EuGH: Zulässiger Eingriff durch FFH-Richtlinie in bestandsgeschützten Planfeststellungsbeschluss

In einem jahrelangen Rechtsstreit zwischen der Stadt Papenburg und der Bundesrepublik Deutschland wegen des Vollzugs der Flora-Fauna- Habitat-Richtlinie (FFH-RL) entlang von Teilen der Ems hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit Urteil vom 14.01.2010 eine grundlegende Entscheidung zum Verhältnis zwischen Naturschutzrecht und wirtschaftlicher Betätigung, insbesondere bei bestandsgeschützten planfestgestellten Vorhaben, getroffen. Die Aussagen des EuGH wirken weiter über den konkreten Rechtsfall hinaus und betreffen sämtliche Vorhaben im Einzugsbereich von FFH-Gebieten.

Im konkreten Fall ging es um die Erteilung des Einvernehmens der Bundesrepublik Deutschland gegenüber der Europäischen Kommission zur Aufnahme bestimmter Teile der Ems in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung im Sinne der FFH-RL. Hierunter sind solche Gebiete zu verstehen, die die natürlichen Lebensraumtypen und Habitate der Arten umfassen, die in der FFH-RL angegeben werden. Deren Fortbestand oder gegebenenfalls die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustandes soll gewährleistet werden.

Die Stadt Papenburg sah durch diese Entwicklung ihre Rechte aus einem im Jahre 1994 von der Wasser- und Schifffahrtsdirektion aufgestellten Planfeststellungsbeschluss gefährdet, der es gestattete, die Ems künftig bei Bedarf auszubaggern (sog. Bedarfsbaggerungen). Denn bei einer Aufnahme bestimmter Teile der Ems in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung hätte die Bundesrepublik Deutschland zukünftig Schutzmaßnahmen treffen müssen, die den wirtschaftlichen Interessen der Stadt mutmaßlich zuwidergelaufen wären. Pläne und Programme, die ein geschütztes Gebiet beeinträchtigen könnten, wären auf ihre Verträglichkeit mit den für dieses Gebiet festgesetzten Erhaltungszielen zu prüfen und gegebenenfalls abzulehnen oder nur unter Anwendung von Ausgleichsmaßnahmen durchführbar (vgl. Art. 6 Abs. 2 bis 4 FFHRL).

Die Stadt Papenburg erhob daher Klage vor dem Verwaltungsgericht Oldenburg, um zu verhindern, dass die Bundesrepublik Deutschland ihr Einvernehmen erteilte. Das VG Oldenburg wiederum setzte das Verfahren aus und legte die Angelegenheit dem EuGH vor.

Der EuGH hat nun mit Urteil vom 14.01.2010 (Rs. C-226/08) entschieden, dass es einem Mitgliedstaat nicht erlaubt sei, sein Einvernehmen zur Aufnahme eines oder mehrerer Gebiete in einen von der Europäischen Kommission erstellten Entwurf einer Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung aus anderen als naturschutzfachlichen Gründen zu verweigern. Eine Verweigerung des Einvernehmens aufgrund wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und kultureller Anforderungen sowie regionaler und örtlicher Besonderheiten ist, so der EuGH, ausdrücklich nicht statthaft.

Ferner hat der EuGH Art. 6 Abs. 3 und 4 FFH-RL dahin ausgelegt, dass fortlaufende Unterhaltungsmaßnahmen in der Fahrrinne eines Wasserkörpers, die nicht unmittelbar mit der Verwaltung des Gebietes in Verbindung stehen oder hierfür nicht notwendig sind, durchaus einer Verträglichkeitsprüfung nach der FFH-RL zu unterziehen sind. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn diese Maßnahmen ein Projekt darstellen und das betreffende Gebiet erheblich beeinträchtigen können. Dabei kommt es nicht darauf an, dass die Maßnahme bereits vor Ablauf der Umsetzungsfrist der FFH-RL nach nationalem Recht genehmigt wurde.

Regelmäßig wiederkehrende Unterhaltungsmaßnahmen (und hier konkret die mit den Ausbaggerungen bezweckte Beibehaltung einer bestimmten Tiefe der Ems) können jedoch als einheitliche Maßnahme und somit als ein einziges Projekt im Sinne der FFH-RL angesehen werden.

Die Entscheidung verschafft dem Naturschutzrecht und insbesondere dem Instrument der FFH-Verträglichkeitsprüfung mehr Geltung. Betrachtet man sie im Kontext jüngerer Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts, die sich mit Defiziten im Zusammenhang mit FFH-Verträglichkeitsprüfungen befassen (zuletzt BVerwG, Beschluss vom 10.12.2009 zu Ermittlungs- und Bewertungsdefiziten der FFH-Verträglichkeitsprüfung bei der Planfeststellung für den Bau einer Bundesfernstraße; grundlegend im Übrigen auch BVerwG, Urt. v. 17.01.2007 zu Westumfahrung Halle), so kommt es künftig verstärkt darauf an zu prüfen, wie den Belangen des Naturschutzes am besten Rechnung getragen werden kann. Es bleibt freilich auch bei der Möglichkeit zu Ausnahmeentscheidungen, etwa im Hinblick auf wirtschaftliche Interessen. Die FFH-RL lässt hierfür durchaus Raum.

Quelle: Köhler & Klett Rechtsanwälte