Neuerrichtungs- oder immissionsschutzrechtliche (Änderungs)Genehmigung für Sekundärbrennstoff-Heizkraftwerk?

Mit Urteil des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern (OVG MV) vom 05.05.2016 (5 K 4/14 – nicht rechtskräftig) wurde auf die Klage eines Nachbarn die immissionsschutzrechtliche Genehmigung für eine Abfallverbrennungsanlage in Rostock wegen der unterbliebenen Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) aufgehoben. In den Urteilsgründen finden sich Hinweise zu der Unterscheidung zwischen der Neuerrichtung einer Anlage und der Änderung einer bestehenden Anlage sowie zur Aufhebung der Genehmigung bei unmittelbarer Anwendung der UVP-Richtlinie bzw. wegen fehlender Durchführung einer Öffentlichkeitsbeteiligung.

Widerspruchs- und Klageverfahren des Nachbarn richteten sich gegen die erteilte immissionsschutzrechtliche (Änderungs) Genehmigung für eine Abfallverbrennungsanlage. Mit der Klage wurde der Anspruch nach § 4 Abs. 1 i.V.m. Abs. 3 Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz (UmwRG) geltend gemacht. Danach kann die Aufhebung einer Entscheidung über die Zulässigkeit von Vorhaben verlangt werden, für die eine Pflicht zur Durchführung einer UVP bestehen kann (Nr. 1) oder die in Spalte c) des Anhangs 1 zur 4. BImSchV als Anlagen mit einem G gekennzeichnet sind (Nr. 2), wenn die UVP oder eine Öffentlichkeitsbeteiligung im Sinne von § 9 Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung (UVPG) oder § 10 Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) weder durchgeführt noch nachgeholt worden ist.

Bei der angefochtenen Genehmigung handelte es sich um eine Entscheidung über die Zulässigkeit eines Vorhabens, für die nach dem UVPG eine Pflicht zur Durchführung einer UVP bestehen kann. Denn nach der zum Zeitpunkt der Genehmigungserteilung geltenden Ziffer 8.1.1 der Anlage zum UVPG bedurften thermische Verfahren zur Verwertung oder Beseitigung von Abfällen einer UVP. Für Änderungen oder Erweiterungen UVP-pflichtiger Vorhaben war nach § 3e UVPG zumindest eine Verpflichtung zur Vorprüfung des Einzelfalls vorgesehen.

Nach der Überzeugung des Senats handelt es sich bei dem genehmigten Sekundärbrennstoff- Heizkraftwerk (SBS-HKW) um eine immissionsschutzrechtliche Neuerrichtung einer thermischen Abfallverbrennungsanlage und nicht lediglich um eine Änderung der bereits geplanten und genehmigten thermischen Abfallbehandlungsanlage (TAB). Für die Neuerrichtung sei nach § 3b Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Ziff. 8.1.1 der Anlage zum UVPG in der seinerzeit maßgeblichen Fassung eine UVP zwingend vorgesehen gewesen. Nach § 2 Abs. 2 UVPG werde danach unterschieden, ob es sich bei dem Vorhaben um die Errichtung und den Betrieb einer technischen Anlage handele (Nr. 1 Buchstabe a), oder um die Änderung der Lage, der Beschaffenheit oder des Betriebs einer technischen Anlage (Nr. 2 Buchstabe a). Dabei sei für die Abgrenzung auf die Maßstäbe des jeweiligen Fachrechts abzustellen. Dies seien vorliegend die §§ 15, 16 BImSchG.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) liege eine wesentliche Änderung einer genehmigungsbedürftigen Anlage im Sinne des BImSchG vor, wenn deren Lage, Beschaffenheit oder Betrieb geändert oder erweitert würde und dadurch für die Prüfung der Erfüllung der Betreiberpflichten relevante erhebliche nachteilige Auswirkungen hervorgerufen werden könnten (§ 16 Abs. 1 Satz 1 BImSchG). Demgegenüber sei von einer Neuerrichtung auszugehen, wenn das Vorhaben nicht auf die genehmigte Anlage bezogen sei, sondern sich als Errichtung einer weiteren Anlage darstelle.

Für die Abgrenzung maßgeblich sei der Anlagenbegriff des § 1 Abs. 2 und 3 der 4. BImSchV. Danach erstrecke sich das Genehmigungserfordernis auf alle betriebsnotwendigen Anlagenteile und Verfahrensschritte sowie auf Nebeneinrichtungen, die mit den betriebsnotwendigen Anlagenteilen und Verfahrensschritten in einem räumlichen und betriebstechnischen Zusammenhang stehen. Ein neues Vorhaben stelle eine Änderung der genehmigten Anlage dar, wenn es als Nebeneinrichtung der genehmigten Anlage zuzuordnen sei oder mit ihr betriebstechnisch und organisatorisch in einer Weise verbunden sei, die es nach der Verkehrsanschauung rechtfertige, eine einheitliche, nach einem übergreifenden Konzept betriebene Anlage anzunehmen.

Eine Neuerrichtung liege dagegen vor, wenn durch die Änderung der Charakter der (Gesamt-)Anlage verändert werde bzw. die Änderungen derart prägend seien, dass die gesamte Anlage als eine neue Anlage zu qualifizieren sei.

Die Annahme lediglich einer (wesentlichen) Änderung könne vorliegend nicht auf die Überlegung gestützt werden, dass das genehmigte Vorhaben nur einen Teil der ursprünglich genehmigten, nach Auffassung der Beteiligten eine einheitliche Anlage darstellenden Restabfallbehandlungsanlage (RABA) betreffe. Voraussetzung für eine solche Betrachtung wäre, dass das Vorhaben nach seiner Verwirklichung Teil dieser einheitlichen Anlage werden sollte. Dies sei vorliegend aber nicht der Fall.

Insgesamt sei der Gesamtcharakter der TAB derart geändert worden, dass die gesamte Anlage als neue Anlage qualifiziert werden müsse. Denn die Unterschiede zwischen der bisherigen und der nunmehr genehmigten Anlage seien sowohl nicht unerheblicher quantitativer als auch qualitativer Art in einer Weise, die den Kernbestand der Anlage betreffe.

Zudem sei das genehmigte Vorhaben nicht auf eine genehmigte Anlage bezogen: Voraussetzung für ein geändertes Vorhaben sei dessen Teilidentität mit dem ursprünglichen Vorhaben; es müsse also möglich sein, das Vorhaben durch eine Differenzbetrachtung zu beschreiben. In den Genehmigungsunterlagen und in der Genehmigung selbst werde auf die ursprüngliche Genehmigung – mit Ausnahme der Bezeichnung des Vorhabens als Änderung der RABA – in keiner Weise Bezug genommen. Die beklagte Genehmigung treffe vielmehr eine Vollregelung für die Errichtung und die Inbetriebnahme eines SBS-HKW. Im Falle einer Änderung werde aber die ursprüngliche Genehmigung nicht ersetzt, sondern behalte ihre Bedeutung. Vorliegend hätten Beigeladener und Beklagter bei der Einreichung und Prüfung des Genehmigungsantrags die Maßstäbe der Neuerrichtung angelegt, nämlich vollständig neue Unterlagen erstellt. Dafür, dass dies nicht erforderlich gewesen sei und die beklagte Genehmigung einen lediglich wiederholenden Teil enthalte, fehle es an Anhaltspunkten.

Infolgedessen sei eine UVP erforderlich gewesen; ihr Fehlen führe daher zur Aufhebung der Genehmigung.

Unabhängig von der Unterscheidung zwischen Neuerrichtung und Änderung wäre die UVP auch dann erforderlich gewesen, wenn es sich um ein Änderungsvorhaben gehandelt hätte. Denn zum Zeitpunkt der Genehmigungserteilung habe sich die zwingende UVP-Pflicht aus der Richtlinie 85/337/EWG in der maßgeblichen Fassung der Öffentlichkeitsbeteiligungsrichtlinie 2003/35/EG (UVP-RL) ergeben. Danach waren Abfallbeseitigungsanlagen zur Verbrennung ungefährlicher Abfälle mit einer Kapazität von mehr als 100 t pro Tag einer UVP zu unterziehen.

Im Weiteren führt das OVG MV aus, dass die Nichtdurchführung einer auf Grund unmittelbarer Anwendbarkeit der UVP-RL erforderlichen UVP der Nichtdurchführung einer nach den Bestimmungen des UVPG erforderlichen UVP gleichsteht und die Anwendbarkeit von § 4 Abs. 3, Abs. 1 UmwRG begründet, so dass sich auch insoweit die Aufhebung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung rechtfertigt.

Das Gerichtsverfahren konnte nach Auffassung des OVG MV auch nicht zur Nachholung der erforderlichen UVP ausgesetzt werden. Nach der Rechtsprechung des BVerwG zu § 4 Abs. 1 Satz 2 UmwRG a.F. könne zwar gemäß § 45 Abs. 2 Verwaltungsverfahrensgesetz die Aussetzung des gerichtlichen Verfahrens zur Nachholung einer erforderlichen Vorprüfung der UVP-Pflichtigkeit in Betracht kommen, hingegen solle in der Regel die Nachholung der UVP selbst im gerichtlichen Verfahren nicht möglich sein.

Schließlich kommt der Senat nach entsprechenden Erwägungen im Ergebnis auch zu dem Anspruch auf Aufhebung der Entscheidung nach § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 UmwRG, weil das Vorhaben einer – nicht erfolgten – Öffentlichkeitsbeteiligung im Sinne von § 10 BImSchG bedurfte.

Zu der durch die Entscheidung des Senats aufgeworfenen Frage, ob sich ein Anspruch auf Aufhebung einer immissionsschutzrechtlichen Genehmigung nach den Vorschriften des UmwRG infolge der Gesetzesänderung im Anschluss an das sogenannte Altrip-Urteil des EuGH auch aus der unmittelbaren Anwendung der UVPRL ergeben kann, hat das OVG MV die Revision zugelassen.

Quelle: Köhler & Klett Rechtsanwälte

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