Zur Haftung des gerichtlich ernannten Sachverständigen bei Unverwertbarkeit des Gutachtens wegen Befangenheit

Gemäß einem Beschluss des Oberlandesgerichts (OLG) Hamm vom 14.01.2014 (1-9 U 231/13) ist ein gerichtlich bestellter Sachverständiger einer Partei des anhängigen Verfahrens grundsätzlich nicht zum Schadensersatz verpflichtet, wenn er durch eine Überschreitung des Gutachterauftrags seine Befangenheit und damit die Unverwertbarkeit der von ihm erstellten Gutachten bewirkt.

In dem vom OLG Hamm zu entscheidenden Fall verlangte der Kläger die Feststellung der Einstandspflicht des Beklagten, der in einem von dem Kläger eingeleiteten Beweissicherungsverfahren vom Gericht zum Sachverständigen ernannt worden war, für dem Kläger aus der Unverwertbarkeit der vom Beklagten erstellten Gutachten entstehende Schäden. Der Beklagte war nach Erstellung von zwei schriftlichen Gutachten in dem Beweissicherungsverfahren auf Antrag eines der Antragsgegner für befangen erklärt worden, nachdem er seinen Gutachterauftrag überschritten hatte, indem er über den Auftrag hinausgehende zusätzliche Feststellungen getroffen hatte.

Gemäß § 839a Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ist ein gerichtlich ernannter Sachverständiger, der vorsätzlich oder grob fahrlässig ein unrichtiges Gutachten erstattet, zum Ersatz des Schadens verpflichtet, der einem Verfahrensbeteiligten durch eine gerichtliche Entscheidung entsteht, die auf diesem Gutachten beruht. Nach der Auffassung des OLG Hamm berührt die Überschreitung des Gutachterauftrags für sich genommen jedoch nicht die inhaltliche Korrektheit der Ausführungen im Gutachten. Daher handele es sich bei dem unverwertbaren Gutachten nicht um ein unrichtiges Gutachten im Sinne des § 839a BGB.

Auch komme bei der vorliegenden Konstellation der Unverwertbarkeit eines gerichtlichen Gutachtens wegen Befangenheit des gerichtlich ernannten Sachverständigen eine Analogie nicht in Betracht, da es an einer planwidrigen Regelungslücke fehle. Mit der Einführung des § 839a BGB mit Wirkung ab dem 01.08.2002 habe der Gesetzgeber eine Regelungslücke schließen wollen, die darin lag, dass ein gerichtlich bestellter Sachverständiger gegenüber den Parteien eines Rechtsstreits oder sonst von einem gerichtlichen Verfahren Betroffenen keiner Vertragshaftung unterworfen war, eine Haftung aus Amtspflichtverletzung mangels Ausübung hoheitlicher Gewalt nicht vorlag und eine Haftung bei reinen Vermögensschäden nur dann in Betracht kam, wenn der Sachverständige beeidigt worden war. Denn insoweit haftete er nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. mit (fahrlässigem) Meineid (§§ 154, 163 Strafgesetzbuch – StGB) für jeden Vermögensschaden. Vom Bundesverfassungsgericht sei die Frage, ob ein Sachverständiger beeidigt worden oder unbeeidigt geblieben ist, jedoch nicht als geeignetes Differenzierungskriterium angesehen worden. Die Intention des Gesetzgebers, der mit § 839a BGB einen abschließenden Sondertatbestand habe schaffen wollen, sei es daher gewesen, diese sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung zwischen dem beeidigten und dem nicht beeidigten Sachverständigen abzuschaffen.

Eine Ausweitung der Anwendbarkeit des § 839a BGB von unrichtigen auf unverwertbare Gutachten sei aber nicht in Betracht zu ziehen. Der Gesetzgeber habe sich mit der Einführung des § 839a BGB für eine Haftungserweiterung für den eng umgrenzten Bereich – nämlich bei der Erstattung eines unrichtigen Gutachtens – entschieden und damit gegen die Schaffung einer generellen Haftungsnorm, die jedes Fehlverhalten des Sachverständigen, welches einen Schaden verursacht, sanktioniere. Eine Haftungserweiterung auf unverwertbare Gutachten laufe dieser gesetzgeberischen Entscheidung zuwider.

Des Weiteren seien in dem konkreten Fall auch keine Anhaltspunkte für eine vorsätzliche sittenwidrige Schadenszufügung durch den Sachverständigen ersichtlich. Vielmehr habe der Beklagte wohl im vermeintlichen Interesse des Antragstellers über den Gutachterauftrag hinaus Stellung bezogen.

Praxishinweis

Wenngleich das OLG Hamm die Haftung des Sachverständigen wegen einer Überschreitung des Gutachterauftrags im konkreten Fall abgelehnt hat, sollten Sachverständige im Rahmen ihrer vom Gericht beauftragen Tätigkeit stets darauf bedacht sein, ihre Unparteilichkeit zu wahren. Hierzu zählt grundsätzlich auch, dass die Begutachtung in dem vom Gericht vorgegebenen Rahmen erfolgt. Zwar muss nicht jede Überschreitung des Gutachterauftrags zwangsläufig zu einer Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit führen. So hat der Bundesgerichtshof in einer Entscheidung vom 11.04.2013 (VII ZB 32/12) festgestellt, dass die Beantwortung der Frage, ob die Überschreitung eines Gutachterauftrags geeignet ist, bei einer Partei bei vernünftiger Betrachtung die Besorgnis der Befangenheit des Sachverständigen hervorzurufen, einer schematischen Betrachtungsweise nicht zugänglich ist und nur auf Grund des jeweiligen Einzelfalls entschieden werden kann.

Allerdings haben sich die Gerichte häufig mit der Frage der Befangenheit wegen Überschreitung des Gutachterauftrags auseinanderzusetzen. So hat beispielsweise das OLG Karlsruhe (Beschluss vom 04.09.2013 – 9 W 28/13), eine Befangenheit des Sachverständigen bei Überschreitung des Gutachterauftrags wegen Missverständnisses abgelehnt. Das OLG Koblenz (Beschluss vom 24.01.2013) hat entschieden, dass Zweifel an der Unparteilichkeit eines Sachverständigen begründet sein können, wenn seine Feststellungen über die durch den Beweisbeschluss vorgegebenen Beweisfragen hinausgehen und vom Auftrag nicht erfasste Fragen beantworten; maßgeblich sei insoweit, ob der Sachverständige sich aus Sicht der ablehnenden Partei quasi an die Stelle des Gerichts setze und seine Neutralitätspflicht verletze, indem er dem Gericht oder den Parteien den aus seiner Sicht für richtig gehaltenen Weg der Entscheidungsfindung aufzeige.

Diese Entscheidungen zeigen, dass es sich bei der Frage der Befangenheit wegen Überschreitung des Gutachterauftrags um ein sehr sensibles Thema handelt und Sachverständige auch im Interesse der eigenen Reputation darauf bedacht sein sollten, dass derartige Diskussionen über ihre Person nicht zum Gegenstand des Verfahrens werden.

Quelle: Köhler & Klett Rechtsanwälte

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