Aktuelle Entscheidung des BVerwG zu Immissionsrichtwerten

„Festsetzungen von Immissionsrichtwerten unterhalb der TA-Lärm sind unzulässig“

Sachverhalt

 

Die Klägerin wandte sich im vorliegenden Verfahren gegen eine Nebenbestimmung im Genehmigungsbescheid für die Errichtung und den Betrieb einer Windfarm. Hinsichtlich des Lärmschutzes enthielt der Genehmigungsbescheid folgende Nebenbestimmung:

„5.3 Die von der Windfarm verursachte Schallimmission darf im gesamten Einwirkungsbereich nicht zur Überschreitung der Immissionsrichtwerte nach TA-Lärm an den nachstehenden Immissionsorten (IO) führen. Insbesondere dürfen folgende Beurteilungspegel jeweils 0,5 m vor der Mitte des geöffneten Fensters des vom Lärm am stärksten betroffenen schutzbedürftigen Raumes nicht überschritten werden:

IO (A) […] nachts 38 db(A)

IO (B) […] nachts 40 db(A).“

Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg bestätigte mit Urteil vom 12.05.2011 -OVG 11 B 20.10 zunächst die Rechtmäßigkeit dieser Regelung.

Gegen dieses Urteil legte die Klägerin Revision beim BVerwG ein.

 

Entscheidung des BVerwG

 

Der 7. Senat des Bundesverwaltungsgerichts hat am 21.02.2013 durch Urteil die eingelegte Revision der Klägerin für begründet erkannt. Zwar greife die Rüge der Revision, das Gericht habe mit seinem Verständnis der Nebenbestimmung gegen allgemeine Grundsätze der Auslegung eines Verwaltungsaktes verstoßen nicht durch. Gleichwohl verletzt die entscheidungstragende Annahme des Gerichts, der mit der genannten Nebenbestimmung festgesetzte Kontrollwert finde im Vorsorgeprinzip eine rechtliche Grundlage, Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Zwar können Kontrollwerte nach den vom Bundesverwaltungsgericht entwickelten Grundsätzen im immissionsschutzrechtlichen Vorsorgeprinzip eine rechtliche Grundlage finden, allerdings trifft dies auf die vorliegend getroffene Festsetzung nicht zu, weil der festgesetzte Immissionswert ungeeignet ist, die Funktion eines Kontrollwertes zu erfüllen. Dabei gilt es stets zu beachten, dass eine Anlage, die nach den Antragsunterlagen über ein bestimmtes technischen Leistungsvermögen zur Begrenzung von Immissionen verfügt, genehmigt wird, diese entsprechend diesem Standard betrieben werden muss, selbst wenn die einschlägigen Grenz- oder Richtwerte auch mit weniger anspruchsvollen Standards eingehalten werden könnten. Allerdings bestehen erhebliche Zweifel, ob überhaupt ein die Festsetzung eines Kontrollwertes rechtfertigender Kontrollbedarf gegeben ist. Grundsätzlich kann ein Kontrollbedarf nämlich nur bestehen, wenn die jeweilige Anlagentechnik überhaupt mit dem Risiko nachteiliger Veränderungen des Emissionsverhaltens der Anlage verbunden ist. Im vorliegenden Fall kann die Beantwortung dieser Frage allerdings dahinstehen, denn als Kontrollwert ist ein Immissionswert festgesetzt worden. Dabei gilt es sich zu vergegenwärtigen, dass Kontrollwerte einen unmittelbaren Anlagenbezug aufweisen müssen. Wie bereits dargelegt dienen sie der Überwachung des Emissionsverhaltens der Anlage. Diese Funktion können allerdings nur Emissionswerte, nicht hingegen Immissionswerte gerecht werden da nur erstere Mängel des Anlagenbetriebs zu Tage führen.

 

Im Ergebnis ist also Folgendes festzuhalten: Die in vielen Bundesländern gängige Verwaltungspraxis, die in den einschlägigen Schallimmissionsprognosen ermittelten Beurteilungspegel an den jeweiligen Immissionspunkten in die Nebenbestimmungen eines immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsbescheides zur Errichtung und zum Betrieb von Windenergieanlagen schlicht weg zu „übernehmen“, obwohl die Immissionsrichtwerte der TA Lärm überhaupt nicht tangiert werden bzw. nachweislich eingehalten werden, ist rechtswidrig. Die oftmals angeführte Begründung, dies sei unter dem Aspekt des immissionsschutzrechtlichen Vorsorgeprinzips notwendig, wurde vom Bundesverwaltungsgericht ebenfalls verworfen.

 

Quelle: Prof. Dr. Martin Maslaton

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