Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am 28.05.2020 (Rs. C-654/18) ein wegweisendes Urteil zu der grundsätzlichen Frage gefällt, ob – und gegebenenfalls bis zu welcher Grenze – ein Abfall, der grenzüberschreitend verbracht werden soll, Fremdstoffe enthalten darf, ohne dass eine Notifizierung erforderlich ist.
Mit seiner Entscheidung vom 28.05.2020 widerspricht der EuGH insbesondere der von der Sonderabfallagentur Baden-Württemberg (SAA) und der polnischen Regierung in dem Verfahren vertretenen Auffassung, dass Abfälle – jedenfalls im Grundsatz – fremdstofffrei sein müssten, damit sie in die Grüne Liste eingestuft und notifizierungsfrei verbracht werden können. Allein aus Praktikabilitätsgründen wollte die SAA geringfügige Fremdstoffanteile von 1 bis 2 % dulden – der Fremdstoffanteil des in dem Verfahren streitigen Abfalls lag mit bis zu 10 % weit darüber.
Der EuGH sieht dies anders: Er hält eine Notifizierung nicht allein deshalb für notwendig, weil der Abfall Fremdstoffe enthält. Der Unionsgesetzgeber sei sich bewusst gewesen, dass es technisch schwierig – wenn nicht unmöglich – sei, sicherzustellen, dass Abfallströme vollständig fremdstofffrei seien. Die Auffassung der SAA, die in ähnlicher Form auch von anderen deutschen Behörden vertreten wird, ist danach nicht mehr haltbar.
Gefolgt ist der EuGH demgegenüber dem Ansatz, dass für die Zulässigkeit eines Fremdstoffanteils entscheidend ist, ob durch diesen Anteil das Gefahrenpotenzial der Abfälle erhöht oder ihre umweltgerechte Verwertung verhindert wird. Diese Kriterien ergeben sich, wie der EuGH nunmehr bestätigt hat, aus der EU-Abfallverbringungsverordnung selbst und sind für Behörden und Gerichte der Mitgliedstaaten verbindlich. Wenngleich die Mitgliedstaaten einen Gestaltungsspielraum bei Anwendung dieser Kriterien haben, müssen sie sich nach ihnen orientieren. Damit erteilt der EuGH nicht zuletzt den vielfältigen im behördlichen Vollzug anzutreffenden Versuchen eine klare Absage, die die Fremdstoffproblematik völlig losgelöst von rechtlichen Regelungen durch pauschale prozentuale Obergrenzen – je nach Behörde zwischen 1 % und 10 % – lösen wollen.
Im Ergebnis gibt der EuGH damit Unternehmen und Behörden einen rechtlich verbindlichen Maßstab für die Lösung der in der Praxis bedeutsamen Fremdstoffproblematik an die Hand. Zugleich stärkt sein Urteil den EU-Binnenmarkt für das Recycling aus zwei Gründen: Erstens, weil die abgelehnte Maximalforderung nach Fremdstofffreiheit und die ebenfalls abgelehnten willkürlichen Prozentgrenzen die Entwicklung europäischer Recyclingmärkte in den letzten Jahren ohne sachlichen Grund zunehmend erschwert haben. Zweitens, weil die vom EuGH herangezogenen Kriterien (Erhöhung des Gefahrenpotenzials? Verhinderung einer umweltgerechten Verwertung?) nicht nur zu sachgerechten Ergebnissen, sondern auch zu geringeren Unterschieden beim Umgang mit Fremdstoffen auf nationaler wie europäischer Ebene führen werden.
Das Ergebnis der Entscheidung ist gerade auch im Vergleich mit rein innerstaatlichen Abfallverbringungen überzeugend: Denn es ist nicht nachvollziehbar, warum z.B. eine Altpapierfraktion mit einem Fremdstoffanteil von 7 %, der weder das Gefahrenpotenzial dieses Sekundärrohstoffs erhöht noch dessen beabsichtigtes Recycling verhindert, von Hamburg nach München ohne jedwede behördliche Restriktion (vom A-Schild einmal abgesehen) verbracht werden kann, im Fall einer Verbringung desselben Abfalls von Hamburg nach Dänemark dagegen wegen eben dieses Fremdstoffanteils vor der Verbringung ein äußerst komplexes, zeit- und kostenaufwändiges transnationales Genehmigungsverfahren durchgeführt werden soll.
Quelle: Köhler & Klett Rechtsanwälte
Das dazu gehörige Fachseminar ist in der Seminarwelt des IWU Magdeburg auffindbar.