abs. 5 Satz 1 KrWG (Auflagen, Bedingungen, Befristungen) eine gesetzeskonforme Sammlungsdurchführung zu gewährleisten; eine Volluntersagung der gewerblichen Sammlungen kommt nur in Betracht, wenn dies nicht möglich ist.
Quelle: Köhler & Klett Rechtsanwälte
Das dazu gehörige Fachseminar ist in der Seminarwelt des IWU Magdeburg auffindbar.