Regelmäßig stellen sich Bieter die Frage, welche Rechte ihnen zustehen, wenn ein Auftraggeber ein Vergabeverfahren bis zur Endphase durchführt, es dann aber kurzerhand vor der Zuschlagserteilung aufhebt, ohne dass ein rechtlich geregelter Aufhebungsgrund vorliegt. Letztlich ist der Aufwand im Zusammenhang mit der Angebotserstellung in Abhängigkeit von der Komplexität des Auftragsgegenstandes häufig nicht völlig unerheblich, wodurch die Frage nach einem etwaigen Ersatzanspruch aufzuwerfen ist. Der BGH hat mit Urteil vom 08.12.2020 (XIII ZR 19/19) mehr Klarheit zu dieser Thematik geschaffen und den Umfang etwaiger Schadensersatzansprüche auf sekundärer Ebene nach einer vergabe-rechtswidrigen Verfahrensaufhebung konkretisiert sowie teilweise revidiert.
Sachverhalt
Gegenstand der in Rede stehenden Klage war ein national durchgeführtes Vergabeverfahren betreffend die schlüsselfertige Errichtung eines Mehrfamilienhauses zur Unterbringung von Flüchtlingen gemäß den Bestimmungen der VOB/A 2016, 1. Abschnitt (Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen Teil A: Allgemeine Bestimmungen für die Vergabe von Bauleistungen). Die Klägerin war Bestbieter im vorgenannten Vergabeverfahren. Sie hatte gleichwohl vor Zuschlagsentscheidung nicht – wie von der ausschreibenden Stelle gefordert – die Bindefrist hinsichtlich ihres Angebotes verlängert. Anschließend hatte die ausschreibende Stelle das Vergabeverfahren nach § 17 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A im Juni mit der Begründung aufgehoben, der Beschaffungsgegenstand sei wegen der Änderung der politischen Verhältnisse weggefallen. Bereits im September desselben Jahres schrieb die vergebende Stelle einen Bauauftrag aus, welcher sich auf dieselbe Lage bezog und mit demselben Leistungsverzeichnis beschrieben wurde. In diesem zweiten, zeitnah durchgeführten Ausschreibungsverfahren hatte ein anderer Bieter das wirtschaftlichste Angebot eingereicht und damit den Zuschlag erhalten.
Daraufhin hat der Bestbieter der ersten, aufgehobenen Ausschreibung Schadensersatz vor dem zuständigen Landgericht gegenüber der ausschreibenden Stelle geltend gemacht. Diese Forderung beinhaltete sowohl die Rückerstattung der aufgewendeten Kosten für die Angebotserstellung und die Angebotsunterlage sowie den entgangenen Gewinn. Das Berufungsgericht hat die ausschreibende Stelle zur Zahlung von entgangenem Gewinn, Kosten der Angebotserstellung, der Angebotsunterlagen sowie der Rechtsanwaltskosten des Klägers verurteilt.
Entscheidung
Dagegen hat die Beklagte das Rechtsmittel der Revision eingelegt; mit Erfolg! Der BGH hat das Urteil des Berufungsgerichts aufgehoben. Zwar war die Aufhebung des Ausschreibungsverfahrens vergabe-rechtswidrig, da kein geregelter Aufhebungsgrund nach § 7 Abs. 1 Nr. 3 VOB/A vorlag. Allerdings hat der BGH die Höhe des zuerkannten Schadensersatzes als nicht begründet erachtet. Grundsätzlich stützt sich ein Anspruch auf Schadensersatz nach vergaberechtswidriger Aufhebung eines Vergabeverfahrens auf den Umstand der Verletzung einer vorvertraglichen Pflicht in Form der Rücksichtnahmepflicht, somit nach § 280 Abs. 1, § 311 Abs. 2 BGB i. V. m. § 241 Abs. 2 BGB.
In diesem Zusammenhang stellt der BGH unter Fortführung der ständigen Rechtsprechung jedoch noch einmal ausdrücklich klar, dass der Ersatz des positiven Interesses in Form des entgangenen Gewinns nur unter äußerst strengen Voraussetzungen überhaupt in Betracht kommt. Dieser Anspruch auf Ersatz des entgangenen Gewinns kann danach allenfalls dann begründet sein, wenn das Vergabeverfahren mit einem Zuschlag abgeschlossen wird, der Zuschlag jedoch nicht demjenigen Bieter erteilt wird, auf dessen Angebot er bei Beachtung der maßgeblichen vergaberechtlichen Vorschriften allein hätte erteilt werden dürfen.
Dabei steht es dem Abschluss eines Vergabeverfahrens mit dem Zuschlag an einen nicht zuschlagsberechtigten Bieter gleich, wenn der öffentliche Auftraggeber ein entsprechendes Ergebnis dadurch herbeiführt, dass er die Ausschreibung aufhebt, ohne dass ein anerkannter Aufhebungsgrund vorliegt.
Zudem muss der Auftrag außerhalb eines förmlichen Vergabeverfahrens oder in einem weiteren Vergabeverfahren an einen Bieter vergeben werden, an den der Auftrag nach dem Ergebnis des aufgehobenen Vergabeverfahrens nicht hätte vergeben werden dürfen.
Weitere Voraussetzung für einen Anspruch auf Ersatz des positiven Interesses ist, dass der später vergebene Auftrag bei der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtungsweise das gleiche Vorhaben und den gleichen Auftragsgegenstand betrifft und die Aufhebung nicht aus sachlichen und willkürfreien Gründen erfolgte, sondern um den Auftrag außerhalb dieses Verfahrens an einen anderen Bieter vergeben zu können.
Gleichzeitig erweitert der BGH in seiner Entscheidung aber den Umfang des Anspruches auf Ersatz des negativen Interesses, welches die mit der Teilnahme am Vergabeverfahren verbundenen Aufwendungen erfasst, die der Bieter zur Wahrnehmung seiner Chance auf einen Zuschlag vorgenommen hat und die er hierzu für erforderlich halten durfte. Dabei sind nach erstmals so ausdrücklich geäußerter Rechtsauffassung des BGH auch Personalkosten für die Angebotserstellung ersatzfähig. Dieses gilt insbesondere ohne Notwendigkeit eines konkreten Nachweises des Bieters, dass er ohne diesen Aufwand durch den Einsatz dieses Personals anderweitig Einnahmen erwirtschaftet hätte.
Praxistipp
Die bisherigen Schwierigkeiten der Bieter, nach einer vergaberechtswidrigen Verfahrensaufhebung tatsächlich die relevanten Aufwendungen, welche sich insbesondere in den Personalkosten erschöpfen, als Schadensersatz geltend zu machen, wurden eliminiert. Diese Fortentwicklung der Rechtsprechung wird in der Sache für mehr Rechtsklarheit sorgen. Zudem dürfte sie einem zu leichtfertigen Vorgehen in der Verfahrensführung durch den öffentlichen Auftraggeber Einhalt gebieten, der sich nicht mehr den geringen Ersatzforderungen bezogen auf die Kosten der Angebotsunterlagen ausgesetzt sehen wird.
Gleichzeitig wird unnötiger Aufwand für beide Beteiligten vermieden, in dem der Ersatz eines positiven Interesses nach vergaberechtswidriger Aufhebung eines Vergabeverfahrens praktisch ausgeschlossen wird. Insofern sollten mit Blick auf den entgangenen Auftrag und folglich Gewinn keine wertvollen Ressourcen mehr verschwendet werden, soweit keine offensichtlich rechtsmissbräuchlichen Umstände erkennbar sind. Es bleibt (lediglich) beim Ersatz der getätigten Aufwendungen.
Quelle: Köhler & Klett Rechtsanwälte
Das dazu gehörige Fachseminar ist in der Seminarwelt des IWU Magdeburg auffindbar.