Die Forderung umfassender Kostendeckung bei allen Wasserdienstleistungen

Mit Gründen versehene Stellungnahme der Europäischen Kommission im Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland

 

Kostendeckende Wasserpreise scheinen aus ökonomischer und ökologischer Sicht sinnvoll zu sein. Auch aus juristischer Sicht ist man geneigt, gerade im Wasserbereich die Kostendeckung zu fordern. Ein jüngst auf der europäischen Ebene eingeleitetes Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland zeigt jedoch, dass das Thema der kostendeckenden Wasserpreise in rechtliche und rechtspolitische Kontroversen führt.

 

Art.9 der Wasserrahmenrichtlinie 2000/60/EG (WRRL) trägt die Überschrift „Deckung der Kosten der Wasserdienstleistungen“. Diese Vorschrift ist nicht leicht verständlich und hat in Deutschland zunächst geringe Beachtung gefunden. Dabei herrschte die Meinung vor, dass die europarechtlichen Anforderungen des Art. 9 WRRL in Deutschland schon durch die Erhebung von Wasserbenutzungsgebühren sowie von Abwassergebühren erfüllt seien. Zur Begründung verwies man auf das wohlgeordnete Kommunalabgabenrecht der Länder und dessen Ergänzung durch kommunales Satzungsrecht. Auch das Wasserverbandsrecht mit den Beitragspflichten der Mitglieder schien geeignet, die europarechtliche Forderung der Kostendeckung bei „Wasserdienstleistungen“ zu erfüllen; insoweit ist sowohl an die Wasserverbände allgemeinen Rechts (d.h. nach dem Wasserverbandsgesetz des Bundes) als auch an die großen Wasserverbände nach den nordrhein-westfälischen Sondergesetzen (wie z.B. die Emschergenossenschaft, den Ruhrverband, den Lippeverband, den Erftverband und den Wasserverband Eifel-Rur) zu denken. So wurde bis vor kurzem das deutsche Gebühren- und Beitragsrecht nicht nur als ausreichender, sondern auch als vorbildlicher Modus für die Erhebung kostendeckender Wasserpreise i.S. des Art. 9 WRRL angepriesen.

 

Die Europäische Kommission misst indessen den Anforderungen des Art. 9 WRRL eine wesentlich weitergehende Bedeutung bei und wirft der Bundesrepublik Deutschland eine unzureichende Erfüllung dieser Anforderungen vor. Einer Mitteilung der Kommission vom 29.09.2011 ist zu entnehmen, dass diese von der Bundesrepublik eine umfassende Kostendeckung bei allen Wasserdienstleistungen verlangt und Deutschland insofern Defizite vorhält. Dies erscheint auf den ersten Blick überraschend.

 

Geht man dem Dissens nach, so zeigt sich, dass die Europäische Kommission den Schlüsselbegriff „Wasserdienstleistungen“ in einem gänzlich anderen und wesentlich weiterreichenden Sinne versteht, als es bisher in Deutschland üblich ist. Die Kommission verfolgt ein umweltökonomisches Konzept. Sie fordert, dass die lebensnotwendige und schutzbedürftige Umweltressource Wasser nicht kostenlos verwendet und folglich allzu leicht verschwendet wird. Vielmehr soll die kostbare Ressource Wasser nur gegen kostendeckende Preise zur Verfügung gestellt und genutzt werden. Dadurch soll das Wasser in quantitativer und qualitativer Hinsicht geschützt und geschont werden. Die kostendeckenden Wasserpreise sollen mithin im Interesse des Gewässerschutzes als umweltökonomisches Instrument fungieren.

 

In Deutschland sind dadurch vor allem die Wasserentnahmeabgabe, die bisher – mit unterschiedlichen Bezeichnungen – nur in einigen Bundesländern vorgeschrieben und überdies sehr unterschiedlich ausgestaltet ist, und die bundesgesetzlich geregelte, aber seit langem stagnierende und häufig kritisierte Abwasserabgabe unter den Druck europarechtlicher Forderungen geraten. Die Bundesrepublik wird sich wohl umorientieren müssen. Umweltökonomische Instrumente, insbesondere Umweltabgaben, erhalten hierdurch im Wasserrecht die Aussicht, aus ihrem langjährigen Schattendasein herauszutreten.

 

Die Mitteilung der Kommission vom 29.09.2011 informiert darüber, dass die Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gem. Art. 258 Abs. 1 AEUV gegen die Bundesrepublik Deutschland eingeleitet hat, indem sie „eine mit Gründen versehene Stellungnahme“ vorgelegt und der Bundesregierung damit die Gelegenheit zur Äußerung gegeben hat. Kommt die Bundesrepublik dieser Stellungnahme nicht innerhalb der von der Kommission gesetzten Frist von zwei Monaten in zufriedenstellender Weise nach, so kann die Kommission gem. Art. 258 Abs. 2 AEUV den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) anrufen.

 

Gegenwärtig lässt sich der Ablauf des Vertragsverletzungsverfahrens noch nicht verlässlich einschätzen. Es zeichnet sich jedoch ab, dass die praktische Bedeutung des Art. 9 WRRL bisher unterschätzt worden ist. Die Kommission wird sich von ihrem umweltökomischen Ansatz voraussichtlich nicht abbringen lassen und die Forderung umfassender Kostendeckung bei allen Wasserdienstleistungen wahrscheinlich aufrechterhalten. Allerdings sollte sie diese Forderung dann mit gleichem Nachdruck auch gegenüber anderen EU-Mitgliedstaaten erheben. Zudem ist zu bedenken, dass Umweltabgaben ein weites und schwieriges Feld darstellen. Bisher haben sie im nationalen Rahmen selten gehalten, was Regierungen und Parlamente sich hiervon versprochen haben. Wo der Gesetzgeber hiermit operiert hat, ist ihre „richtige“ Bemessung in der Wissenschaft wie in der komplexen Realität durchweg umstritten geblieben. Hierfür stehen die Erfahrungen mit der Abwasserabgabe und den Wasserentnahmeentgelten.

 

Man wird gespannt sein dürfen, welche rechtspraktischen Konsequenzen der Vorstoß der Europäischen Kommission gegenüber der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich der umfassenden Kostendeckung bei allen – weit verstandenen – Wasserdienstleistungen i.S. des Art. 9 WRRL nach sich ziehen wird.

 

Quelle: Köhler & Klett Rechtsanwälte

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