Die Abfalleigenschaft von Bahnschwellen aus Beton hängt von den Voraussetzungen des Abfallbegriffs in § 3 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 KrW-/AbfG ab. Insoweit soll es nach dem Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 29.09.2010 (7 ME 54/10) bei der rechtlichen Beurteilung auf das Tatbestandsmerkmal der Unmittelbarkeit des Zweckwechsels ankommen.
In dem der Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz zu Grunde liegenden Fall wurde der Antragstellerin die Lagerung von Betonschwellen auf dem Betriebsgelände nach § 20 Abs. 2 Satz 1 BImSchG untersagt, da es an der Genehmigung für die Lagerung der Bahnschwellen fehle, bei denen es sich um Abfall handele. Während das Verwaltungsgericht die Anordnung des Sofortvollzugs dieser immissionsschutzrechtlichen Untersagungsanordnung bestätigte, wurde auf die Beschwerde der Antragstellerin die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs durch das Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht (OVG) wiederhergestellt.
Dabei gründete sich die Entscheidung des OVG auf erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheids gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 BImSchG. Eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung ist nur dann erforderlich, wenn in der Anlage Abfälle zur Verwertung oder Beseitigung gelagert werden sollen. Nach der vorläufigen Abwägungsentscheidung des OVG sprach jedoch Überwiegendes dagegen, dass es sich bei den Betonschwellen um Abfall handelte. Denn der Wille des Besitzers zur Entledigung beweglicher Sachen ist nach § 3 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 KrW-/AbfG anzunehmen, wenn die ursprüngliche Zweckbestimmung entfällt oder aufgegeben wird, ohne dass ein neuer Verwendungszweck „unmittelbar“ an deren Stelle tritt. Insoweit ist für die Beurteilung der Zweckbestimmung die Auffassung des Besitzers der Sachen unter Berücksichtigung der Verkehrsauffassung zu Grunde zu legen.
Unstreitig hatten die Betonschwellen ihre ursprüngliche Zweckbestimmung mit der Entfernung aus dem Gleisbett verloren. Nach dem zu Grunde liegenden Sachverhalt der Entscheidung des OVG betrieb die Antragstellerin jedoch den Verkauf der Betonschwellen zu deren alsbaldiger Weiternutzung in verschiedensten Funktionen, zum Beispiel als Zaunpfähle, für Lärmschutzwände, zur Maschinenbeschwerung oder zur Befestigung von Feld- und Waldwegen. Soweit diese neuen Verwendungszwecke „unmittelbar“ an die Stelle der alten Verwendungszwecke treten würden, handele es sich, so das OVG, nicht um Abfall.
Hinsichtlich der „Unmittelbarkeit“ war zwischen den Beteiligten streitig, ob dieses Tatbestandsmerkmal für den Zweckwechsel eine zeitliche Vorgabe enthalten würde. Dies verneinte das OVG. Es komme vielmehr darauf an, dass nicht eine andere Zweckbestimmung dazwischentrete. Es dürfe insoweit keine Zwischenbehandlung notwendig sein. Daher müsse ein einheitlicher, nicht unterbrochener Wille des Besitzers vorliegen, wie mit den Sachen neu verfahren werden soll. Dabei dürfe die Absicht des Besitzers im Zeitpunkt der Umwidmung nicht unrealisierbar sein. Zeitlich reiche es dafür aus, dass die Nutzung zu dem neuen Zweck in einem überschaubaren Zeitraumobjektivmöglich ist. Das Zeitkriterium sei danach lediglich ein unterstützendes Indiz für den neuen Nutzungszweck, ohne dass das Gesetz bestimmte Zeitvorgaben enthielte. Aus diesen Gründen könne der Antragstellerin nicht abgesprochen werden, dass die von ihr unbehandelten Bahnschwellen aus Beton von Beginn an zum Weiterverkauf für die benannten Zwecke vorgesehen waren und der Weiterverkauf jedenfalls nicht unrealisierbar erschien. Außerdem sei nach § 3 Abs. 3 Satz 2 KrW-/AbfG die maßgebliche Auffassung des Besitzers bei der Zweckbestimmung durch die Berücksichtigung auch der Verkehrsauffassung ergänzt. Zur Konkretisierung der Verkehrsauffassung werde der Behörde keine größere ökonomische Kompetenz gegenüber dem mit gebrauchten Gegenständen handelnden Wirtschaftsunternehmen eingeräumt.
Den Erwägungen des Gerichts im Zusammenhang mit dem Tatbestandsmerkmal „unmittelbar“ wird nach der Umsetzung der EG-Abfall-Rahmenrichtlinie voraussichtlich keine weitere Bedeutung zukommen. Das Tatbestandsmerkmal entfällt nach den neuen Vorschriften. Nach den zukünftigen Vorschriften wird gesondert zu prüfen sein, ob die Bahnschwellen mit diesen Zweckbestimmungen Abfall sein werden. Gegebenenfalls lassen sich die Bahnschwellen mit ihrer neuen Funktion als Bauteil den Maßnahmen der dann vorgesehenen fünfstufigen Abfallhierarchie nicht eindeutig zuordnen. Denn die „Wiederverwendung“ von Erzeugnissen oder Bestandteilen im Sinne des Entwurfs für ein Kreislaufwirtschaftsgesetz, die keine Abfälle sind, geht von der Verwendung für denselben Zweck aus. Darunter würden die Bahnschwellen aus Beton nicht fallen können, weil diese nach dem entschiedenen Sachverhalt nicht mehr für die Herstellung eines Gleiskörpers vorgesehen waren. Andererseits würden sie auch nicht der Maßnahme „Vorbereitung zur Wiederverwendung“ zuzuordnen sein, weil die Bahnschwellen insoweit einem Prüfungs-, Reinigungs- oder Reparaturverfahren unterzogen werden müssten, für das sie bereits als Abfälle gelten sollen. Für derartige Erfordernisse liegen Anhaltspunkte nicht vor. Erst recht scheint ausgeschlossen, sie einer Maßnahme des „Recycling“ zuzuordnen, da sie danach zwar einem anderen Zweck dienen könnten, aber es dafür keines Verwertungsverfahrens zur Aufbereitung der Bahnschwellen als Abfälle bedarf. Der vorliegende Fall bliebe also nach dem neuen Abfallrecht noch von der Rechtsprechung zu klären.
Quelle: Köhler & Klett Rechtsanwälte