In Verfahren zur Zulassung von Pflanzenschutzmitteln bestehen gesetzliche Bearbeitungsfristen der beteiligten Behörden. Das Landgericht Braunschweig hat mit Urteil vom 03.09.2020 (Az: 7 O 1096/18) Schadensersatzansprüche gegen die Bundesrepublik Deutschland wegen Überschreitung der gesetzlichen Bearbeitungsfristen grundsätzlich bejaht. Allerdings sind Schadensersatzansprüche ausgeschlossen, wenn der Antragsteller kein Rechtsmittel eingelegt hat, also insbesondere keine Untätigkeitsklage angestrengt hat, um den Schaden abzuwenden.
Amtspflichtverletzung
Amtshaftungsansprüche setzen zunächst voraus, dass ein Amtsträger die ihm obliegenden Amtspflichten verletzt hat. Zu diesen Amtspflichten gehört die Plicht zu gesetzmäßigem Verhalten. Für die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln legt die maßgebliche Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 Bearbeitungsfristen fest. Die Überschreitung dieser Bearbeitungsfristen durch die zuständigen Behörden, also das hier beklagte Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit („BVL“) und die in das Zulassungsverfahren eingebundenen Beteiligungsbehörden (Umweltbundesamt), bedeutet einen Verstoß gegen die unmittelbar geltende Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 und ein amtspflichtwidriges Verhalten der für die Behörden tätigen Amtsträger.
Das BVL hatte unter anderem argumentiert, dass die zuständigen Behörden berechtigt seien, zusätzliche, durch den europäischen Gesetzgeber nicht vorgesehene Prüfungen vorzunehmen und hierfür die geltenden Bearbeitungsfristen nach eigenem Ermessen zu überschreiten. Das Gericht wies dieses Argument zurück. Die gesetzlichen Bearbeitungsfristen seien verbindlich. Zusätzliche Prüfungen kämen im Einklang mit der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung nicht in Betracht. Nach dem maßgeblichen Regelungskonzept der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 seien die nationalen Behörden nicht befugt, die durch die Behörde eines anderen EU-Mitgliedstaats getroffene Bewertung zu überprüfen. Die Vorgabe fester Bearbeitungsfristen (siehe hierzu den 14. Erwägungsgrund Verordnung (EG) Nr. 1107/2009) diene auch dem Zweck, die Zulassungsverfahren zu beschleunigen.
Ein Verstoß gegen die gesetzlichen Bearbeitungsfristen der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 bedeute demnach eine Amtspflichtverletzung. Die Amtspflicht zur Bearbeitung von Zulassungsanträgen innerhalb der gesetzlichen Bearbeitungsfristen diene auch den Interessen des Antragstellers und sei daher – eine weitere Voraussetzung für einen Amtshaftungsanspruch – drittschützend.
Verschulden
Amtshaftungsansprüche setzen ferner voraus, dass die Amtsträger ihre Amtspflichten fahrlässig oder vorsätzlich verletzt haben.
Die Behörden hatten sich darauf berufen, dass sie die gesetzliche Regelung möglicherweise fehlinterpretiert hatten, weil diese Regelung „neu“ war. Auch dieses Argument ließ das Gericht nicht gelten. Der Wortlaut der Regelung, nach der ein Bearbeitungszeitraum von „höchstens“ 120 Tagen vorgesehen ist (siehe Art. 37 Abs. 4 Verordnung (EG) Nr. 1107/2009), sei klar formuliert. Es falle schwer, nachzuvollziehen, welche „Fehlinterpretation“ der vorliegenden Regelung denkbar sein solle. Der Wortlaut sei eindeutig. Es handele sich um eine Verordnung des europäischen Gesetzgebers, die aus sich heraus auszulegen sei. Nach den Erwägungsgründen der Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 bestehe ein Zusammenhang zwischen der Prüfungskompetenz der jeweiligen Genehmigungsbehörden und dem ihnen zugestandenen Prüfungszeitraum. Eine Erweiterung der Prüfungskompetenz durch einen Mitgliedsstaat kommt nach Auffassung des Gerichts nicht in Betracht, ebenso wenig eine Ausdehnung der diesem Mitgliedsstaat hierfür eingeräumten Bearbeitungsfristen.
Auch den Einwand der Behörden, ihr Personal sei überlastet gewesen, ließ das Gericht nicht gelten. Die Behörden hätten das vorhandene Personal sachgemäß einsetzen müssen.
Unterlassen einer Abwendung oder Minderung des Schadens
Das Gericht lehnte dennoch Amtshaftungsansprüche der Klägerin ab, da diese nach Ablauf der Bearbeitungsfrist kein Rechtsmittel einlegt hatte, um den Schaden abzuwenden. Sie hätte nach Auffassung des Gerichts Untätigkeitsklage gegen die Zulassungsbehörde erheben müssen. Der Schaden wäre hierdurch gemindert worden.
Die Klägerin hatte hierzu vorgetragen, ihr sei es nicht zuzumuten gewesen, eine Untätigkeitsklage gegen diejenige Behörde zu erheben, die mit der Prüfung ihres Zulassungsantrags befasst sei. Diese Bewertung lehnte das Gericht ab und entschied, dass eine derartige Sorge nicht auf Tatsachen gegründet werden könne, denn Nachteile in anderen Zulassungsverfahren der Klägerin seien nicht erkennbar und die Klägerin habe nunmehr Schadensersatzklage vor dem Landgericht erhoben. Unter Berücksichtigung der geäußerten Sorge hätte die Erhebung der Schadensersatzklage ferngelegen.
Dies mag in dem entschiedenen Fall zutreffen, in anderen Fällen jedoch möglicherweise anders zu bewerten sein. Auch dürfte sich die Frage stellen, ob und inwieweit die Erhebung einer Untätigkeitsklage mit Rücksicht auf die Verfahrensdauer vor den Verwaltungsgerichten geeignet ist, Schaden zu mindern oder abzuwenden.
Ergebnis
Im Ergebnis stärkt das Gericht die verbindliche Vorgabe von Bearbeitungsfristen durch den (europäischen) Gesetzgeber. Aus anwaltlicher Sicht kann Antragstellern nur empfohlen werden, nach Ablauf gesetzlicher Bearbeitungsfristen ohne weiteres Zuwarten Untätigkeitsklage einzureichen, um einen Haftungsausschluss wegen unterlassener Rechtsmittel abzuwenden.
Quelle: Köhler & Klett Rechtsanwälte
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