Qualitätsanforderungen an Sachverständigengutachten in immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren

Anmerkung zum Beschluss des BVerwG vom 03.02.2010

Das BVerwG setzt seine bisherige Rechtsprechung zur Eignung und Verwertbarkeit sachverständiger Stellungnahmen in verwaltungsgerichtlichen Verfahren fort. Dies unterstreicht zugleich die Bedeutung qualitativer Sachverständigengutachten für Genehmigungsverfahren nach dem BImSchG und anderen Fachgesetzen.

Der im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde ergangene Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts hat das Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 07.05.2009 (6 C 1142/07.T) zum Gegenstand, in welchem eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb einer Abfallverbrennungsanlage mit einer Gesamtverbrennungskapazität von 273.000 t/Jahr und einer Feuerungswärmeleistung von ca. 128 MW angefochten worden war. Der in einer Entfernung von ca. 1,2 km vom Anlagenstandort entfernt wohnende Kläger rügte die Verletzung diverser immissionsschutzrechtlicher Bestimmungen durch die Genehmigung.

Ein zentraler Ansatzpunkt seines diesbezüglichen Vorbringens war die vermeintlich mangelhafte fachtechnische Qualität der Immissionsprognose, welche von der Anlagenbetreiberin ihrem Genehmigungsantrag zu Grunde gelegt worden war. U.a. rügte der Kläger die Verwendung bestimmter Rechenmodelle für die nach TA Luft erforderlichen Ausbreitungsrechnungen. Es stünden geeignetere Programme zur Verfügung, die vom Kläger namentlich benannt wurden, und die anzuwenden seien. Daher hatte der Kläger diverse Beweisanträge gestellt, welche die vermeintliche Überlegenheit u. a. des von ihm favorisierten Rechenmodells zum Gegenstand hatten sowie weitere fachtechnische Kritikpunkte an der von der Beigeladenen eingereichten Immissionsprognose äußerten. Nach Auffassung des Klägers war der VGH Hessen daher gehalten, zusätzliche Sachverständigengutachten einzuholen. Dies hat der VGH Hessen abgelehnt und der Klage auch unter sonstigen Gesichtspunkten nicht stattgegeben.

Im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde vor dem BVerwG rügte der Kläger daher eine Verletzung der gerichtlichen Aufklärungspflicht und des Grundsatzes der freien Beweiswürdigung.

Das BVerwG hat die Beschwerde des Klägers zurückgewiesen. Liegen, so das BVerwG, im gerichtlichen Verfahren Gutachten zu einer entscheidungserheblichen Tatsache vor – hier die Immissionsbelastung durch diverse Luftschadstoffe am Wohnhaus des Klägers –, steht es im Ermessen des Tatsachengerichts, ob es zusätzliche Sachverständigengutachten einholt. Grundsätzlich kann das Tatsachengericht sich dabei ohne Verstoß gegen seine Aufklärungspflicht auf Gutachten oder gutachterliche Stellungnahmen, die von einer Behörde im Verwaltungsverfahren eingeholt wurden – hier die von der beigeladenen Anlagenbetreiberin im BImSchG-Verfahren vorgelegte Immissionsprognose – stützen. Ein Verfahrensmangel liegt hierin nur dann vor, wenn sich die Einholung eines weiteren Gutachtens wegen fehlender Eignung der vorliegenden Gutachten hätte aufdrängen müssen. Gutachten und fachtechnische Stellungnahmen sind dann ungeeignet, so das BVerwG unter Berufung auf seine ständige Rechtsprechung weiter,

„wenn sie grobe, offen erkennbare Mängel oder unlösbare Widersprüche aufweisen, wenn sie von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgehen, wenn Anlass zum Zweifel an der Sachkunde oder der Unparteilichkeit des Gutachters bestehen, ein anderer Sachverständiger über neue oder überlegenere Forschungsmittel oder größere Erfahrung verfügt oder wenn das Beweisergebnis durch substantiierten Vortrag eines der Beteiligten oder durch eigene Überlegung des Gerichts ernsthaft erschüttert wird.“

Diese in seiner ständigen Rechtsprechung zur Verwertbarkeit sachverständiger Gutachten aufgestellten Kriterien sah das BVerwG in der Entscheidung des VGH Hessen, die sich differenziert mit den fachlichen Kritikpunkten des Klägers auseinandersetze, als nicht verletzt an.

Einmal mehr zeigt die Entscheidung die Bedeutung qualitativer Sachverständigengutachten, welche zur Grundlage von immissionsschutzrechtlichen Genehmigungen gemacht werden. Der vom Anlagenbetreiber im Genehmigungsverfahren zu erbringende Nachweis, die von ihm betriebene Anlage führe bspw. zu keiner Überschreitung der maßgeblichen Immissionsgrenzwerte – deren Einhaltung können Nachbarn einer BImSchG-Anlage regelmäßig in Klageverfahren überprüfen lassen – bedarf, um nicht nur im vorausgehenden Genehmigungsverfahren, sondern auch in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren Bestand zu haben, einer fachtechnisch belastbaren, den rechtlichen Anforderungen genügenden sachverständigen Bekundung. Diesbezügliche Qualitätsmängel können sich dann spätestens im Gerichtsverfahren zum Nachteil des Anlagenbetreibers auswirken.

Die vom BVerwG nochmal in Erinnerung gerufenen rechtlichen Qualitätskriterien für ein belastbares Sachverständigengutachten haben dabei nicht nur für die Betreiber von Abfallverbrennungsanlagen im Hinblick auf die Einhaltung der Grenzwerte etwa der TA Luft oder aber der 17. BImSchV Relevanz, sondern gelten für alle sachverständigen Gutachten, mit welchen die Einhaltung der für einen bestimmten Anlagentyp maßgeblichen Grenzwerte und sonstigen Betriebsparameter belegt werden sollen. Die gutachterliche Qualität kann gewährleistet werden, indem, ausgehend von den rechtlichen Vorgaben an Inhalt und Qualität des Gutachtens, durch Auswahl geeigneter Gutachter darauf geachtet wird, dass entsprechend qualitatives Gutachtenmaterial vorgelegt wird. Dann haben, wie der Beschluss des BVerwG und das ihm zu Grunde liegende Urteil des Hessischen VGH zeigen, Betreiber von Anlagen im Sinne des BImSchG und nach sonstigem Fachrecht genehmigungsbedürftiger Projekte gute Aussichten, auch „brisante“ Vorhaben rechtssicher zu verwirklichen.

Quelle: Köhler & Klett Rechtsanwälte

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