Zur Einstufung von Abfällen nach sogenannten Spiegeleinträgen und den Anforderungen an die Methodik von Abfallbeprobungen nach Maßgabe des europäischen Rechts

EuGH –Vorabendscheidungsersuche vom 16.11.2017, C-487/17, C-488/17 und C- 489/17

Die Einstufung von Abfällen als gefährlich oder nicht gefährlich bildet eine entscheidende Weichenstellung im europäischen und deutschen Abfallrecht. Hiervon ist beispielsweise abhängig, ob ein Abfall dem Nachweisrecht unterfällt oder in welchem Maße einem unsachgemäßen Umgang mit solchen Abfällen strafrechtliche Bedeutung zukommen kann. Ob ein Abfall gefährlich oder ungefährlich ist, ist also auch von erheblicher haftungsrechtlicher Bedeutung.

Maßgebend für die Bezeichnung und die Einstufung von Abfällen ist in Deutschland die Abfallverzeichnisverordnung (AVV). Alle Abfallarten, die in der AVV als gefährlich eingestuft sind, werden durch einen Stern (*) hinter der Abfallschlüsselnummer gekennzeichnet. Abfallarten, die sowohl als gefährlicher als auch als nicht gefährlicher Abfall anfallen können, werden doppelt geführt, wobei stets die Formulierung „mit Ausnahme derjenigen, die unter […] fallen“ gewählt wird.

Diese Eintragspaare werden auch als „Spiegeleinträge“ bezeichnet, die in der AVV allein 378-mal zu finden sind und damit eine erhebliche Relevanz in der Praxis haben. Bei Spiegeleinträgen ist im Einzelfall zu prüfen, ob die konkreten Abfälle als gefährlich eingestuft werden müssen. Dies ist der Fall, wenn der Abfall relevante gefährliche Stoffe enthält, aufgrund derer er eine oder mehrere der in Anhang III der Abfallrahmenrichtlinie 2008/98/EG aufgeführten gefahrenrelevanten Eigenschaften aufweist. Dies ist vom Abfallerzeuger/-besitzer positiv festzustellen, was diesen vor erhebliche Probleme stellen kann. In der Praxis ist oftmals umstritten, welche konkreten Anforderungen an die Untersuchung oder Beprobung der Abfälle gestellt werden müssen, um eine ordnungsgemäße Einstufung sicherzustellen.

Der Corte suprema di cassazione (Oberster Kassationsgerichtshof Italiens) hat in mehreren abfallrechtlichen Strafverfahren diesbezügliche Fragen nun dem EuGH vorgelegt. Konkret fragt das italienische Gericht sinngemäß:

1. Ist dem europäischen Recht zu entnehmen, dass der Abfallerzeuger vorab eine Bestimmung des Abfalls vornehmen muss, wenn dessen Zusammensetzung nicht bekannt ist, und gegebenenfalls in welchen Grenzen?
2. Ist die Untersuchung auf gefährliche Substanzen anhand vorbestimmter einheitlicher Methoden durchzuführen?
3. Muss die Untersuchung auf gefährliche Substanzen auf einer genauen und repräsentativen Überprüfung unter Berücksichtigung der Zusammensetzung des Abfalls beruhen, wenn diese bereits bekannt ist oder im Zuge der Bestimmung festgestellt wird, oder kann die Untersuchung auf gefährliche Substanzen vielmehr nach Wahrscheinlichkeitskriterien dahingehend erfolgen, dass jene Substanzen gesucht werden, deren Vorhandensein realistischerweise in dem Abfall erwartet werden kann?
4. Ist ein Abfall bei Zweifeln über das Vorhandensein gefährlicher Substanzen oder bei Unmöglichkeit einer zuverlässigen Bestimmung des Vorhandenseins solcher Substanzen aufgrund des Vorsorgeprinzips jedenfalls als gefährlicher Abfall zu klassifizieren und zu behandeln?

Nach Art. 267 AEUV wird der EuGH nun eine Entscheidung über die Fragen treffen, die dann für die Gerichte der Mitgliedstaaten bindend ist. Das Vorabentscheidungsverfahren soll die Einheitlichkeit der Rechtsprechung im Hinblick auf europäisches Recht gewährleisten.

Anmerkung:

Die dem EuGH durch das italienische Strafgericht gestellten Fragen sind für die abfallwirtschaftliche Praxis von erheblicher Relevanz. Obgleich die zutreffende Einstufung eines Abfalls als gefährlich oder ungefährlich aus haftungsrechtlicher Sicht für die Erzeuger und Besitzer von großer Bedeutung ist, ist die hierzu nötige Bewertung in der Praxis oftmals schwierig. Sie wird in Deutschland regelmäßig anhand spezifischer Auslegungshinweise der einzelnen Bundesländer – d.h. letztlich nicht nach bundseinheitlichen Maßstäben – getroffen. Zudem führt insbesondere die jüngere Novelle des europäischen Rechts (s. Anhang III der Abfallrahmenrichtlinie 2008/98/EG) zum Teil zu neuen, komplexeren Prüfungsanforderungen einschließlich eines Abgleichs mit den Vorgaben des europäischen Chemikalienrechts. Die Europäische Kommission hat hierzu jüngst einen 134 Seiten starken Technischen Leitfaden herausgegeben (s. ABl. d. EU v. 9.4.2018, C 124, S. 1 ff.), der die gesteigerten Prüfungsanforderungen verdeutlicht. Vor diesem Hintergrund ist es mit Spannung zu erwarten, wie sich der EuGH zu den ihm gestellten Fragen positionieren wird. Dies gilt zum einen mit Blick auf die Frage nach der „richtigen“ Methodik der Abfalleinstufung. So kann – in Bezug auf ein- und dasselbe Abfallhaufwerk – die Wahl unterschiedlicher methodischer Ansätze zu durchaus verschiedenen Ergebnissen mit Blick auf die Einstufung des gesamten Haufwerks führen. Nämlich abhängig davon, in welchem Maße die Repräsentativität der Ergebnisse einer Probe in den Vordergrund gestellt wird. Verwiesen sei hierzu nur auf die Unterscheidung zwischen der „Allgemeinen Beprobung“ nach Maßgabe der LAGA PN98, bei der die Repräsentativität der Ergebnisse im Vordergrund steht, gegenüber einer sogenannten „Hot-Spot-Beprobung“, bei der gezielt Stellen beprobt werden, bei denen sich der Verdacht gefährlicher Substanzen aufdrängt. Zum anderen ist (mit Blick auf die vierte dem EuGH gestellte Frage) von erheblicher Praxisrelevanz, ob und unter welchen Voraussetzungen der EuGH den zuständigen Behörden unter Verweis auf das Vorsorge-prinzip möglicherweise Beweiserleichterungen dahingehend verschaffen wird, dass sie – gewissermaßen prophylaktisch – eine Einstufung von Abfällen als gefährlich treffen können.

Quelle: KOPP-ASSENMACHER & NUSSER

Das dazu gehörige Fachseminar ist in der Seminarwelt des IWU Magdeburg auffindbar.

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