Industrieemissionen-Richtlinie – Umsetzung in deutsches Recht

 

Die Richtlinie 2010/75/EG über Industrieemissionen (im Folgenden: IED) ist am 6. Januar 2011 in Kraft getreten. Die IED fasst sieben bislang geltende Richtlinien in einem neuen Regelwerk zusammen: Die IVU-Richtlinie (2008/1/EG), drei Richtlinien zu Titandioxid (78/176/EWG, 82/883/EWG, 92/112/EWG), die Lösemittel- Richtlinie (1999/13/EG), die Abfallverbrennungs-Richtlinie (2000/76/EG) sowie die Großfeuerungsanlagen-Richtlinie (2001/80/ EG). Betroffen sind europaweit mehr als 50.000 Industrieanlagen. Die IED stärkt vor allem die Funktion der BVT-Merkblätter als Maßstab für den Anlagenbetrieb, schafft aber auch eine Reihe neuer Überwachungs- und Kontrollinstrumente. Die IED muss bis zum 7. Januar 2013 in deutsches Recht umgesetzt werden. Ein vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (BMU) erarbeiteter erster Gesetzes- und Verordnungsentwurf (Stand 25.11.2011) befindet sich derzeit im Anhörungsverfahren.

 

Mit der IED will der europäische Gesetzgeber eine Verbesserung und Vereinheitlichung von Umweltstandards in Europa bei der Errichtung und dem Betrieb von Industrieanlagen erreichen. Als Instrumente hierfür sollen unter anderem schärfere Grenzwerte für Emissionen bestimmter Industrien (z.B. Großfeuerungsanlagen), die Verstärkung des Einsatzes „bester verfügbarer Techniken“ (BVT), die verbindliche Anwendung von BVT in Genehmigungsverfahren, Anreize und Konzepte für die Entwicklung und Anwendung von Zukunftstechnologien sowie neue Überwachungs-, Berichts- und Sanierungspflichten dienen. Betroffen sind – verkürzt gesagt – sämtliche Industrieanlagen, die derzeit schon in einem förmlichen Genehmigungsverfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) genehmigungspflichtig sind (sog. Spalte 1-Anlagen). Die IED führt in einem Anhang zu Art. 10 IED alle betroffenen Anlagen abschließend auf. Das BMU plant, den Anhang der 4. BImSchV entsprechend zu überarbeiten und das bislang bekannte System der Spalte 1- bzw. Spalte 2-Anlagen neu zu gestalten: Danach soll den einzelnen Anlagentypen die jeweilige Verfahrensart (Genehmigungsverfahren mit Öffentlichkeitsbeteiligung oder vereinfachtes Verfahren) zugeordnet und zudem gekennzeichnet werden, ob diese Anlagenart Gegenstand der Anlage gemäß Art. 10 IED ist.

 

Aus Sicht der Anlagenbetreiber sind in besonderer Weise die rechtlichen Neuerungen bei der Verwirklichung des Maßstabes der besten verfügbaren Techniken für ihre Anlage zu beachten: Künftig werden aus den BVT-Merkblättern, die grundsätzlich alle acht Jahre zu überprüfen und gegebenenfalls zu aktualisieren sind, die zentralen Elemente als BVT-Schlussfolgerungen in einem formalisierten Verfahren festgelegt. Diese bilden dann wiederum die Grundlage für die Festlegung von Genehmigungsauflagen. Die zuständige Behörde muss nach Art. 15 Abs. 3 IED Emissionsgrenzwerte für Schadstoffe festlegen, mit denen sichergestellt wird, dass die Emissionen unter normalen Betriebsbedingungen die mit den besten verfügbaren Techniken assoziierten Emissionswerte, wie sie in den Entscheidungen über die BVT-Schlussfolgerungen festgelegt sind, nicht überschreiten. Sobald auf europäischer Ebene neue BVT-Schlussfolgerungen veröffentlicht worden sind, muss die zuständige Behörde innerhalb von vier Jahren die Genehmigungsauflagen der betreffenden Anlage auf den neuesten Stand bringen und sicherstellen, dass die betreffende Anlage diese Genehmigungsauflagen einhält (Art. 21 Abs. 3 IED). Der BMU-Entwurf übernimmt diese Frist und sieht für Anlagen, die nicht im Katalog der Anlagenarten der IED aufgeführt sind, eine Anpassungsfrist von sechs Jahren vor (dies betrifft im wesentlichen die sog. Spalte 2-Anlagen).

 

Art. 15 Abs. 4 IED sieht vor, dass die zuständige Behörde auch weniger strenge Emissionsgrenzwerte festlegen darf. Dies ist jedoch nur in engen Grenzen zulässig, namentlich dann, wenn die Anwendung der BVT-Schlussfolgerungen angesichts des „geographischen Standortes“ und der „lokalen Umweltbedingungen“ oder aufgrund technischer Merkmale der betroffenen Anlage gemessen am Umweltnutzen mit unverhältnismäßig höheren Kosten verbunden wäre. Ob und inwiefern dieser Ausnahmetatbestand für deutsche Industrieanlagen überhaupt zur Geltung kommen könnte, ist umstritten. Die Entwürfe des BMU setzen nicht sämtliche Ausnahmetatbestände der IED in deutsches Recht um. Danach soll eine Festlegung weniger strenger Emissionsgrenzwerte nur möglich sein, wenn die Anwendung der in den BVT-Schlussfolgerungen genannten Emissionsbandbreiten wegen technischer Merkmale der Anlage oder Anlagenart unverhältnismäßig wäre (vgl. § 7 Abs. 1 a und 1 b BImSchG-Entwurf).

 

Ein wesentlicher, weiterer neuer Aspekt der IED besteht darin, dass die Anlagenüberwachung effizienter und transparenter gestaltet werden soll. Art. 23 IED verpflichtet die Mitgliedstaaten zu einem strengen Inspektionsregime: Die Mitgliedstaaten sollen ein System für Umweltinspektionen von Anlagen einführen, das die Prüfung der gesamten Bandbreite an Auswirkungen der betreffenden Anlagen auf die Umwelt umfasst. Gemeint sind damit eine Vielzahl von Maßnahmen, einschließlich der Besichtigung an Ort und Stelle, der Überwachung der Emissionen und Überprüfung interner Berichte und Folgedokumente, der Überprüfung der Eigenkontrolle, der Prüfung der angewandten Techniken und der Eignung des Umweltmanagements der Anlage (vgl. Art. 3 Nr. 22 IED). Im BMU-Entwurf eines geänderten BImSchG wird hierfür eigens ein neuer § 52 a geschaffen, der sich mit Überwachungsplänen und -programmen befasst.

 

Die Mitgliedstaaten müssen ein System implementieren, das sicherstellt, dass alle Anlagen auf nationaler, regionaler und lokaler Ebene durch einen Umweltinspektionsplan abgedeckt sind. Dieser Plan ist regelmäßig zu überprüfen und zu aktualisieren. Neu ist, dass die Behörde nach jeder Vor-Ort-Besichtigung einen Bericht erstellen muss, der alle relevanten Feststellungen bezüglich der Einhaltung der Genehmigungsauflagen und etwaigen Schlussfolgerungen bzw. Notwendigkeiten zu Maßnahmen enthält und dem Anlagenbetreiber binnen zwei Monaten zu übermitteln und binnen vier Monaten öffentlich bekannt zu machen ist (vgl. § 52 a Abs. 5 BImSchG-Entwurf). Ungeregelt ist dabei jedoch der Umgang mit Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen des Anlagenbetreibers, auf deren Wahrung die Betroffenen sorgfältig achten sollten.

 

Eine weitere wesentliche Neuerung besteht darin, dass Betreiber von Industrieanlagen mit Blick auf eine mögliche Verschmutzung des Bodens und Grundwassers auf dem Gelände der Anlage im Rahmen von Genehmigungs- oder Änderungsgenehmigungsverfahren einen Bericht über den Ausgangszustand erstellen und diesen der zuständigen Behörde unterbreiten müssen, bevor die Anlage in Betrieb genommen oder die Genehmigung für die Anlage erneuert wird, wenn im Rahmen der Tätigkeit relevante gefährliche Stoffe verwendet werden (Art. 22 Abs. 2 IED). Erstmals soll dies ab dem 07. Januar 2013 gelten. Der Bericht über den Ausgangszustand muss im Falle eines Genehmigungsverfahrens Gegenstand des Genehmigungsantrags sein (vgl. Art. 12Abs. 1 lit. e) IED; vgl. § 4 a 9. BImSchV-Entwurf). Bei endgültiger Einstellung der Tätigkeiten bewertet der Betreiber den Stand der Boden- und Grundwasserverschmutzung durch einschlägige gefährliche Stoffe, die durch die Anlage verwendet, erzeugt oder freigesetzt wurden, neu und ist bei einer Verschlechterung des Zustands grundsätzlich zu einer Sanierung des Grundstücks verpflichtet (vgl. § 5 Abs. 3 Nr. 3 BImSchG-Entwurf).

 

Der Gesetzes- und Verordnungsentwurf des BMU betrifft auch eine Reihe anderer Gesetze, die im Rahmen der Umsetzung der IED geändert werden sollen, namentlich das Wasserhaushaltsgesetz (WHG) (Anwendung der BVT-Schlussfolgerungen auf industrielle Kläranlagen), das Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung sowie einer Reihe von Verordnungen. Das BMU hat in einem Schreiben vom 25.11.2011 die Verbände für den 16. Januar 2012 zur Anhörung geladen. Schriftliche Stellungnahmen können bis zum 6. Januar 2012 an das BMU gesandt werden.

 

Quelle: Köhler & Klett Rechtsanwälte