OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 23.05.2017 – 11 S 78.16
Gegenstand des Verfahrens war die nachträgliche Anordnung einer Sicherheitsleistung für eine immissionsschutzrechtlich genehmigte Kompostierungsanlage, in der Kompost in Form der offenen Mietenkompostierung hergestellt wird. Da es für die Berechnung einer Sicherheitsleistung nach § 17 Abs. 4a BImSchG nach der überwiegenden Praxis in den Ländern vor allem auf die Entsorgungskosten für die Abfälle ankommt, die nach der Genehmigung in einer Abfallbehandlungsanlage gelagert bzw. behandelt werden dürfen, war hier wesentlicher Streitpunkt, ob es sich bei dem hergestellten Klärschlammkompost bzw. Rekultivierungsgemisch noch um Abfall oder schon um ein Produkt handeln würde. Das Oberverwaltungsgericht kam zu dem Ergebnis, dass es sich bei dem hergestellten Klärschlammkompost bzw. Rekultivierungsgemisch um Abfall handele. Der Senat vertrat die Auffassung, dass das Kreislaufwirtschaftsgesetz die Anforderungen an das Merkmal „Durchlaufen eines Verwertungsverfahrens“ im Vergleich zur vorherigen Rechtslage nach dem KrW-/AbfG nicht verringert habe. Das Verwertungsverfahren sei im Sinne von § 5 Abs. 1 KrWG erst dann vollständig „durchlaufen“, wenn die stofflichen Eigenschaften des Abfalls so verändert worden seien, dass das abfallspezifische Gefährdungspotential vollständig beseitigt sei und dem Stoff die vorherigen abfalltypischen Gefahren nicht mehr innewohnten.
Das Oberverwaltungsgericht stellt seine Rechtsprechung auf die Grundsätze des Bundesverwaltungsgerichts zum früheren KrW-/AbfG, nach der das Regime des Abfallrechts erst mit der ordnungsgemäßen und schadlosen Verwertung des Abfalls ende (vgl. BVerwG, Urteil vom 14.12.2006, 7 C 4/06). Die frühere Rechtslage sei auf die in § 7 Abs. 3 KrWG kodifizierte Rechtslage übertragbar. Die für ein Ende der Abfalleigenschaft zu erfüllende Voraussetzung, dass die Verwendung eines Stoffes oder Gegenstandes insgesamt nicht zu schädlichen Auswirkungen auf Mensch und Umwelt führen dürfe (§ 5 Abs. 1 Nr. 4 KrWG), sei inhaltlich und funktional mit dem Gebot der Schadlosigkeit der Verwertung nach § 7 Abs. 3 KrWG vergleichbar.
Im konkreten Fall vertrat der Senat die Auffassung, dass der hergestellte Klärschlammkompost nur begrenzte Verwendungsmöglichkeiten habe, so dass eine schadlose Verwendung erst festgestellt werden könne, wenn der Klärschlammkompost sachgerecht auf geeignete, nämlich ggf. nur in geringem Maße bereits vorbelastete Böden aufgebracht worden sei. Erst dann sei das abfallspezifische Gefährdungspotential vollständig beseitigt. Ferner entschied das Oberverwaltungsgericht, dass eine reale Nachfrage nach (wenn auch geringwertig) belastetem Klärschlammkompost und ein entsprechender positiver Marktwert nicht feststellbar seien.
Anmerkung: Die Entscheidung dürfte angesichts des spezifischen Klärschlammes, der in der streitgegenständlichen Anlage kompostiert wird, im Ergebnis insofern richtig sein, als der hergestellte Klärschlammkompost die in § 5 Abs. 1 KrWG geregelten Voraussetzungen für das Ende der Abfalleigenschaft nicht zu erfüllen vermochte. Die Herleitung dieses Ergebnisses wirft jedoch kritische Fragen auf: Zunächst ist freilich zutreffend, dass die Frage der Abgrenzung Abfall/Produkt vor der Umsetzung der europäischen Abfallrahmenrichtlinie 2008/98/EG im Jahre 2012 in das KrWG unter der Geltung des alten KrW-/AbfG durch die Leitplanken der Rechtsprechung gestaltet wurde. Denn Regelungen zum Ende der Abfalleigenschaft und auch zur Abgrenzung Abfall/Nebenprodukt kamen erst mit der Abfallrahmenrichtlinie 2008/98/EG in das europäische Abfallrecht, mit §§ 4, 5 KrWG dann auch in das deutsche Abfallrecht. Mit §§ 4, 5 KrWG wurden neue Voraussetzungen markiert, nach denen ein Stoff oder Gegenstand kein Abfall darstellen würde. Es ist insofern daher doch mehr als befremdlich, wenn das Oberverwaltungsgericht seine Entscheidung zur Abgrenzung zwischen Abfall und Nicht-Abfall maßgeblich auf die Rechtsprechung des BVerwG aus dem Jahr 2006 gründet, als man zu diesem Zeitpunkt weder die künftige Abfallrahmenrichtlinie noch das künftige KrWG kannte. Einschlägig sind allein die tatbestandlichen Voraussetzungen zum Ende der Abfalleigenschaft (§ 5 Abs. 1 KrWG). Diese Voraussetzungen sind im Prinzip gar nicht so umständlich anzuwenden, doch besteht über 16 Bundesländer verteilt eine Vielzahl an unterschiedlichen Herangehensweisen. Der Vollzug ist alles andere als einheitlich und dies verunsichert die betroffenen Akteure. Dabei zielt das europäische Recht mit seinem Kreislaufgedanken durchaus darauf ab, dass Stoffe und Gegenstände auch wieder aus dem Abfallrecht entlassen werden. Mit Blick auf Klärschlammkompost kommt es bei Zugrundeliegen der Voraussetzungen darauf an, ob der Kompost für einen bestimmten Zweck verwendet wird, ein Markt oder eine Nachfrage besteht (von „positivem Marktwert“ ist im KrWG nicht die Rede!), der Kompost die technischen Voraussetzungen für seine Verwendbarkeit erfüllt und – dies ist das entscheidende Merkmal: – die Verwendung des Kompost insgesamt nicht zu schädlichen Auswirkungen auf Mensch und Umwelt führt. Ist dies der Fall, ist automatisch das Ende der Abfalleigenschaft gegeben. Auf das Aufbringen des Kompostes auf geeignete Böden kommt es – entgegen der Entscheidung des BVerwG aus 2006 – nach der seit 2012 geltenden Rechtslage nicht mehr an.
Quelle: KOPP-ASSENMACHER & NUSSER
Das dazu gehörige Fachseminar ist in der Seminarwelt des IWU Magdeburg auffindbar.