Der Abzug gelber Tonnen im Auftrag des Systembetreibers wegen Fehlbefüllung kann eine Besitzstörung darstellen

Mit Urteil vom 01.10.2019 (4 U 774/19) hat das Oberlandesgericht Dresden (OLG) einer klagenden Grundstückseigentümerin einen Besitzschutzanspruch gemäß § 862 Abs. 1 Satz 2 BGB zugesprochen, weil die Abfallbehälter gegen den Willen der Klägerin wegen „Fehlbefüllung“ abgezogen worden sind. Den ebenfalls eingeklagten Schadensersatzanspruch gerichtet auf den Ersatz der Gebühren, die für die Aufstellung zusätzlicher Restabfallbehälter angefallen sind, hat das OLG Dresden allerdings abgewiesen.

Die Klägerin ist Eigentümerin in der Stadt Leipzig gelegener Grundstücke, die mit Mehrfamilienhäusern bebaut sind. Die darin gelegenen Wohnungen werden von der Klägerin vermietet. Zur Erfassung der anfallenden Abfälle und Wertstoffe hat die Klägerin auf ihren Grundstücken eingezäunte und verschlossene Standplätze eingerichtet, auf denen die jeweils erforderlichen Abfallbehälter abgestellt sind. Zutritt zu den Behältern haben nur die Mitarbeiter der Klägerin und die jeweiligen Mieter. An den Leerungsterminen werden die Tore der Standplätze durch die Mitarbeiter der Klägerin geöffnet und die Abfallbehälter für die Leerung bereitgestellt.

Im Gebiet der Stadt Leipzig haben sich die für die Verpackungsentsorgung zuständigen Dualen Systeme darauf verständigt, dass eines von ihnen jeweils in einem Vertragsgebiet die Erfassung der Verpackungsabfälle organisiert. Im Vertragsgebiet Leipzig ist das die „DSD Der Grüne Punkt – Duales System Deutschland GmbH“ (DSD). DSD hat mit der Beklagten, einem Entsorgungsunternehmen, einen Vertrag geschlossen (LVP-Vertrag), in dem sie die Beklagte mit der Erfassung von Leichtverpackungen über die „Gelbe Tonne“ im Gebiet der Stadt Leipzig beauftragt hat. Nach dem LVP-Vertrag ist die Beklagte verpflichtet, die Sammelbehälter bei wiederholter „Fehlbefüllung“ (Befüllung mit einem erheblichen Anteil an Restabfällen oder fraktionsfremden Stoffen) abzuziehen und die betreffenden Behälter zeitweilig von der Entsorgung über die Dualen Systeme auszuschließen.

Die Nutzungsbedingungen für die Gelben Tonnen hat die Beklagte mittels Aufkleber auf den betreffenden Abfallbehältern für die Benutzer kenntlich gemacht.

Aufgrund wiederholter Fehlbefüllungen ist es zum Abzug der Gelben Tonnen durch die Beklagte gekommen. Wie in dem LVPVertrag vereinbart, hatte sich die Beklagte dazu zuvor sowohl mit ihrer Vertragspartnerin DSD, als auch mit der Stadt Leipzig als dem öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger abgestimmt.

Die Klägerin macht mit der Klage als Besitzerin der Gelben Tonnen einen Unterlassungsanspruch gemäß § 862 Abs. 1 Satz 2 BGB sowie Schadensersatz gemäß § 823 BGB gegenüber der Beklagten geltend. Das OLG hat der Klage hinsichtlich des Unterlassungsanspruchs stattgegeben, sie aber im Übrigen abgewiesen.

Nach den Feststellungen des OLG lagen die Voraussetzungen des Unterlassungsanspruchs zum Zeitpunkt des Abzugs der Gelben Tonnen vor. Die Klägerin war zu diesem Zeitpunkt Alleinbesitzerin der Wertstoffbehälter (§ 854 Abs. 1 BGB). Ihr war von Mitarbeitern der Beklagten die tatsächliche und auf Dauer angelegte Sachherrschaft an den Gelben Tonnen überlassen worden. Durch das Einstellen der Tonnen in einem gegenüber Dritten abgeschirmten Bereich, zu dem nur Mitarbeiter der Klägerin und Mieter Zutritt hatten, hatte die Klägerin ihren Besitzbegründungswillen nach außen kenntlich gemacht.

Die Beklagte hat die Besitzstörung durch das Abziehen der Tonnen durch ihre Handlung selbst bewirkt und ist daher unmittelbarer Handlungsstörer. Daran ändert es nichts, dass sie in Abstimmung mit DSD oder auf deren Weisung gehandelt hat. Dieser Umstand hat nur zur Folge, dass der Klägerin möglicherweise auch gegen DSD ein Besitzschutzanspruch zugestanden hat.

Ein Besitzschutzanspruch wäre ausgeschlossen gewesen, wenn die Beklagte gleichrangigen Mitbesitz an den Gelben Tonnen gehabt hätte. Das war aber nicht der Fall. Denn die Mitarbeiter der Beklagten erhielten nur kurzzeitig und vorübergehend die Möglichkeit, auf die von den Mitarbeitern der Klägerin zur Leerung bereitgestellten Abfallbehälter zuzugreifen, um diese zu leeren. Eine solche Zugriffsmöglichkeit begründet keinen Mitbesitz, sondern stellt lediglich eine nicht besitzschutzfähige Sachbeziehung dar.

Die Beklagte hat daher mit dem vorübergehenden Abzug der Tonnen eine Besitzstörung durch verbotene Eigenmacht begangen (§ 862 Abs. 1 BGB). Die Besitzstörung erfolgte ohne den Willen der Klägerin und war auch nicht durch Gesetz gestattet. Die Beklagte wurde allein aufgrund des zwischen ihr und DSD geschlossenen privatrechtlichen Vertrags tätig und kann keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften anführen, die sie zu dem Abzug der Tonnen ermächtigt hätten.

Der Klägerin stand daher der in die Zukunft gerichtete Unterlassungsanspruch gegen die Beklagte zu (§ 862 Abs. 1 Satz 2 BGB). Ist eine Besitzstörung – wie in dem vorliegenden Fall durch das Abziehen der Tonnen – bereits eingetreten, wird die Wiederholungsgefahr vermutet.

Schadensersatzansprüche (§ 823 Abs. 1 und Abs. 2 BGB) stehen der Klägerin dagegen nicht zu. Das gilt schon deshalb, weil sie zum Zeitpunkt des Abzugs der Tonnen nicht mehr zum Besitz berechtigt war, ein Schadensersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 1 BGB aber nur bei berechtigtem Besitz gegeben sein kann. Die wiederholte Fehlbefüllung der Behälter verstieß gegen die Nutzungsbedingungen, die die Beklagte für die Überlassung und Nutzung der Tonnen gemacht hatte. Rechtlich ist damit die Besitzübergabe und -ausübung unter dem Vorbehalt der Einhaltung der Nutzungsbedingungen erklärt worden. Durch den wiederholten Verstoß gegen die Nutzungsbedingungen verlor die Klägerin ihr Recht zum Besitz an den Tonnen. Die Fehlbefüllung durch die Mieter musste sich die Klägerin zurechnen lassen, weil sie den Mietern die Tonnen zur Verfügung gestellt hat und als Vermieterin dafür zu sorgen hatte, dass die Mieter die Abfallbehälter regelkonform benutzen.

Da die Klägerin zum Zeitpunkt des Abziehens der Tonnen nichtmehr zum Besitz berechtigt war, ist die verbotene Eigenmacht, die die Beklagte begangen hat, auch nicht als eine einen Schadensersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB auslösende Schutzgesetzverletzung einzuordnen.

Die Klägerin kann die Gebühren, die sie für die Aufstellung zusätzlicher Restmülltonnen zu tragen hatte, auch deshalb nicht von der Beklagten ersetzt verlangen, weil diese Gebühren auch dann angefallen wären, wenn die Beklagte die Gelben Tonnen auf den Grundstücken der Klägerin belassen, aber nicht geleert hätte. Dazu wäre die Beklagte berechtigt gewesen. Es fehlt daher auch an der Kausalität für den geltend gemachten Schaden.

Quelle: Köhler & Klett Rechtsanwälte

Das dazu gehörige Fachseminar ist in der Seminarwelt des IWU Magdeburg auffindbar.