Pflanzenschutzrecht: Bestimmungen/Ausgleichsmaßnahmen, die mit dem Schutz der Biodiversität begründet werden, bedürfen einer gesetzlichen Rechtsgrundlage

Das Verwaltungsgericht Braunschweig (VG) hatte darüber zu entscheiden, ob die Zulassung eines Pflanzenschutzmittels zur Bekämpfung von Unkräutern in der Landwirtschaft (PSM) unter den Vorbehalt gestellt werden darf, dass der Landwirt 10 % seiner Betriebsfläche nicht mit PSM behandelt. Das an der Zulassung von PSM beteiligte Umweltbundesamt (UBA) hatte Zulassungen mit einem dahingehenden Vorbehalt versehen und dies mit dem Schutz der Biodiversität begründet. Das Gericht hat mit Urteil vom 04.09.2019 in zwei Verfahren (9 A 11/19 und 9 A 18/19) entschieden, dass diese Bestimmung mangels Rechtsgrundlage im europäischen oder deutschen Recht rechtswidrig ist.

PSM dürfen innerhalb der EU nur dann in Verkehr gebracht werden, wenn sie zugelassen sind. Die Voraussetzungen für die Zulassung sind in der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 (VO 1107/2009) rechtsverbindlich für alle Mitgliedstaaten geregelt. Der Antragsteller hat einen Anspruch auf Erteilung der Zulassung, wenn die Voraussetzungen des Art. 29 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 4 Abs. 3 VO 1107/2009 vorliegen. Hierzu gehört, dass PSM keine unannehmbaren Auswirkungen auf die Umwelt haben. Dies umfasst grundsätzlich auch die Prüfung, ob ein PSM Auswirkungen auf die biologische Vielfalt und das Ökosystem hat, allerdings nur dann, wenn es von der Behörde (dies ist hier die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit – EFSA) anerkannte wissenschaftliche Methoden zur Bewertung dieser Auswirkungen gibt. Dies hat das VG mit seinen Entscheidungen ausdrücklich bestätigt und mit Wortlaut und Sinn und Zweck der Regelung begründet. Sinn und Zweck der Regelung sei es, „unter Berücksichtigung des mit der Verordnung verfolgten Harmonisierungsbestrebens […] gerade für Bereiche, deren Bewertung sich wegen einer Vielzahl einwirkender Faktoren schwierig gestaltet und verschiedenen Lösungsansätzen zugänglich ist, die Anwendung einheitlicher Bewertungsmethoden in sämtlichen Mitgliedstaaten der EU zu gewährleisten“.

Den Zulassungsbehörden der Mitgliedstaaten ist es daher verwehrt, eigene Bewertungsmethoden zu entwickeln und anzuwenden.

Wenn Auswirkungen auf die biologische Vielfalt mangels anerkannter wissenschaftlicher Bewertungsmethoden in der EU nicht zum zulässigen Prüfungsumfang eines PSM gehören, rechtfertigen sie auch keine nationalen Regelungen, mit denen die Zulassung eines PSM eingeschränkt wird. Dennoch prüft das VG ergänzend, ob das geltende Recht eine Grundlage dafür bietet, im Rahmen der Zulassung von PSM eine Regelung über Biodiversitätsflächen zu erlassen. Nach europäischem und deutschem Pflanzenschutzrecht können die Zulassungsbehörden Regelungen über die Verwendung oder Anwendung eines PSM treffen, also z.B. über die Höchstzahl der Behandlungen pro Jahr. Auf diese Regelungskompetenz hatte sich das UBA berufen. Hierzu erkannte das Gericht, dass Ziel und Zweck der vom UBA getroffenen Regelung nicht die Verwendung oder Anwendung von PSM sei, sondern eine – gesetzlich nicht vorgesehene – Festsetzung von Kompensationsmaßnahmen. Nach dem Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip benötigten Regelungen, die von wesentlicher Bedeutung sind, einer ausdrücklichen Regelung durch den Gesetzgeber. „Wesentlich“ ist eine Regelung dann, wenn sie für die Verwirklichung der Grundrechte erheblich ist oder Fragen betrifft, die für Staat und Gesellschaft von erheblicher Bedeutung sind. Entsprechendes gilt auf der Ebene der EU. Demzufolge hat das Gericht entschieden: „Nach diesen Maßgaben bedürfen Kompensationsmaßnahmen der hier in Rede stehenden Art einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung, die erkennen lässt, dass auch kompensatorische Anordnungen vom Willen des Gesetzgebers gedeckt sind, und die der Exekutive insoweit ein hinreichend bestimmt umrissenes Handlungsprogramm vorgibt“.

Der Entscheidung ist uneingeschränkt zuzustimmen. Das Anliegen (auch) des UBA, die Biodiversität zu schützen, ist berechtigt. Dies hat das VG ausdrücklich festgestellt. Allerdings ist der von der Behörde hierzu eingeschlagene Weg untauglich. Es ist Sache des Gesetzgebers, innerhalb des durch das Grundgesetz und die europäische Grundrechtecharta vorgegebenen Rahmens zu entscheiden, mit welchen Maßnahmen und mit Bezug auf welche möglichen Verursacher Biodiversitätsverlusten begegnet werden kann. Mit Bezug auf die Landwirtschaft als einem möglichen Verursacher wird dabei zu klären sein, ob rein nationale Maßnahmen, die allein die in Deutschland tätigen Landwirte treffen, mit europäischem Recht vereinbar sind. Auch die Entschädigung der Landwirte und der Hersteller von PSM ist zu prüfen, ebenso wie die allgemeinen Grundsätze der Verhältnismäßigkeit.

Wir werden die weitere Entwicklung verfolgen.

Quelle: Köhler & Klett Rechtsanwälte

Das dazu gehörige Fachseminar ist in der Seminarwelt des IWU Magdeburg auffindbar.