Pflicht des Grundstückseigentümers zur Sanierung von Anschlussleitungen an die öffentliche Abwasseranlage

Nach § 53 Abs. 1 Satz 1 des Wassergesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (Landeswassergesetz – LWG) haben die Gemeinden die Aufgabe, das auf ihrem Gebiet anfallende Abwasser gemäß § 55 Wasserhaushaltsgesetz (WHG) zu beseitigen, ohne dass das Wohl der Allgemeinheit beeinträchtigt wird. Dieser Abwasserbeseitigungspflicht kommen die Gemeinden nach, indem sie die zur Abwasserbeseitigung erforderlichen Anlagen als öffentliche Einrichtung im Sinne von § 8 Abs. 1 der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen (GO NRW) zur Verfügung stellen. Die Befugnis nach § 8 Abs. 1 GO NRW, eine öffentliche Abwassereinrichtung zu betreiben einerseits, sowie die Abwasserbeseitigungspflicht nach § 53 Abs. 1 LWG andererseits ermächtigen die Gemeinde als Einrichtungsinhaberin, die Rechte und Pflichten der Einrichtungsnutzer durch Satzung im Sinne des § 7 GO NRW aufgrund und im Rahmen der Gesetze zu regeln. Das Verwaltungsgericht Aachen (VG) hat mit Beschluss vom 02.11.2015 (6 L 696/15) entschieden, dass der Eigentümer eines Grundstücks durch eine solche Satzung auch zur Sanierung der Anschlussleitungen zum öffentlichen Abwasserkanal verpflichtet werden kann.

 

Antragsteller des Verfahrens vor dem VG waren Grundstückseigentümer, die verpflichtet worden waren, eine zum öffentlichen Abwasserkanal führende Anschlussleitung zu sanieren bzw. diese Sanierung zu dulden. Das Grundstück der Antragsteller ist mit einer 28,5 m langen Anschlussleitung an den öffentlichen Abwasserkanal angeschlossen. Im Oktober 2014 fiel im Rahmen einer Untersuchung des Hausanschlusses der Antragsteller auf, dass die Anschlussleitung zahlreiche, zum Teil erhebliche Schäden aufwies. Nach einem streitigen Schriftwechsel zwischen Antragstellern und Antragsgegnerin zu einer Sanierungspflicht der Antragsteller, erließ die Antragsgegnerin am 20.07.2015 gegen die Antragsteller jeweils unter Anordnung der sofortigen Vollziehung eine Ordnungsverfügung mit dem Inhalt, die an der Anschlussleitung festgestellten Schäden zu sanieren bzw. die Sanierung zu dulden; für den Fall der Zuwiderhandlung, wurden die Ersatzvornahme mit voraussichtlichen Kosten von bis zu 20.000,00 € bzw. ein Zwangsgeld angedroht. Zur Begründung verwies die Antragsgegnerin im Wesentlichen darauf, dass aufgrund der festgestellten Schäden sowie der damit im Zusammenhang stehenden hohen Wahrscheinlichkeit von Schmutzwasseraustritt und Gefährdung des Grundwassers dringender Handlungsbedarf bestehe. Der Eigentümer der Anschlussleitung habe gemäß der Abwasserbeseitigungssatzung die Pflicht zur Sanierung dieser Leitungen.

 

Die Antragsteller stellten daraufhin beim VG einen Antrag auf Eilrechtsschutz. Im Wesentlichen verwiesen sie darauf, dass die Stadt die Kosten für die Sanierung der Anschlussleitungen nicht durch Satzung dem Bürger auferlegen könne. Zudem weise das gesamte Schadensbild darauf hin, dass die Anschlussleitung nicht aufgrund normalen Verschleißes defekt sei, sondern die Schäden auf Verlegefehler, Verkehrsaufkommen und Straßenerneuerungen zurückzuführen seien. Ferner verstieß es nach Ansicht der Antragsteller gegen den Gleichheitssatz, dass sie wesentlich höhere Sanierungskosten tragen sollten als die Anlieger auf der gegenüberliegenden Seite der Straße, die für eine deutlich kürzere Anschlussleitung verantwortlich sein sollten.

 

Das VG ist der Argumentation der Antragsteller nicht gefolgt. Es befand den Antrag für unbegründet und bewertete die Ordnungsverfügungen der Antragsgegnerin bei summarischer Betrachtung insgesamt als rechtmäßig.

 

Die Rechtsgrundlage für die Verpflichtung zur Sanierung der Anschlussleitung sah das VG in der Abwasserbeseitigungssatzung, die in § 13 Abs. 6 Satz 1 dem Anschlussnehmer die Herstellung, Erneuerung und Veränderung, die laufende Unterhaltung sowie die Beseitigung von Grundstücksanschlussleitungen auferlegt. Nach § 2 Nr. 1 der Abwasserbeseitigungssatzung ist Anschlussnehmer der Eigentümer des Grundstücks, das an die öffentliche Abwasseranlage angeschlossen ist. Die Grundstücksanschlussleitungen gehören laut § 2 Nr. 6 b der Abwasserbeseitigungssatzung nicht zur öffentlichen Abwasseranlage.

 

Nach Auffassung des VG steht die Abwasserbeseitigungssatzung mit übergeordneten rechtlichen Grundsätzen im Einklang, so dass sie in materiell-rechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden ist. Die Befugnis, öffentliche Einrichtungen (hier die zur Abwasserbeseitigung erforderlichen Anlagen) zu betreiben, umfasse auch die Ermächtigung, das Benutzungsverhältnis generell durch Sonderverordnungen oder – wie hier – durch Satzung und im Einzelfall durch Verwaltungsakt zu regeln (Anstaltsgewalt).

 

Die Sicherstellung des ordnungsgemäßen Betriebs der öffentlichen Abwassereinrichtung und damit der den Gemeinden obliegenden Abwasserbeseitigungspflicht aus § 53 Abs. 1 LWG könne nur erfolgen, wenn den Gemeinden das Abwasser auch überlassen werde. Aus diesem Grund habe der Landesgesetzgeber in § 53 Abs. 1 c LWG der Beseitigungspflicht der Gemeinden die Pflicht der Nutzungsberechtigen eines Grundstücks, das auf dem Grundstück anfallende Wasser der Gemeinde zu überlassen, gegenübergestellt. Diese auf die Überlassung des Abwassers gerichtete Pflicht sichere das hochrangige Schutzgut Reinhaltung der Gewässer, indem die Gewässer durch die zentralisierte Abwasserbeseitigung in besonders zuverlässiger Weise vor Verunreinigungen bei der Abwasserbeseitigung bewahrt würden. In ihrer Abwasserbeseitigungssatzung habe die Antragsgegnerin die Art und Weise näher festgelegt, in der die Erfüllung der Abwasserüberlassungspflicht des Nutzungsberechtigten eines Grundstücks nach § 53 Abs. 1 c LWG erfolgen soll – nämlich durch Anschluss an die öffentliche Abwassereinrichtung und durch deren Benutzung. Die Regelung in der Satzung über die Herstellungs-, Sanierungs- und Unterhaltungspflichten des Anschlussnehmers brächten lediglich die Selbstverständlichkeit zum Ausdruck, dass derjenige, der sich im eigenen (Sonder-) Interesse – wie hier zur Erfüllung seiner Abwasserüberlassungspflicht – an den öffentlichen Abwasserkanal anschließen müsse, den Anschluss grundsätzlich auf eigene Kosten herzustellen und instand zu halten habe. Diese Pflichten lägen, ohne dass überhaupt eine satzungsrechtliche Regelung notwendig wäre, bei demjenigen, der sein Grundstück an die öffentliche Anlage selbst anschließt.

 

Den Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (GG) sah das VG durch die satzungsrechtlichen Bestimmungen nicht verletzt. Auch wenn die Kosten für die Grundstückseigentümer, die für eine längere Anschlussleitung zum öffentlichen Abwasserkanal verantwortlich seien, dadurch spürbar höher seien als für diejenigen, deren Anschlussleitung deutlich kürzer sei, werde durch den Zwang zum Anschluss an den öffentliche Abwasserkanal sowie dessen Benutzung und den daraus resultierenden Kosten der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG nicht verletzt. Denn die Ungleichbehandlung vergleichbarer Sachverhalte sei gerechtfertigt. Es stehe im weiten Ermessen des Satzungsgebers, welche technischen Lösungen er zur Abwassereinleitung vorsehe. Sodann stehe es im Planungsermessen der Gemeinde, für welche Entwässerungslösung sie sich im konkreten Fall entscheide. Ob die Gemeinde bei der Planung und Herstellung der Kanalisation in jeder Hinsicht die zweckmäßigste und kostengünstigste Lösung gewählt habe, stehe daher nicht zur Entscheidung des Gerichts. Seine Grenzen finde das Planungsermessen erst dann, wenn die Gemeinde ihren Gestaltungsspielraum ohne sachlichen Grund einseitig zulasten der Anschlusspflichtigen ausgenutzt habe.

 

Im vorliegenden Fall entsprachen die Grundstücksanschlussleitungen nach Ansicht des VG aufgrund der unstreitig festgestellten Schäden nicht mehr den technischen Anforderungen nach § 60 Abs. 1 WHG. Stünde die Sanierungsbedürftigkeit der Grundstücksanschlussleitungen fest, stehe die nähere Bestimmung von Zeitpunkt, Art und Umfang der durchzuführenden Maßnahme im pflichtgemäß auszuübenden Ermessen der Antragsgegnerin. Im Rahmen dieser Ermessensentscheidung habe sie die betroffenen öffentlichen und privaten Belange abzuwägen. Dabei verlange das öffentliche Interesse, dass die Anschlussleitungen betriebssicher beschaffen seien und ordnungsgemäß funktionierten, damit die Stadt ihre Abwasserbeseitigungspflicht rechtmäßig erfüllen könne, indem sie das Abwasser auf unschädliche Weise in die öffentliche Abwassereinrichtung übernehme. Dieses Ermessen habe die Antragsgegnerin hier durch den Erlass der streitigen Verfügung ausgeübt. Angesichts des Schadenszustands sei die mit der Sanierungsforderung angestrebte Wiederherstellung von funktionstüchtigen Grundstücksanschlussleitungen die geeignete und erforderliche Maßnahme.

 

Auch ansonsten beurteilte das VG die Sanierungsverfügung als verhältnismäßig. Die Auferlegung der Sanierungspflicht gegenüber dem Eigentümer erscheine im Hinblick auf die zuvor dargestellte Aufgaben- und Pflichtenverteilung sowie auf die Sozialbindungen des Eigentums nach Art. 14 Abs. 2 GG auch dann als gerechtfertigt, wenn eine Sanierung nur im kostenintensiveren Verfahren möglich sei. Unerheblich für die Sanierungspflicht sei auch die Frage, wodurch oder durch wen die zur Sanierungsforderung führenden Mängel an der Grundstücksanschlussleitung verursacht worden seien. Es sei unerheblich, ob diese Mängel durch eine bei der Herstellung der Leitung nicht fachgerechte Verlegung seitens der Antragsgegnerin oder eines von ihr beauftragten Unternehmens verursacht worden seien. Maßgeblich für das Ob der Sanierungspflicht und die Person des Sanierungspflichtigen seien die Schwere der Schäden und die Aufgabenverteilung nach der Satzungslage. Worauf die Sanierungsbedürftigkeit der Anschlussleitung letztlich zurückzuführen sei, sei allenfalls eine Schadensersatzfrage, die aber im Zusammenhang mit der Frage, wer die akuten Mängel an der Anschlussleitung zu beheben habe, keine Rolle spiele.

 

Die Entscheidung des VG vom 02.11.2015 liegt auf einer Linie mit der jüngeren Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts NRW, nach der den Grundstückseigentümer grundsätzlich die Pflicht trifft, eine Grundstücksanschlussleitung laufend instand zu halten und gegebenenfalls zu sanieren (Beschluss vom 07.01.2016 – 15 B 1370/15). Eine lange Grundstücksanschlussleitung bedeutet daher für den Grundstückseigentümer ein nicht zu unterschätzendes Kostenrisiko.

 

 

Quelle: Köhler & Klett Rechtsanwälte