Rechtsschutz ausländischer Nachbarn gegen die Genehmigung einer Windkraftanlage im deutschen Grenzgebiet

Grenzüberschreitende Umweltbelastungen genehmigungsbedürftiger Anlagen sind ein umstrittenes Phänomen des internationalen Umweltrechts. Unter den Mitgliedstaaten der Europäischen Union stellen sie eine besondere Herausforderung für den Rechtsschutz dar. Ein Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts hat sich jüngst hiermit auseinandergesetzt, hinterlässt jedoch offene Fragen.

 

Das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht (OVG) hat in einem Beschluss vom 01.08.2011 (12 LA 297/09) über die Klage eines ausländischen Nachbarn gegen die Genehmigung von Windenergieanlagen im deutschen Grenzgebiet entschieden. Nach dem Leitsatz des Beschlusses hat die Behörde vor Erteilung einer Genehmigung für ein in der Bundesrepublik Deutschland geplantes Vorhaben grundsätzlich nur zu prüfen, ob das Vorhaben mit der deutschen Rechtsordnung vereinbar ist. Dagegen ist es – so das OVG – nicht Gegenstand des Genehmigungsverfahrens, ob die dem ausländischen Nachbarn nach dem Recht seines Staates gewährleisteten Rechte gewahrt sind. In dem zugrundeliegenden Fall wandte sich ein auf niederländischem Gebiet wohnender Nachbar gegen die Genehmigungen zur Errichtung und zum Betrieb mehrerer Windkraftanlagen im deutschen Grenzgebiet. Seine gegen die Genehmigungen gerichtete Anfechtungsklage wies das Verwaltungsgericht in erster Instanz ab. Der dagegen gerichtete Antrag auf Zulassung der Berufung hatte vor dem OVG keinen Erfolg. In den Gründen des Beschlusses führt das OVG aus, dass weder ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des klageabweisenden Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) bestünden noch eine besondere rechtliche Schwierigkeit der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) vorliege. Auch den Zulassungsgrund einer grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) sah das OVG als nicht hinreichend dargelegt an. Das OVG erkennt zwar an, dass das Völkergewohnheitsrecht und das allgemeine Diskriminierungsverbot des EU-Rechts gebieten, ausländischen Grenznachbarn zur effektiven Durchsetzung ihrer Rechte ebenso wie deutschen Nachbarn die Klagebefugnis nach Maßgabe des deutschen Rechts sowie die nachbarlichen, aus drittschützenden Rechtsnormen folgenden Abwehrrechte der deutschen Rechtsordnung zuzugestehen (so bereits BVerwGE 75, 285; 132, 151). Hiermit korrespondiert in formellrechtlicher Hinsicht das Gebot der grenzüberschreitenden Behörden- und Öffentlichkeitsbeteiligung (§ 11 a der 9. BImSchV).

 

Ein darüber hinausgehendes Recht des ausländischen Grenznachbarn, von den Behörden im Genehmigungsverfahren so gestellt zu werden, wie er stehen würde, wenn das Vorhaben im eigenen Land realisiert würde, ergibt sich daraus jedoch nach der Erkenntnis des OVG nicht. Hierfür rekurriert das OVG auf das völkerrechtliche Territorialitätsprinzip. Der Grundsatz der Ausschließlichkeit der staatlichen Gebietshoheit fordere, dass eine deutsche Behörde vor Erteilung einer Genehmigung (lediglich) prüfe, ob das Vorhaben mit dem in der Bundesrepublik geltenden öffentlichen Recht übereinstimme. Im Ergebnis werde damit der im Ausland lebende Grenznachbar genauso behandelt wie die im Bundesgebiet lebenden Nachbarn des Vorhabens. Darin liege keine Diskriminierung, sondern gerade die auf europäischer Ebene geforderte Gleichbehandlung von Ausländern und Inländern. Der vom Kläger des Ausgangsverfahrens behauptete Rechtssatz, wonach jeder sich bei Vorhaben mit grenzüberschreitenden Auswirkungen gegenüber der Genehmigungsbehörde auf die in seinem Land geltenden Regelungen berufen könne, lasse sich weder aus dem Europarecht noch aus sonstigen Rechtsquellen entnehmen. Ob auch das Recht des Nachbarstaates eingehalten werde, sei nicht Bestandteil des Genehmigungsverfahrens (so das OVG unter Bezugnahme auf BVerwGE 75, 285 und OVGLüneburg, NVwZ 2007, 354).

 

Diese Grundsätze mögen dem herkömmlichen, völkerrechtlich verstandenen Territorialitätsprinzip entsprechen. So unangefochten, wie die Diktion des OVG sie erscheinen lässt, dürften sie indessen im supranationalen Europarecht nicht mehr sein. Soweit europarechtliche Normen zwingende Mindestvorgaben des Nachbarschutzes enthalten, müssen die Mitgliedstaaten diesen Anforderungen im Wege der nationalen Rechtsetzung und Rechtsanwendung Rechnung tragen; dies gesteht auch das OVG ausdrücklich zu. Dabei ist der Grundsatz der europarechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts zu beachten. Das Europarecht übt hierdurch eine vereinheitlichende Wirkung aus, die sich vielfach in einer progressiven Verstärkung des umweltrechtlichen Nachbarschutzes niederschlägt.

 

In diese Richtung weist auch die europarechtlich geprägte Erweiterung der Klagebefugnis Drittbetroffener, die nicht mehr im engen Sinne der deutschen Schutznormtheorie verstanden werden darf. Danach ist eine europarechtliche Norm geeignet, als Grundlage einklagbarer individueller Rechtspositionen zu dienen, wenn sie Angelegenheiten regelt, an denen Einzelpersonen als Partizipanten beteiligt sind. Es reicht aus, wenn eine dem Wohl der Allgemeinheit dienende Norm den Schutz der Interessen Einzelner notwendig mitumfasst.

 

Darüber hinaus wird heute im rechtswissenschaftlichen Schrifttum die Frage, inwieweit sich Drittbetroffene vor den Gerichten des Nachbarstaates auf in ihrem Land geltende, strengere Umweltschutzbestimmungen berufen können, als offen bezeichnet. Als denkbar wird insofern eine Abgrenzung vorgeschlagen, nach der Anlagen mit grenzüberschreitenden Wirkungen nur so errichtet und betrieben werden dürfen, dass die Immissionsgrenzwerte des Nachbarstaates auf dessen Territorium nicht überschritten werden. Wenn man hiernach fragt, erscheint – jedenfalls im Staatenverbund der Europäischen Union – das Territorialitätsprinzip nicht mehr eindeutig. Ob es wirklich zu Gunsten des Gebietsbezuges der genehmigungsbedürftigen und umweltbelastenden Anlagen wirkt oder – entgegen der Ansicht des OVG Lüneburg – auf die Gewährleistung eines einheitlichen Umweltschutzniveaus im betroffenen Gebiet hinwirkt, bleibt – nicht zuletzt i.S. des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO – eine offene Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung.

 

Quelle: Köhler & Klett Rechtsanwälte