Sicherheitsleistungen auch bei Abfallentsorgungsanlagen als Nebeneinrichtungen von Produktionsanlagen

Der Begriff „Abfallentsorgungsanlagen“ in § 4 Abs. 1 Satz 1 Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) erstreckt sich auch auf Nebeneinrichtungen oder Teile einer Anlage, die für sich betrachtet immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftig sind, wie das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) mit Beschluss vom 03.03.2016 – 7 B 44.15 – entschieden hat.

Die Entscheidung betrifft eine immissionsschutzrechtliche Änderungsgenehmigung aus dem Jahr 1995 für eine Anlage zur Herstellung von Zementklinker und Zement. Gegenstand der Änderungsgenehmigung war die Errichtung und die Inbetriebnahme eines Zwischenlagers für Reifen und Reifenschnitzel mit einer Lagermenge von maximal 7.000 Tonnen im Steinbruch des Zementwerks. Die dort gelagerten Reifen und Reifenschnitzel werden in der Produktion des Zementwerks energetisch und stofflich verwertet. Für dieses Zwischenlager wurde mit dem angefochtenen Bescheid eine Sicherheitsleistung in Höhe von 280.000 € angeordnet, gegen die sich die Klägerin verwaltungsgerichtlich wendete.

Zur Begründung des angefochtenen Bescheids wurde ausgeführt, dass die zuständige Behörde bei immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftigen Abfallentsorgungsanlagen im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1 BImSchG eine Sicherheitsleistung anordnen soll (§ 17 Abs. 4a Satz 1 BImSchG). Dies gelte auch für Abfallentsorgungsanlagen, die als Teil- oder Nebeneinrichtung einer sonstigen genehmigungsbedürftigen Anlage bei gesonderter Betrachtung unter Nr. 8 des Anhang 1 der 4. BImSchV fielen.

Die gegen diesen Bescheid erhobene Klage blieb ebenso ohne Erfolg wie die von der Klägerin eingelegte Berufung. In dem Berufungsurteil wurde unter anderem ausgeführt, dass auch ein für sich betrachtet genehmigungsbedürftiges Abfalllager, das eine Nebenanlage einer anderweitig immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftigen Anlage darstellt, eine Abfallentsorgungsanlage im Sinne des § 17 Abs. 4a Satz 1 i. V. m. § 4 Abs. 1 Satz 1 BImSchG sei. Dies ergebe sich aus systematischen und historischen Erwägungen sowie dem Zweck der Norm.

Da die Berufungsinstanz die Revision gegen ihr Urteil nicht zugelassen hatte, verfolgte die Klägerin ihre Interessen mit der Revisionsnichtzulassungsbeschwerde vor dem BVerwG weiter. Diese Beschwerde hatte keinen Erfolg.

Gemäß § 17 Abs. 4a Satz 1 BImSchG soll zur Erfüllung der Pflichten nach § 5 Abs. 3 BImSchG bei Abfallentsorgungsanlagen im Sinne von § 4 Abs. 1 Satz 1 BImSchG eine Sicherheitsleistung angeordnet werden. Unter den Begriff der Abfallentsorgungsanlage fällt nach der Einschätzung des erkennenden Senats des BVerwG auch eine für sich betrachtet nach BImSchG genehmigungsbedürftige Nebenanlage.

Für seine Auslegung von § 17 Abs. 4a Satz 1 BImSchG i. V. m. § 4 Abs. 1 Satz 1 BImSchG orientiert sich das BVerwG zunächst an Wortlaut und Systematik der maßgeblichen Regelung. Die immissionsschutzrechtliche Genehmigungsbedürftigkeit einer Anlage ergebe sich im jeweiligen Einzelfall aus § 4 Abs. 1 Satz 3 BImSchG i. V. m. den Vorschriften der 4. BImSchV. Dies gelte auch für Anlagen zur Verwertung und Beseitigung von Abfällen und sonstigen Stoffen. Dabei komme es nicht darauf an, ob die Anlage innerhalb eines Gesamtbetriebs als Haupt- oder Nebenanlage eingesetzt werde. Für Anlagenteile oder Nebeneinrichtungen, die für sich betrachtet nach BImSchG genehmigungsbedürftig sind, enthalte § 1 Abs. 4 der 4. BImSchV den Hinweis, dass es lediglich einer Genehmigung für die gesamte Anlage bedürfe. Diese verfahrensrechtliche Vorschrift ändere aber nichts an der Genehmigungsbedürftigkeit des Anlagenteils oder der Nebenanlage.

Auch die Entstehungsgeschichte des § 17 Abs. 4a Satz 1 BImSchG spreche nicht gegen eine solche Auslegung. Mit der Regelung wollte der Gesetzgeber klarstellen, dass zur Sicherstellung der sich aus § 5 Abs. 3 BImSchG ergebenden Verpflichtung auch eine Sicherheitsleistung in angemessener Höhe auferlegt werden könne. Von dieser Regelung sollten allerdings nicht nur solche Anlagenarten erfasst werden, bei denen eine Annahme und Lagerung von Abfällen erfolge und damit typischerweise die Gefahr verbunden sei, dass die Annahme solcher Abfälle ohne Verwertungsabsicht oder hinreichendes Verwertungskonzept erfolge. Diese typischen Risiken bestünden aus Sicht des Gesetzgebers vielmehr auch dann, wenn bei einer Anlage die Annahme und Lagerung von Abfällen erfolge, ohne dass dies zugleich den Hauptzweck der Anlage darstellen müsste.

Bereits nach § 8 Abs. 2 AbfG 1986 habe unter anderem für Anlagen zur Lagerung- und Behandlung von Abfällen eine Sicherheitsleistung gefordert werden können. Diese Regelung habe auch schon für Nebenanlagen gegolten. Soweit durch das Investitionserleichterungs- und Wohnbaulandgesetz 1993 die Zulassung bestimmter Abfallentsorgungsanlagen in das Regelungsregime des Immissionsschutzrechts überführt wurde, entfiel diese Möglichkeit, wurde aber durch das Gesetz zur Sicherstellung der Nachsorgepflichten bei Abfalllagern von 2001 (BGBl I., S. 1550) wieder eingefügt und durch das Gesetz zur Umsetzung der UVP-Änderungsrichtlinie, der IVU-Richtlinie und weiterer EG-Richtlinien zum Umweltschutz im Jahr 2001 (BGBl I., S. 1950) nochmals abgeändert. Diese Rechtsentwicklung enthalte keine Anhaltspunkte dafür, dass bei Nebenanlagen eine Sicherheitsleistung ausgeschlossen sein sollte.

Schließlich ergebe sich die Erstreckung des Regelungsbereichs von § 17 Abs. 4a Satz 1 BImSchG auf Nebenanlagen auch aus Sinn und Zweck der Vorschrift. Danach sei sicherzustellen, dass die öffentliche Hand bei Zahlungsunfähigkeit des Betreibers einer Abfallentsorgungsanlage nicht die zum Teil erheblichen Sicherungs-, Sanierungs- und Entsorgungskosten zu tragen habe. Insoweit bestehe bei Abfallentsorgungsanlagen ein besonderes Insolvenzrisiko, das über das bei anderen immissionsschutzrechtlich genehmigungspflichtigen Anlagen bestehende Risiko noch hinausgehe. Dies folge aus dem negativen Marktwert, den Abfälle in der Regel aufweisen würden. Im Gegensatz zu Produktionsbetrieben erhalte der Betreiber einer Abfallentsorgungsanlage regelmäßig ein Entgelt dafür, dass er Abfälle annehme. Bei der weiteren Entsorgung der Abfälle, insbesondere in der Stilllegungsphase, entstünden dagegen regelmäßig Kosten. Dieses besondere Kostenrisiko der öffentlichen Hand solle durch die Anordnung einer Sicherheitsleistung vermieden werden.

Unter Berücksichtigung dieser Erwägungen hatte das Berufungsgericht ausgeführt, dass das Risiko einer erheblichen Kostenlast für die öffentliche Hand im Insolvenzfall nicht nur bei „reinen“ Abfallentsorgungsanlagen, sondern auch dann bestehe, wenn die Lagerung und die Entsorgung von Abfällen in einer Nebenanlage stattfindet. Insbesondere nach Eintritt der Insolvenz stünden regelmäßig keine Einnahmen aus dem Produktverkauf mehr zur Verfügung. Einnahmen aus der Veräußerung von Produktionsanlagen würden sich allenfalls erst längerfristig realisieren lassen, stünden also für die gebotene rasche Erfüllung der Pflichten aus § 5 Abs. 3 BImSchG nicht zur Verfügung.

Auch die Ausgestaltung des § 17 Abs. 4a -Satz 1 BImSchG als Soll-Vorschrift mache deutlich, dass von dem Verlangen einer Sicherheitsleistung lediglich in atypischen Fällen abzusehen sei. Dies setze bei einer am Zweck der Vorschrift ausgerichteten Auslegung einerseits voraus, dass bei einer Insolvenz des Betreibers der Anlage hohe Kosten der öffentlichen Hand auch ohne Sicherheitsleistung verneint werden könnten. Dies bedeute andererseits, dass das allgemeine Liquiditätsrisiko bereits grundsätzlich zur Anordnung einer Sicherheitsleistung führe. Deswegen sei insbesondere bei Anlagen zur Lagerung und Behandlung von Abfällen mit negativem Marktwert, wie beispielsweise bei Altreifen, das Verlangen einer Sicherheitsleistung regelmäßig zu rechtfertigen. Auch der Umstand, dass es sich bei einer Abfallentsorgungsanlage um eine Nebenanlage handele, eröffne keine Handhabe, von der Anordnung einer Sicherheitsleistung abzusehen. Denn das Kostenrisiko zur Erfüllung der Nachsorgepflichten nach § 5 Abs. 3 BImSchG sei im Falle einer Insolvenz bei einer als Nebenanlage betriebenen Abfallentsorgungsanlage typischerweise nicht geringer als bei einer „reinen“ Abfallentsorgungsanlage.

Quelle: Köhler & Klett Rechtsanwälte

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