Abfallrechtliche Entsorgungspflichten richten sich nicht nur an den Erzeuger, sondern auch an den Besitzer von Abfällen. Bereits das Eigentum an einem Grundstück kann ausreichen, um den Abfallbesitz des Grundstückseigentümers zu begründen und ein behördliches Vorgehen gegen ihn zu rechtfertigen. Nach einer neueren Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts Magdeburg (OVG) sind der abfallrechtlichen Verantwortlichkeit des Grundstückseigentümers allerdings grundrechtliche Grenzen gesetzt.
Nach deutschem Ordnungsrecht ist neben demjenigen, der eine Gefahr verursacht hat (sog. Verhaltensstörer), klassischerweise auch derjenige zur Gefahrenabwehr verpflichtet, der die rechtliche Verantwortung für den Zustand der Sache trägt, von der die Gefahr ausgeht (sog. Zustandsstörer). Wird die Gefahr durch den Zustand eines Grundstücks verursacht, kann die zuständige Behörde daher regelmäßig auch gegen den Grundstückseigentümer vorgehen. Zwar muss sie dabei im Rahmen ihrer Ermessensausübung entscheiden, ob nicht vorrangig der Verursacher der Gefahr in Anspruch zu nehmen ist. In der Praxis kommt in vielen Fällen ein Vorgehen gegen den Verursacher aber nicht in Betracht, weil dieser unbekannt oder insolvent ist. Die Inanspruchnahme des Zustandsstörers, um eine effektive Abwehr der Gefahr zu ermöglichen, ist dann im Allgemeinen nicht ermessensfehlerhaft. Ausgleichsansprüche des Eigentümers gegen den Verursacher sind in solchen Fällen, falls sie überhaupt bestehen, de facto wertlos.
Die Zustandshaftung stellt für einen Grundstückseigentümer vor allem dann eine besondere Belastung dar, wenn die Gefahrenursache ohne seine Kenntnis und ohne sein Zutun gesetzt wurde – gelegentlich wird hier auch von einer „Opferposition“ gesprochen. Bedenkt man, dass die Kosten für die Gefahrenbeseitigung nicht selten weit über den Wert des Grundstücks hinausgehen, wirft das die Frage auf, ob seine Haftung noch mit dem grundrechtlichen Eigentumsschutz vereinbar ist. Das Bundesverfassungsgericht hat dies in einer grundlegenden Entscheidung aus dem Jahr 2000 zwar im Grundsatz bejaht, der Haftung des Grundstückseigentümers im Bereich der Altlastensanierung aber Grenzen gesetzt. Nicht abschließend geklärt ist bisher, inwieweit die Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts auch für andere Gebiete des Ordnungsrechts gelten. Hinsichtlich der Inanspruchnahme eines Grundstückseigentümers nach dem Abfallrecht hat sich zu dieser Frage nun das OVG in einem begrüßenswerten Beschluss vom 12.06.2013 (Az. 2 M 28/13) geäußert.
In dem der Entscheidung zugrunde liegenden Fall hatte die Eigentümerin ihr Grundstück an eine Gesellschaft verpachtet, die dort eine immissionsschutzrechtlich genehmigte Anlage zum Umschlag, zur Behandlung und zur zeitweiligen Lagerung von Altholz und anderen brennbaren Abfällen betrieb. Dabei wurden, offenbar über einen längeren Zeitraum, auf dem Grundstück große Mengen von in der Anlage erzeugten Ersatzbrennstoffen sowie unbehandeltem Altholz angesammelt; darüber hinaus wurden dort rechtswidrig auch hausmüllartige Gewerbeabfälle gelagert. Die zuständige Abfallbehörde verlangte zunächst von der Anlagenbetreiberin die vollständige Beräumung des Grundstücks. Nachdem diese Gesellschaft wegen Vermögenslosigkeit im Handelsregister gestrichen worden war, wandte sich die Behörde an die Grundstückseigentümerin und verpflichtete sie mit einer sofort vollziehbaren Ordnungsverfügung, die auf dem Grundstück noch vorhandenen Abfälle zu beseitigen. Die voraussichtlichen Kosten dafür hätten ungefähr das Vierfache des Grundstückswertes ausgemacht. Den gegen die Beseitigungsverfügung gerichteten Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes wies das Verwaltungsgericht erstinstanzlich zurück, er hatte aber im Beschwerdeverfahren vor dem OVG Erfolg.
In den Entscheidungsgründen führt das OVG zunächst aus, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 15 Abs. 1 Satz 1 Kreislaufwirtschaftsgesetz erfüllt seien. Nach dieser Vorschrift sind die Erzeuger und Besitzer von Abfällen, die nicht verwertet werden, verpflichtet, diese Abfälle zu beseitigen, soweit keine Überlassungspflicht an den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger besteht. Die Antragstellerin ist nach Ansicht des OVG Besitzerin der auf dem Grundstück gelagerten Abfälle geworden, ohne dass es auf einen Besitzbegründungswillen ankäme. Denn das Eigentum oder der Besitz an einem nicht allgemein zugänglichen Grundstück vermittelten nach der Verkehrsauffassung gleichzeitig die tatsächliche Gewalt über die darauf befindlichen Gegenstände. Nach dieser Erwägung ging der Abfallbesitz auf die Antragstellerin ohne ihr Zutun über, als infolge der Streichung der Betreibergesellschaft im Handelsregister die rechtliche Existenz des früheren Abfallbesitzers endete.
Das – in der Praxis in ähnlicher Form häufig vorgebrachte – Argument der Eigentümerin, sie habe der Abfallbehörde noch während des Anlagenbetriebs Hinweise auf die Überbestände und die unzulässige Abfalllagerung gegeben, weshalb die Behörde eine Mitverantwortung für den rechtswidrigen Zustand trage, weist das OVG zurück. Fehlerhaftes behördliches Handeln und behördliche Überwachungsdefizite würden weder die grundsätzliche Verantwortung des Zustands- oder Verhaltensstörers beseitigen noch zu einer eigenen Störerhaftung der Behörde führen. Dies steht im Einklang mit der Rechtsprechung anderer Oberverwaltungsgerichte.
Nach Ansicht des OVG war die Beseitigungsverfügung jedoch deshalb rechtswidrig, weil die Grenzen der Zustandshaftung des Grundstückseigentümers, die sich aus seinem Eigentumsgrundrecht ergeben, von der Behörde nicht hinreichend beachtet worden waren. Damit überträgt das OVG die eingangs erwähnte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Altlastensanierung auf das Abfallrecht: Zur Bestimmung der Grenze der zumutbaren Kostenbelastung eines Eigentümers biete namentlich der Verkehrswert des Grundstücks einen Anhaltspunkt. Werde dieser von den Kosten überschritten, entfalle in der Regel das Interesse des Eigentümers an einem künftigen privatnützigen Gebrauch des Grundstücks, und der Eigentümer könne zudem nicht damit rechnen, die entstehenden Kosten durch eine Veräußerung des Grundstücks gedeckt zu halten.
Dass es sich bei dem Verkehrswert des Grundstücks nicht um eine starre Grenze der Zustandshaftung handelt, zeigen allerdings die nachfolgenden Ausführungen des OVG. So sei eine den Verkehrswert übersteigende Kostenbelastung zumutbar, wenn es der Eigentümer zulasse, dass sein Grundstück in einer risikoreichen Weise genutzt werde, wie etwa im vorliegenden Fall durch den Betrieb einer Abfallentsorgungsanlage. In einem solchen Fall komme es auch nicht darauf an, wenn der Eigentümer darauf achte, dass dem Anlagenbetreiber von der Behörde die Leistung einer Sicherheit aufgegeben werde. Gleichwohl sei es dem Grundstückseigentümer nicht zumutbar, für die Abfallentsorgung unbegrenzt auch mit Vermögen einzustehen, das in keinem rechtlichen oder wirtschaftlichen Zusammenhang mit dem sanierungsbedürftigen Grundstück stehe. Die Grenze ergebe sich aus dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der eine Abwägung zwischen den schutzwürdigen Eigentümerinteressen und den Belangen der Allgemeinheit erfordere. Im vorliegenden Fall war die Beseitigungsverfügung nach Ansicht des Gerichts rechtswidrig, weil die Behörde eine solche Abwägung nicht vorgenommen hatte.
Mit dieser Entscheidung dürfte das OVG eine neue Entwicklung im Abfallrecht angestoßen haben. Ob sie sich durchsetzen wird, lässt sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht verlässlich einschätzen. Sollte dies, was wünschenswert erscheint, der Fall sein, wird noch genauer geklärt werden müssen, in welchen Fällen die Haftungsbegrenzung des Abfallbesitzers zum Tragen kommt. Schwierige Rechtsfragen können sich hier daraus ergeben, dass die abfallrechtliche Zustandshaftung nicht unmittelbar an das Eigentum oder den Besitz des Grundstücks anknüpft, sondern an den Besitz der Abfälle, die – von Ablagerungen abgesehen – rechtlich nicht als Bestandteil des Grundstücks anzusehen sind. Es stellt sich damit die Frage, unter welchen Voraussetzungen der Zusammenhang zwischen dem Grundstück und den darauf befindlichen Abfällen eng genug ist, um den Grundstücksverkehrswert als maßgebliche Grenze der abfallrechtlichen Entsorgungspflichten heranziehen zu können. Das OVG ist auf diese Frage nicht eingegangen, konnte jedoch wohl von einem ausreichenden Zusammenhang ausgehen, weil im entschiedenen Fall der Abfallbesitz allein durch das Grundstückseigentum vermittelt wurde.
Quelle: Köhler & Klett Rechtsanwälte