Die Vergabekammer (VK) Lüneburg hat in einem Beschluss vom 10.07.2019 (VgK- 22/2019) entschieden, dass der Auftraggeber Fehler in den Vergabeunterlagen, die er erst nach Öffnung der Angebote erkennt, durch Rückversetzung des Verfahrens korrigieren kann. Eine solche ist – spiegelbildlich zur Aufhebung – zulässig, sofern ein sachlicher Grund besteht, kein Bieter diskriminiert wird und die Entscheidung nicht willkür- oder scheinbehaftet ist. Dabei ist es dem Auftraggeber jedoch nicht möglich, die Rückversetzung nur auf Teilbereiche der Ausschreibung zu beschränken.
Hintergrund des zu entscheidenden Falles war eine europaweite Ausschreibung, die die thermische Verwertung von Klärschlamm in einer Monoklärschlammverbrennungsanlage zum Gegenstand hatte. Neben dem Preis war u.a. die Energieeffizienz der Behandlungsanlage Zuschlagskriterium.
Nach Angebotslegung und anschließender Wertung stellte sich heraus, dass der Auftraggeber und manche Bieter die erforderlichen Angaben zum Zuschlagskriterium der Energieeffizienz unterschiedlich verstanden hatten. Ein Ausschluss des Angebots kam für den Auftraggeber aufgrund der nachträglichen Uneindeutigkeit nicht in Betracht. Stattdessen versetzte der Auftraggeber das Verfahren „isoliert“ zurück, um den Bietern die Möglichkeit einzuräumen, ihr Angebot allein bezogen auf die Angaben zu dem Zuschlagskriterium der Energieeffizienz zu überarbeiten; der Angebotspreis durfte jedoch nicht mehr verändert werden. Dagegen wendete sich einer der Bieter.
Nach Ansicht der VK Lüneburg machen die Vergabeunterlagen keine eindeutigen Vorgaben zu den vom Bieter zu machenden Angaben zu dem Zuschlagskriterium der Energieeffizienz. Aus diesem Grund ist weder der Zuschlag noch ein Ausschluss von Angeboten und somit eine Fehlerkorrektur durch den Auftraggeber auch noch nach Submission möglich. Eine Rückversetzung ist daher unter den gleichen Voraussetzungen wie eine Aufhebung möglich, sofern ein sachlicher Grund vorliegt, die Diskriminierung einzelner Bieter ausgeschlossen ist und die Entscheidung nicht willkür- bzw. scheinbehaftet erfolgt. Diese Anforderungen liegen bei unklaren Anforderungen zum Zuschlagskriterium der Energieeffizienz vor.
Die lediglich teilweise Rückversetzung verstößt gegen das vergaberechtliche Gleichbehandlungsgebot. Der Auftraggeber erhält Einfluss auf die Rangfolge der Angebote, ohne den Bietern die Möglichkeit einzuräumen, etwaige Nachteile bei dem „rückversetzten“ Zuschlagskriterium der Energieeffizienz durch Optimierung anderer Kriterien – insbesondere hinsichtlich des Preises – auszugleichen. Der Vergabestelle wurde deshalb aufgegeben, das gesamte Verfahren zurückzuversetzen.
Eine Rückversetzung des Verfahrens kann nicht „isoliert“ erfolgen. Eine nur teilweise Rückversetzung würde den besonderen Umstand missachten, dass die Angebotsabgabe immer als Einheit unter individueller Gewichtung aller Faktoren erfolgt. Verändern sich die Voraussetzungen eines Parameters, kann dies Auswirkungen auf das Gesamtkonzept haben. Das OLG Düsseldorf hat hiervon nur dann eine Ausnahme zugelassen, wenn zweifelsfrei feststeht, dass die Überarbeitung eines Angebotsteils keinerlei Auswirkungen auf die übrigen Bestandteile und damit auf das Gesamtangebot hat (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12.01.2015 – Verg 29/14).
Quelle: Köhler & Klett Rechtsanwälte
Das dazu gehörige Fachseminar ist in der Seminarwelt des IWU Magdeburg auffindbar.