Urteil des EuGH zur Umwelthaftung wegen vermuteter Verursachung

Mit ihrem Urteil vom 09.03.2010 (C- 378/08) hat die große Kammer des EuGH das Verursacherprinzip im Rahmen der Umwelthaftung konkretisiert:

Nationale Behörden dürfen vermuten, dass Betreiber, deren Anlagen sich in der Nähe eines verschmutzten Gebietes befinden, für diese Verschmutzung verantwortlich sind. Die Umwelthaftungsrichtlinie (Richtline 2004/35/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Umwelthaftung zur Vermeidung und Sanierung von Umweltschäden, RL 204/35/EG) stünde einer nationalen Regelung nicht entgegen, die es den zuständigen Behörden erlaube, einen Verursachungsbeitrag auch dann zu vermuten, wenn sich nicht genau zuordnen ließe, welche konkrete Verschmutzung von welcher Anlage entstanden sei. Das Verursacherprinzip verlange jedoch, dass plausible Anhaltspunkte für diese Vermutung, wie z.B. die Nähe der Anlage zur festgestellten Verschmutzung oder die Übereinstimmung zwischen gefundenen Schadstoffen und von dem Betreiber eingesetzten Komponenten, vorliegen. Die zuständige Behörde müsse für die Anordnung von Maßnahmen zur Beseitigung der Schäden weder vorsätzliches noch fahrlässiges Handeln noch eine Schädigungsabsicht nachweisen – wohl aber habe sie gem. den nationalen Beweisregeln einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Tätigkeit und der Verschmutzung festzustellen.

Sachverhalt
Dem Vorabentscheidungsverfahren lag ein Rechtsstreit zwischen mehreren italienischen Unternehmen der Ölindustrie und des petrochemischen Sektors und verschiedenen nationalen, regionalen und kommunalen italienischen Behörden zugrunde. Die Behörden hatten Maßnahmen zur Sanierung von Umweltschäden im Bereich der Rada di Augusta (Italien), um die herum sich Anlagen und/oder Grundstücke der genannten Unternehmen befinden, erlassen. In der betroffenen Region war es seit den 1960er Jahren vermehrt zu Umweltverschmutzungen aufgrund der Entwicklung eines petrochemischen Zentrums gekommen. Seit den 1960er Jahren hatten sich in der Region eine Vielzahl von Unternehmen dieses Sektors niedergelassen oder sich abgelöst. Die zuständige Behörde verpflichtete die am Ort verbliebenen Unternehmen den Meeresboden zu sanieren und seinen früheren Zustand wiederherzustellen und insbesondere die dort befindlichen kontaminierten Sedimente bis zu einer Tiefe von zwei Metern abzutragen; für den Fall, dass die Unternehmen dem nicht nachkämen, würden die betreffenden Arbeiten von Amts wegen auf deren Kosten durchgeführt. Das von den Unternehmen angerufene Gericht gab den Klagen u.a. mit der Begründung statt, dass die Sanierungspflichten rechtswidrig seien, weil bei ihrer Auferlegung das Verursacherprinzip nicht beachtet worden sei. Diese Entscheidung wurden seitens der Behörden in einem Berufungsverfahren angegriffen. Zwischenzeitlich erließen die zuständigen Behörden weitere Maßnahmen, die wiederum eine erneute Klage der betroffenen Unternehmen zur Folge hatte. Das erstinstanzliche Gericht legte dem EuGH daraufhin mehrere Fragen unter anderem im Hinblick auf das Verursacherprinzip vor.

Wesentlicher Inhalt der Entscheidung
Konkret ging es bei den vorgelegten Fragen darum, ob das Verursacherprinzip, wie es in Art. 174 Abs. 2 Unterabs. 1 EG verankert ist, und die Richtlinie 2004/35/EG, die darauf abzielt, diesen Grundsatz im Bereich der Umwelthaftung zu konkretisieren, einer nationalen Regelung entgegenstehen, die es der zuständigen Behörde erlaubt, Betreibern auf Grund der Nähe ihrer Anlagen zu einem verschmutzten Gebiet Maßnahmen zur Sanierung von Umweltschäden aufzuerlegen, ohne zuvor untersucht zu haben, auf welches Ereignis die Verschmutzung zurückzuführen ist, und ohne nachgewiesen zu haben, dass ein Kausalzusammenhang zwischen diesen Schäden und dem Verhalten der betreffenden Betreiber besteht und dass sie vorsätzlich oder fahrlässig gehandelt haben.

Zeitlicher Anwendungsbereich der Umwelthaftungsrichtline
Zunächst machte der EuGH deutlich, dass die Umwelthaftungsrichtlinie nur für Schäden gilt, die durch Emissionen, Ereignisse oder Vorfälle verursacht wurden, die nach dem 30.04.2007 stattgefunden haben, sofern die Schäden auf Tätigkeiten zurückzuführen sind, die nach dem betreffenden Datum stattgefunden haben, oder auf Tätigkeiten, die vor dem genannten Datum stattgefunden, aber nicht vor ihm geendet haben.

Ursächlicher Zusammenhang zwischen Tätigkeit und Verschmutzung als Voraussetzung für die Anwendung der Umwelthaftungsrichtline
Der EuGH stellte fest, dass nach der Umwelthaftungsrichtlinie nicht alle Formen von Umweltschäden durch Haftungsmechanismen behoben werden könnten. Ein ursächlicher Zusammenhang zwischen einem oder mehreren identifizierbaren Verursachern und konkreten und messbaren Umweltschäden müsse hergestellt werden können. Bei diesem Erfordernis handele es sich um eine Voraussetzung für die Anwendung dieser Richtlinie auf breit gestreute, nicht klar abgegrenzte Verschmutzungen. Anders als bei Verschmutzungen, die räumlich und zeitlich begrenzt und auf eine begrenzte Zahl von Betreibern zurückzuführen sind, seien Haftungsmechanismen kein geeignetes Instrument, um einer Verschmutzung zu begegnen, bezüglich derer der betreffende ursächliche Zusammenhang nicht hergestellt werden könne.

Die Richtlinie lege aber nicht fest, wie ein solcher ursächlicher Zusammenhang hergestellt werden muss. Vielmehr läge es an Mitgliedstaaten nationale Regelungen vorzusehen, die das Verursacherprinzip ausgestalten oder konkretisieren, wobei diese insoweit über ein weites Ermessen verfügten. Daher dürfe eine mitgliedstaatliche Regelung die Befugnis für die zuständige Behörde vorsehen, Maßnahmen zur Sanierung von Umweltschäden anzuordnen, wenn sie einen ursächlichen Zusammenhang zwischen der festgestellten Verschmutzung und den Tätigkeiten des Betreibers oder der Betreiber vermutet, weil die betreffende Verschmutzung in der Nähe der Anlagen dieser Betreiber aufgetreten ist. Die zuständige Behörde müsse für diese Vermutung eines solchen ursächlichen Zusammenhangs jedoch, über plausible Anhaltspunkte verfügen, wie z.B. die Nähe der Anlage des Betreibers zu der festgestellten Verschmutzung oder die Übereinstimmung zwischen den gefundenen Schadstoffen und den Komponenten, die dieser Betreiber im Rahmen seiner Tätigkeiten verwendet. Verfügte die zuständige Behörde über derartige Anhaltspunkte, könne sie einen ursächlichen Zusammenhang zwischen den Tätigkeiten der Betreiber und der festgestellten, nicht klar abgegrenzten Verschmutzung herstellen. In einem solchen Fall sei die Umwelthaftungsrichtlinie anwendbar, es sei denn, die betroffenen Betreiber könnten diese Vermutung widerlegen.

Nachweis von Vorsatz oder Fahrlässigkeit
Grundsätzlich gelte das Erfordernis des Nachweises, dass der Betreiber vorsätzlich oder fahrlässig Schädigungen geschützter Arten und Lebensräume sowie der Gewässer und des Boden verursacht hat nur im Hinblick auf berufliche Tätigkeiten, die nicht in Anhang III der Richtlinie aufgeführt sind. Seien berufliche Tätigkeiten allerdings in Anhang III aufgeführt, könnten den Betreibern Vermeidungs- oder Sanierungsmaßnahmen auferlegt werden, ohne dass ihnen die zuständige Behörde vorsätzliches oder fahrlässiges Handeln nachweisen müsse. Unter Anhang III fallen z.B. alle Tätigkeiten für die eine Genehmigung nach dem BImSchG erforderlich ist, sowie z.B. Abfallbewirtschaftungsmaßnahmen und der Betrieb von Deponien. Für diese Tätigkeiten sei die Umwelthaftung als objektive Haftung anzusehen.

Um Sanierungsmaßnahmen anordnen zu können, müsse die zuständige Behörde aber nach den nationalen Beweislastregeln nachweisen, welcher Betreiber die Umweltschäden verursacht hat: Eine Behörde könne daher keine Sanierungsmaßnahmen anordnen, ohne zuvor einen ursächlichen Zusammenhang zwischen den festgestellten Schäden und der Tätigkeit des Betreibers, der ihres Erachtens für die Schäden verantwortlich sei, hergestellt zu haben. Im Hinblick auf die zur Ursachenfeststellung einzusetzenden Mittel und die Dauer einer solchen Untersuchung habe die Behörde aber ein weites Ermessen.

Möglichkeit des Gegenbeweises durch den Betreiber
Der Betreiber könne sich entsprechend Art. 11 Abs. 5 der Umwelthaftungsrichtlinie gegen Sanierungsmaßnahmen zur Wehr setzen. Ein Betreiber müsse die Kosten für die Sanierungstätigkeiten nicht tragen, wenn die Bedingungen von Art. 8 Abs. 3 der Umwelthaftungsrichtlinie erfüllt seien. Art. 8 Abs. 3 der Richtlinie bestimmt, dass der Betreiber nachweisen muss, dass die Umweltschäden oder die unmittelbare Gefahr solcher Schäden entweder durch einen Dritten verursacht wurden und eingetreten sind, obwohl geeignete Sicherheitsvorkehrungen getroffen wurden, oder, dass die Umweltschäden auf die Befolgung von Verfügungen oder Anweisungen einer Behörde zurückzuführen sind.

Quelle: Köhler & Klett Rechtsanwälte

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