OVG Münster: Gewerbliche Sperrmüllsammlungen sind unzulässig!

Das Oberverwaltungsgericht Münster (OVG) hat in zwei Urteilen vom 26.01.2016 (20 A 318/14 und 20 A 319/14) entschieden, dass Sperrmüll ein gemischter Abfall im Sinne des § 17 Abs. 2 Satz 2 Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG) sei und deshalb nicht gewerblich gesammelt werden dürfe. Damit tritt das OVG der bisher in der Rechtsprechung einhellig zu dieser Frage vertretenen Auffassung entgegen. Die Entscheidung dürfte nicht nur in NRW weitreichende Folgen für gewerbliche Sperrmüllsammler haben. Die Revision zum Bundesverwaltungsgericht ist allerdings zugelassen, das letzte Wort zu dieser Frage also voraussichtlich noch nicht gesprochen.


Nach § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 KrWG besteht die in § 17 Abs. 1 Satz 1 KrWG normierte Überlassungspflicht für Abfälle aus privaten Haushaltungen nicht, wenn diese durch gewerbliche Sammlung einer ordnungsgemäßen und schadlosen Verwertung zugeführt werden, soweit überwiegende öffentliche Interessen nicht entgegenstehen. Von einer gewerblichen Sammlung ausgeschlossen sind nach § 17 Abs. 2 Satz 2 KrWG – neben gefährlichen Abfällen – allerdings „gemischte Abfälle aus privaten Haushaltungen“. Die Frage, wie diese Einschränkung der sammlungsfähigen Abfälle auszulegen ist und insbesondere, ob Sperrmüll darunter fällt, ist seit Inkrafttreten des KrWG umstritten. In mehreren Gerichtsentscheidungen wurde bisher die gewerbliche Sperrmüllsammlung als grundsätzlich zulässig angesehen, weil Sperrmüll nicht als gemischter Abfall im Sinne des § 17 Abs. 2 Satz 2 KrWG eingestuft wurde. Erstmalig ist nun das OVG dieser Rechtsprechungslinie in zwei Urteilen vom 26.01.2016 entgegen getreten:


Die beiden Entscheidungen betreffen zwei im September 2012 angezeigte gewerbliche Sammlungen im Ennepe-Ruhr-Kreis, welche jeweils eine Vielzahl von Abfallfraktionen umfassen sollten. Unter anderem waren in der Anzeige jeweils „sonstige gemischte Abfälle“ als Sammlungsgegenstand genannt, was während des Gerichtsverfahrens dahingehend konkretisiert wurde, dass es sich um Sperrmüll im Sinne des AVV-Abfallschlüssels 20 03 07 handele. In beiden Fällen wurde die Sammlung vom Ennepe-Ruhr-Kreis untersagt; die dagegen erhobenen Klagen blieben erstinstanzlich vor dem Verwaltungsgericht Arnsberg erfolglos. Auch die dagegen eingelegten Berufungen hatten hinsichtlich der Sperrmüllsammlung keinen Erfolg.


Das OVG hat die auf § 18 Abs. 5 Satz 2 KrWG gestützten Untersagungsverfügungen für rechtmäßig erachtet. Voraussetzung für eine solche Untersagungsverfügung sei nur, dass die Voraussetzungen des § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 KrWG anders nicht zu gewährleisten seien. Dass in dieser Regelung nur die Voraussetzungen „Zuführung der gesammelten Abfälle zu einer ordnungsgemäßen und schadlosen Verwertung“ sowie „Fehlen entgegenstehender überwiegender öffentlicher Interessen“ genannt werden, ohne dass dort ausdrücklich Bezug auf den Ausschluss gemischter Abfälle nach § 17 Abs. 2 Satz 2 KrWG genommen wird, steht nach Auffassung des OVG einer Untersagungsverfügung nach § 18 Abs. 5 Satz 2 KrWG nicht entgegen. Die Frage, ob der Sammler auf einen zulässigen Erfassungsgegenstand im Sinne von § 17 Abs. 1 KrWG (einschließlich des § 17 Abs. 2 Satz 2 KrWG) ziele, gehöre – so das OVG – jedenfalls mittelbar zu den Voraussetzungen nach § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 KrWG.


Da nach Auffassung des OVG Sperrmüll als gemischter Abfall im Sinne des § 17 Abs. 2 Satz 2 KrWG anzusehen ist, dessen gewerbliche (und gemeinnützige) Sammlung unzulässig ist, musste es die Frage, ob die in der Anzeige angegebene Fraktion der „sonstigen Abfälle“ tatsächlich nur Sperrmüll umfasst, nicht abschließend entscheiden. Die umfangreichen Erwägungen des OVG zur Auslegung des § 17 Abs. 2 Satz 2 KrWG können hier nur ihrem wesentlichen Inhalt nach wiedergegeben werden:


Für die Einstufung von Sperrmüll als gemischter Abfall spricht nach Auffassung des OVG bereits der Wortlaut des § 17 Abs. 2 Satz 2 KrWG. Bei Sperrmüll handele es sich um einen Mischabfall, weil er weder sortenrein anfalle, noch allein aus Wertstoffen im Sinne der im Abfallverzeichnis unter 20 01 aufgeführten Stoffgruppen bestehe. Bereits das „vielfach zitierte Sofa“ sei ein gemischter Abfall, bestehe „es doch aus Stoff, Füllmaterial, Holz, Plastik und/oder Metall“. Hätte der Gesetzgeber unter „gemischtem Abfall“ nur gemischten Siedlungsabfall im Sinne des AVV-Abfallschlüssels 20 03 01 verstehen wollen, hätte sich – wie das OVG meint – die Verwendung diese Fachterminus anstelle des untechnischen Begriffs „gemischter Abfall“ geradezu aufgedrängt.


Aus den Gesetzesmaterialien ergebe sich nichts anderes. Die Begründung des Gesetzentwurfs lasse sich zwar ohne weiteres so verstehen, dass Sperrmüll kein gemischter Abfall im Sinne des § 17 Abs. 2 Satz 2 KrWG sei. Dieser Schluss ist nach Ansicht des OVG indes nicht zwingend, weil insbesondere die Stellungnahme der Bundesregierung zum Änderungsantrag des Bundesrates, auch sog. Wertstoffgemische „der Überlassungspflicht zu unterwerfen“ – gemeint ist wohl: von der Sammelmöglichkeit auszuschließen, denn der grundsätzlichen Überlassungspflicht nach § 17 Abs. 1 Satz 1 KrWG unterliegen Wertstoffgemische aus privaten Haushaltungen ohnehin – bei genauerer Betrachtung neutral sei. Sperrmüll sei nämlich kein Wertstoffgemisch in diesem Sinne, sondern von seiner potentiellen Zusammensetzung her mit den gemischten Siedlungsabfällen prinzipiell stofflich identisch. Unabhängig davon stehe einem einseitigen Abstellen auf die Vorstellungen der Bundesregierung die im Gesetzgebungsverfahren geführte Auseinandersetzung mit dem – eher kommunale Interessen vertretenden – Bundesrat entgegen.


Im Anschluss daran führt das OVG aus, dass aus unionsrechtlichen und aus systematischen Gründen ein enges Verständnis des § 17 Abs. 2 Satz 2 KrWG ebenfalls nicht geboten sei. Schließlich spreche auch der Sinn und Zweck der Überlassungspflicht für gemischte Abfälle aus privaten Haushaltungen für eine Einbeziehung von Sperrmüll in den Anwendungsbereich des § 17 Abs. 2 Satz 2 KrWG. Durch die Einbeziehung der Verwertung von gemischten Abfällen aus privaten Haushaltungen sollten – so das OVG – nicht nur Abfalltransporte in weiter entfernte Anlagen vermieden, sondern insbesondere einem der ordnungsgemäßen Behandlung von gemischten Siedlungsabfällen abträglichen Wettbewerb konkurrierender Anlagenbetreiber entgegengewirkt und über die Sicherung eines bestimmten Abfallaufkommens für die jeweilige Anlage eine gemeinwohlorientierte Verwertung bzw. Beseitigung unter vertretbaren Kosten gewährleistet werden. Hierdurch solle eine Zersplitterung von Anlagenkapazitäten vermieden werden, bei der die Gefahr bestehe, dass keiner der konkurrierenden Anlagenbetreiber rentabel arbeiten könne. Für eine Rechtfertigung entsprechen der Beschränkungen spreche auch der Umstand, dass es sich um einen diffusen Mischabfall handele, dessen ordnungsgemäße Verwertung oder Beseitigung die Haushaltungen gar nicht oder nur schwer selbst organisieren könnten. Hinzu komme, dass es sich bei gemischten Siedlungsabfällen – je nach genutzter Anlage – mal um Abfälle zur Beseitigung, mal um Abfälle zur Verwertung handele, so dass der Gesetzgeber die Abfälle schon aus diesem Grund einer einheitlichen Regelung unterwerfen dürfe. Diese unmittelbar für gemischte Siedlungsabfälle geltenden Überlegungen ließen sich weitgehend auf Sperrmüll übertragen. Dies gelte insbesondere für die Aspekte der besonderen Schwierigkeiten aufgrund der Zusammensetzung und die davon abhängige Frage, ob der Abfall – gegebenenfalls nach Aussonderung von werthaltigen Bestandteilen – im konkreten Einzelfall (energetisch) verwertet oder beseitigt werde. Die im Sperrmüll im Vergleich zum Restmüll regelmäßig größeren Anteile stofflich verwertbarer Abfälle begründeten lediglich einen graduellen, keinen qualitativen Unterschied.


Selbst wenn man berücksichtige, dass gemischter Siedlungsabfall wegen dessen Kleinteiligkeit ein höheres Gefahrenpotenzial als Sperrmüll habe, spreche dies – so das OVG weiter – nicht gegen eine Gleichbehandlung beider Fraktionen. Auch Sperrmüll falle als Gemisch mit dem daraus folgenden Gefahrenpotenzial an. Jedenfalls im Vorfeld lasse sich dessen Zusammensetzung ebenso wenig abstrakt festlegen wie etwa auch der Anteil „durchfeuchteten Materials“. Unabhängig davon spreche gegen eine rechtlich grundsätzlich unterschiedliche Behandlung, dass die Übergänge zwischen gemischten Siedlungsabfällen und Sperrmüll fließend seien, da die Unterscheidung nicht nach der Zusammensetzung, sondern nach der Größe der Bestandteile erfolge, die jedoch mit der Rückkopplung an die „Tonnengängigkeit“ wiederum relativ sei. Es sei – so das OVG – aber gerade vor dem Hintergrund der unionsrechtlichen Rechtfertigung der Überlassungspflicht wenig sinnvoll, diese von der individuellen Tonnengröße abhängig zu machen. Dies gelte insbesondere angesichts des Umstandes, dass der öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger (örE) als Anreiz zur Müllvermeidung und -trennung gehalten sei, den Restmüllbehälter möglichst klein zu dimensionieren. Würde dies im Gegenzug dazu führen, dass dem örE ein immer größerer Teil privaten Restmülls allein wegen dessen Größe nicht mehr zu überlassen ist, läuft dies nach Ansicht des OVG dem Grundgedanken der Entsorgungsnähe und -autarkie entgegen und würde die Sicherung entsprechender Strukturen gefährden.


Die Entscheidungen des OVG können im Ergebnis wie in der Begründung – ohne dass hier eine umfassende Auseinandersetzung mit den Argumenten möglich ist – kaum überzeugen:


Problematisch ist zunächst der Versuch des OVG, die zwischen Sperrmüll und gemischten Siedlungsabfällen im Sinne des AVV-Abfallschlüssels 20 03 01 bestehenden Unterschiede argumentativ einzuebnen – Sperrmüll ist keine vergrößerte Version des Inhalts der Restmülltonne! Die Größe der Bestandteile hat dabei nicht nur Einfluss auf die Zusammensetzung des Gemischs, sondern auch auf die Qualität des „Gemischtseins“.


Die implizite Gleichsetzung von Abfallgemisch und fehlender stofflicher Homogenität in den Urteilen des OVG spiegelt sich außerdem nicht in den maßgeblichen abfallrechtlichen Vorschriften wider. Darüber hinaus unterlässt es das OVG, seine Überlegungen zum notwendigen Schutz der öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträger in das Gesamtsystem der Regelungen über gewerbliche Sammlungen zu stellen. Soweit einerseits „gemischte Abfälle“ nach § 17 Abs. 2 Satz 2 KrWG nicht nur gemischte Siedlungsabfälle im Sinne des AVV-Abfallschlüssels 20 03 01 sein sollen, andererseits aber über weite Strecken mit den Charakteristika gemischter Siedlungsabfälle argumentiert wird, erscheinen die Entscheidungen zudem in sich widersprüchlich.


Da das OVG die Revision gegen seine Urteile zugelassen hat, ist eine Überprüfung der Entscheidungen und eine endgültige Klärung der Sammelfähigkeit von Sperrmüll durch das Bundesverwaltungsgericht möglich. Ob von der Möglichkeit der Revisionseinlegung Gebrauch gemacht wurde, ist nicht bekannt. Jedenfalls ist damit zu rechnen, dass bis zu einer etwaigen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts die neue Rechtsprechung des OVG – auch außerhalb von NRW – von Behörden zum Anlass genommen wird, gewerbliche Sperrmüllsammlungen zu untersagen. Gewerbliche Sammler sehen sich damit erneut mit großen rechtlichen Unsicherheiten konfrontiert.


Abschließend sei noch darauf hingewiesen, dass das OVG selbst der Auffassung ist, dass seine Entscheidungen der Tätigkeit von „Entrümpelungsunternehmen“ nicht entgegenstehen. Der durch deren Tätigkeit anfallende Sperrmüll dürfte – so das OVG – bei „wertendfunktionaler Betrachtung“ nicht mehr als Abfall aus privaten Haushaltungen einzustufen sein und deshalb nicht den Regelungen über die gewerbliche Sammlung unterliegen.


Quelle: Köhler & Klett Rechtsanwälte

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