Tieffrequente Geräusche (TFG), also Schall im Frequenzbereich unter 90 Hz, stellen eine besondere Herausforderung im Immissionsschutz dar. Im Gegensatz zu hochfrequenten Geräuschen, die vorrangig über das Gehör wahrgenommen werden, sind TFG oft nicht nur hörbar, sondern werden auch als körperliche Sensation wie ein Druckgefühl, Vibrationen oder ein Dröhnen wahrgenommen. Die subjektiven und oft schwer nachweisbaren Beschwerden der Betroffenen, kombiniert mit den einzigartigen physikalischen Eigenschaften von Tieffrequenzschall, erfordern spezifische und von der allgemeinen Lärmbewertung abweichende Ansätze für Prognose, Messung und Beurteilung.
1. Die Besonderheiten tieffrequenter Geräusche
Tieffrequente Geräusche werden von einer Vielzahl technischer Anlagen emittiert, darunter große Ventilatoren, Blockheizkraftwerke, Wärmepumpen oder auch Windenergieanlagen. Ihre physikalischen Eigenschaften unterscheiden sie grundlegend von höherfrequentem Schall:
- Hohe Durchdringung: Aufgrund ihrer langen Wellenlänge werden tieffrequente Geräusche durch Mauern, Fenster und andere Hindernisse nur geringfügig abgeschwächt. Sie können daher leicht in Gebäude eindringen und dort zu einer störenden Geräuschkulisse führen.
- Geringe Dämpfung: Die Ausbreitung über größere Entfernungen erfolgt mit geringerer Dämpfung als bei höheren Frequenzen. Dies führt dazu, dass TFG auch in großer Entfernung zur Quelle wahrnehmbar sein können.
- Wahrnehmungsschwelle: Die menschliche Hörschwelle steigt mit abnehmender Frequenz stark an. Dennoch ist die subjektive Belästigung hoch, da bereits Pegel, die knapp über der Wahrnehmungsschwelle liegen, als unerträglich empfunden werden können.
Die schwer fassbare Natur der TFG kann bei Betroffenen zu erheblichem Stress, Schlafstörungen und dem Gefühl führen, nicht ernst genommen zu werden, da die Geräusche für Außenstehende oft nicht oder nur schwer hörbar sind.
2. Prognoseansätze und Quellanalytik
Die Prognose der Ausbreitung tieffrequenter Geräusche ist komplex. Herkömmliche Schallausbreitungsmodelle, die auf der A-Bewertung basieren, sind für TFG ungeeignet, da sie die physikalischen Besonderheiten nicht abbilden. Eine Prognose erfordert:
- Quellenanalyse: Eine genaue Bestimmung der Schallleistung der TFG-Quelle in den relevanten Frequenzbändern (z.B. im Terzbandspektrum von 10 Hz bis 100 Hz).
- Spezifische Modelle: Die Anwendung von Ausbreitungsmodellen, die die geringere Absorption und die hohe Durchdringungsfähigkeit von Tieffrequenzschall berücksichtigen.
- G-Bewertung: Bei der Prognose werden die berechneten Pegel häufig bereits mit der G-Bewertung gefiltert. Die G-Bewertung ist ein speziell für TFG entwickelter Filter, der das menschliche Wahrnehmungsempfinden für Körperschall und Vibrationen abbildet.
3. Messtechnik und Beurteilung nach DIN 45680
Die Beurteilung von TFG in Deutschland basiert maßgeblich auf der DIN 45680 „Messung und Beurteilung tieffrequenter Geräusche in der Nachbarschaft“. Diese Norm legt das methodische Vorgehen fest und ist das zentrale Werkzeug für Sachverständige und Behörden.
Messtechnische Anforderungen: Die Messung von TFG stellt besondere Anforderungen an die Ausrüstung. Es werden Mikrofone benötigt, deren Eigenrauschen sehr gering ist und die einen linearen Frequenzgang bis hinab zu 1 Hz aufweisen. Die Messung erfolgt unbewertet (linear), um alle Frequenzinformationen zu erfassen.
Beurteilungsmethodik nach DIN 45680: Der Kern der Beurteilung nach DIN 45680 ist der Vergleich des gemessenen oder prognostizierten Pegels mit einer Hörschwellen-Referenzkurve. Diese Kurve repräsentiert die Hörschwelle des durchschnittlichen Menschen für TFG und ist bei den niedrigsten Frequenzen sehr hoch.
Die Beurteilung erfolgt in zwei Schritten:
- Vorscreening: Zunächst wird der G-bewertete Schalldruckpegel (LpG) ermittelt. Liegt dieser unterhalb eines spezifischen Immissionsrichtwertes (z. B. 65 dB), sind in der Regel keine weiteren Maßnahmen erforderlich.
- Detailanalyse: Wird der Vorscreening-Wert überschritten, erfolgt eine detaillierte Beurteilung der TFG-Störungen. Hierzu wird die Hörschwellen-Differenz (Lg−Lg,0) berechnet. Diese Differenz gibt an, wie weit der G-bewertete Immissionspegel über der G-bewerteten Hörschwelle liegt. Der Beurteilungswert wird dann mit den in der Norm festgelegten Immissionsrichtwerten verglichen, die typischerweise sehr niedrig sind (z. B. 20 dB in reinen Wohngebieten).
4. Die Neuerung der DIN 45680 und ihre Bedeutung
Die Fassung der DIN 45680 aus dem Jahr 2013 brachte eine entscheidende Klarheit in das Mess- und Beurteilungsverfahren. Im Vergleich zur vorherigen Version wurden die Methoden präzisiert und die Hörschwellen-Referenzkurve festgeschrieben, was eine bundesweit einheitliche und rechtssichere Beurteilung ermöglichte. Diese Neuerung war eine Reaktion auf die zunehmende Anzahl von Beschwerdefällen, die mit den damals noch unscharfen Regelungen schwer zu behandeln waren.
Die aktualisierte Norm hat die Fachwelt darin bestärkt, TFG als eigenständiges Problem zu behandeln, das nicht einfach durch die Einhaltung herkömmlicher A-bewerteter Lärmgrenzwerte gelöst werden kann. Sie bietet einen systematischen Ansatz zur quantitativen Erfassung einer physischen Belästigung, die oft jenseits der Hörbarkeit liegt.
Die DIN 45680 wird derzeit überarbeitet. Die Neufassung der Norm aus dem Jahr 2013 ist nach wie vor gültig, aber die gesammelten Erfahrungen aus der Praxis haben gezeigt, dass eine weitere Präzisierung erforderlich ist.
Die Überarbeitung zielt darauf ab, offene Fragen und Interpretationsspielräume zu klären, die sich in den letzten Jahren ergeben haben. Ein Entwurf der überarbeiteten Norm wurde bereits veröffentlicht und befindet sich im laufenden Verfahren. Wesentliche Punkte der geplanten Änderungen umfassen:
- Beurteilung von Infraschall: Die neue Norm soll die Messung und Beurteilung von Infraschall (Frequenzen unter 20 Hz) detaillierter regeln. Das ist besonders relevant, da Infraschall vom Menschen nicht mehr gehört, aber oft als Körpervibration oder Druck wahrgenommen wird.
- Klare Definitionen: Es werden klarere Definitionen für bestimmte Messsituationen angestrebt, zum Beispiel für Geräusche, die nicht durchgehend auftreten, sondern nur kurzzeitig oder intermittierend sind.
- Umgang mit Hintergrundgeräuschen: Die Norm soll präzisere Vorgaben dazu machen, wie tieffrequente Hintergrundgeräusche zu behandeln sind und wie man sicherstellt, dass die gemessenen Emissionen tatsächlich von der zu beurteilenden Quelle stammen.
Die laufende Überarbeitung bestätigt, dass das Thema tieffrequente Geräusche und der Standard DIN 45680 weiterhin hochaktuell sind. Sie demonstriert, dass die Norm als zentrales Werkzeug im Immissionsschutz fortlaufend an neue technische Erkenntnisse und praktische Anforderungen angepasst wird, um ihren Status als „Stand der Technik“ zu bewahren.
5. Fazit
Tieffrequente Geräusche sind ein komplexes und vielschichtiges Phänomen des Immissionsschutzes. Sie erfordern spezifische Messgeräte, eine angepasste Messtechnik und ein differenziertes Beurteilungsverfahren, wie es die DIN 45680 bereitstellt. Die Norm hat die rechtliche und technische Grundlage für eine systematische Behandlung von TFG-Problemen geschaffen.
Trotz dieser Fortschritte bleibt die Beurteilung von TFG eine Herausforderung. Die Diskrepanz zwischen physikalischer Messung und subjektivem Empfinden ist eine ständige Quelle für Konflikte. Die sorgfältige Anwendung der Norm, die frühzeitige Berücksichtigung von TFG-Emissionen in der Anlagenplanung und eine transparente Kommunikation sind daher entscheidend, um die Belästigung durch Tieffrequenzschall wirksam zu minimieren und die Lebensqualität der Anwohner zu schützen.
