Die Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm (TA Lärm) und die aktuellen Herausforderungen in der Beurteilung gewerblicher und industrieller Geräusche sollen beleuchtet werden. Die jüngsten Entwicklungen, insbesondere im Kontext von Planungsbeschleunigung („Bauturbo“) und der Rechtsprechung zu Irrelevanz und Gemengelage, verlangen eine präzise Auslegung und Anwendung in der Genehmigungspraxis.
1. Irrelevanzprüfung und die Schwellenwerte
Die Beurteilung der Immissionsrelevanz von Geräuschen ist essenziell. Sie entscheidet darüber, ob ein Vorhaben überhaupt einer detaillierten schalltechnischen Untersuchung bedarf und ob die strenge Anwendung der TA Lärm erforderlich ist.
- Der Grundsatz: Ein Vorhaben ist irrelevant für die Beurteilung der Gesamtbelastung, wenn die von ihm ausgehenden Geräusche so gering sind, dass sie selbst bei Hinzurechnung zur Vorbelastung die zulässigen Immissionsrichtwerte (IRW) der TA Lärm nicht überschreiten oder die Gesamtbelastung durch das Vorhaben nicht maßgeblich beeinflusst wird.
- Aktueller Stand: Die Rechtsprechung hat die „Bagatellschwelle“ für die Irrelevanz in der Regel bei einer 10-dB(A)-Unterschreitung der maßgeblichen IRW durch das Einzelvorhaben angesiedelt . Neuere Entwicklungen, insbesondere bei Planungsbeschleunigungen (siehe Bauturbo), tendieren dazu, die Relevanzschwelle pragmatischer zu fassen, um den Aufwand für Bagatellfälle zu reduzieren.
- Praxis-Tipp: Selbst bei einer theoretischen Irrelevanz sollten die schalltechnischen Vorkehrungen des Vorhabens dokumentiert werden, um spätere Auseinandersetzungen zu vermeiden.
2. Die Gemengelage (Unechte) und ihre Herausforderungen
Die TA Lärm definiert die zulässigen IRW in Abhängigkeit von der Gebietsart (z. B. Industriegebiet, Mischgebiet, reines Wohngebiet). In der Praxis existieren jedoch oft unechte Gemengelagen, bei denen die tatsächliche Nutzung des Gebiets nicht mit der planungsrechtlichen Ausweisung übereinstimmt (z. B. alter Industriebetrieb inmitten neuer Wohnbebauung).
- Unechte Gemengelage: Sie liegt vor, wenn tatsächlich unterschiedliche Nutzungsarten nebeneinander existieren, die jeweils unterschiedliche Schutzansprüche rechtfertigen würden, ohne dass dies durch einen rechtskräftigen Bebauungsplan (B-Plan) abgesichert wäre.
- Beurteilung nach §2 Abs. 3 TA Lärm: Die Behörde muss die IRW in diesen Fällen durch die Ermittlung der tatsächlichen Schutzwürdigkeit des Immissionsortes bestimmen. Dies erfordert eine detaillierte Betrachtung der vorhandenen baulichen und funktionalen Verhältnisse. Ziel ist es, einen „angemessenen Immissionsrichtwert“ festzulegen, der den vorhandenen Schutzansprüchen gerecht wird und die Funktionsfähigkeit des Gebiets erhält.
- Kritische Auslegung: Die Anwendung des §2 Abs. 3 TA Lärm ist oft Ermessenssache und führt zu Unsicherheit. Es wird versucht, eine Mittelwertbildung oder eine Orientierung am „dominierenden Nutzungstyp“ vorzunehmen, was hohe Anforderungen an die sachverständige Begründung stellt.
3. Der „Bauturbo“: Beschleunigung im Zielkonflikt mit dem Immissionsschutz
Der sogenannte „Bauturbo“ (z. B. durch Regelungen im BauGB oder Spezialgesetzen zur Beschleunigung von Infrastruktur- und Energieprojekten) hat direkte Auswirkungen auf den Schallimmissionsschutz.
- Überragendes öffentliches Interesse: Gesetze wie das EEG 2023 oder das Windenergie-an-Land-Gesetz (WindBG) stellen die Errichtung und den Betrieb von Anlagen der Erneuerbaren Energien in das überragende öffentliche Interesse.
- Implikationen für die TA Lärm: Obwohl die TA Lärm selbst nicht direkt außer Kraft gesetzt wird, verschiebt sich die Abwägung zugunsten des Vorhabens. Immissionsschutzbelange treten nicht zurück, müssen aber im Rahmen von Abweichungs- und Befreiungsentscheidungen (§ 6 TA Lärm) besonders gewichtet werden.
- Fokus auf Bau- und Betriebsgeräusche:
- Bauphase: Hier sind verstärkt Erleichterungen und pragmatische Lösungen erforderlich. Die Baulärmprognose muss optimiert werden, wobei der Fokus auf aktive Lärmminderungsmaßnahmen und eine strikt zeitliche Begrenzung der lärmintensivsten Arbeiten liegen sollte.
- Betriebsphase: Die Einhaltung der IRW bleibt das primäre Ziel. Der „Bauturbo“ zwingt jedoch Planer dazu, von Anfang an lärmmindernde Technik (z. B. Schallschutzwände, Kapselung) als integralen Bestandteil der Planung zu implementieren, um Genehmigungsverfahren zu beschleunigen und die Anforderungen der TA Lärm zu erfüllen.
- Fazit zum Bauturbo: Die Beschleunigung erhöht den Druck auf die Qualität der frühen Planungsphase. Schlecht geplante Vorhaben, die erst spät im Verfahren die IRW überschreiten, führen zur Verzögerung, nicht zur Beschleunigung.
4. Auslegung gewerblicher/industrieller Geräusche (I- und G-Geräusche)
Die korrekte Bestimmung der Immissionsrichtwerte (IRW) und der Emissionskenngrößen für gewerbliche und industrielle Geräusche ist der Kern der schalltechnischen Beurteilung.
| Aspekt | TA Lärm Anforderung | Auslegung und Praxis |
| IRW | Abhängig von der planungsrechtlichen Gebietsart oder der tatsächlichen Nutzung ($\S 2$ Abs. 3). | Präzise Gebietsabgrenzung erforderlich. Im Zweifel ist der B-Plan maßgeblich. |
| Mess-/Beurteilungszeit | Tag (6-22 Uhr) und Nacht (22-6 Uhr). | Kurzzeitige Geräusche (z. B. Anfahren, Verladen) erfordern oft eine Zuschlagspflicht (Tonalität, Impulsivität). |
| Tonzuschlag | Zuschlag von +3 dB(A) zur Pegelkorrektur bei taktgebundenen oder tonhaltigen Geräuschen. | Objektive Beurteilung anhand Frequenzanalysen (Schmalbandanalyse) ist unerlässlich, um subjektive Wahrnehmung zu objektivieren. |
| Impulszuschlag | Zuschlag von +3 dB(A) bis +6 dB(A) bei auffälliger Impulshaltigkeit. | Die korrekte Beurteilung ist schwierig und oft strittig. Neue Messmethoden (z. B. nach DIN 45681) werden angewendet. |
Das dazu gehörige Fachseminar ist in der Seminarwelt des IWU Magdeburg auffindbar.
