Einleitung
Die Gewässerunterhaltung ist eine essentielle Aufgabe zur Sicherstellung des Hochwasserschutzes, der Entwässerung sowie der ökologischen Funktionsfähigkeit unserer Fließgewässer. Während bei Gewässern 1. Ordnung (Bundeswasserstraßen) oft großräumige Konzepte und Maßnahmen im Vordergrund stehen, bieten Gewässer 2. und 3. Ordnung, die sich in kommunaler oder privater Trägerschaft befinden, besondere Herausforderungen, aber auch einzigartige Chancen für eine naturnahe Gestaltung und Pflege. Dieser Fachbeitrag beleuchtet die spezifischen Aspekte der naturnahen Gewässerunterhaltung an diesen kleineren Gewässern und ihre Bedeutung für die Biodiversität und den integrierten Hochwasserschutz.
1. Definition und Bedeutung von Gewässern 2. und 3. Ordnung
In Deutschland erfolgt die Klassifizierung von Fließgewässern gemäß Wasserhaushaltsgesetz (WHG) und den Landeswassergesetzen.
- Gewässer 1. Ordnung: Große Flüsse und Ströme (z.B. Elbe, Rhein), die der Schifffahrt dienen oder eine überregionale Bedeutung haben. Die Unterhaltung obliegt meist dem Bund oder den Ländern.
- Gewässer 2. Ordnung: Mittelgroße Fließgewässer, die in der Regel bedeutsam für den Wasserabfluss und die regionale Entwässerung sind. Die Unterhaltung liegt meist in der Verantwortung der Länder, Landkreise, Wasser- und Bodenverbände oder Kommunen.
- Gewässer 3. Ordnung: Kleine Bäche, Gräben und Entwässerungsgräben, die primär der lokalen Entwässerung dienen und oft im direkten Eigentum oder der Unterhaltungspflicht von Anliegern, Kommunen oder lokalen Wasserverbänden stehen.
Gerade Gewässer 2. und 3. Ordnung bilden ein dichtes Netz in der Landschaft. Sie sind entscheidende Lebensadern für unzählige Arten, vernetzen Biotope und spielen eine wichtige Rolle im lokalen Wasserkreislauf. Ihre naturnahe Unterhaltung ist daher von großer ökologischer und hydrologischer Bedeutung.
2. Prinzipien der naturnahen Gewässerunterhaltung
Naturnahe Gewässerunterhaltung zielt darauf ab, die ökologische Funktion des Gewässers zu erhalten oder wiederherzustellen, während gleichzeitig die technischen Anforderungen an den Abfluss und Hochwasserschutz erfüllt werden. Sie weicht von traditionellen, rein technischen Unterhaltungsmethoden (z.B. vollständiges Mähen, Sohlräumung) ab und setzt auf eine integrative Betrachtung des Gewässers als Ökosystem.
Wichtige Prinzipien sind:
- Selektiver Rückschnitt statt Kahlschlag: Gehölze und Ufervegetation werden gezielt ausgedünnt, um die ökologische Vielfalt zu fördern und gleichzeitig den Abfluss zu gewährleisten.
- Erhalt und Entwicklung der Gewässerdynamik: Wo möglich, wird eine natürliche Eigendynamik des Gewässers (z.B. Mäanderbildung, Kiesbänke) zugelassen oder gefördert.
- Schonung der Sohle und Ufer: Eingriffe in das Sohlsubstrat und die Uferstruktur werden minimiert, um Lebensräume für aquatische Organismen zu erhalten.
- Schonung der Fauna: Unterhaltungsmaßnahmen werden außerhalb von Brut- und Laichzeiten durchgeführt, und auf den Einsatz von Chemie wird verzichtet.
- Förderung der Habitatvielfalt: Schaffung von unterschiedlichen Strömungsgeschwindigkeiten, Wassertiefen und Substraten.
- Einbeziehung des Gewässerrandes: Pufferstreifen und standortgerechte Ufervegetation verbessern die Gewässerstruktur und filtern Nährstoffeinträge.
3. Spezifische Herausforderungen an Gewässern 2. und 3. Ordnung
Die Umsetzung naturnaher Konzepte an kleineren Gewässern birgt spezifische Schwierigkeiten:
- Zuständigkeiten und Ressourcen: Die Vielzahl der Unterhaltungspflichtigen (Kommunen, Verbände, private Anlieger) führt oft zu heterogenen Standards und mangelnden Ressourcen, sowohl finanziell als auch personell. Kleinere Gemeinden oder private Eigentümer verfügen oft nicht über das nötige Fachwissen oder die Ausrüstung.
- Flächenverfügbarkeit: Gerade im besiedelten Bereich oder in intensiv genutzten Agrarlandschaften ist der Platz für die Entwicklung naturnaher Uferstrukturen oder Pufferstreifen begrenzt.
- Akzeptanz und Nutzungsdruck: Landwirtschaft, Anwohner und andere Nutzer haben oft klare Erwartungen an die „Ordnung“ und den Abfluss der Gewässer. Ästhetische Vorstellungen oder die Angst vor vernässten Flächen können die Akzeptanz naturnaher Methoden erschweren.
- Erschwerte Zugänglichkeit: Viele Gewässer 3. Ordnung sind schmal, verwachsen und schwer mit Maschinen zu erreichen, was den Einsatz naturnaher, manueller Methoden aufwendiger macht.
- Fragmentierung: Das kleinteilige Netz und die vielen Querbauwerke (Verrohrungen, Wehre) führen zu einer Fragmentierung der Lebensräume und erschweren die Durchgängigkeit.
- Einträge aus der Fläche: Durch die Nähe zu Siedlungen und landwirtschaftlichen Flächen sind diese Gewässer oft besonders hohen Belastungen durch Nährstoffe und Sedimenteinträge ausgesetzt.
4. Chancen und Potenziale für eine ökologische Aufwertung
Trotz der Herausforderungen bieten Gewässer 2. und 3. Ordnung enorme Potenziale für den Gewässerschutz und die Biodiversität:
- Dezentraler Hochwasserschutz: Naturnahe Gestaltung (z.B. Entwicklung von Retentionsräumen, Verzögerung des Abflusses durch Rauheit) trägt zum dezentralen Hochwasserschutz bei und entlastet unterliegende Gewässerabschnitte.
- Erhöhung der Biodiversität: Durch die Schaffung vielfältiger Strukturen (Totholz, Kiesbänke, Ufervegetation) entstehen wertvolle Lebensräume für Fische, Insekten, Amphibien und Vögel.
- Verbesserung der Wasserqualität: Ufervegetation fungiert als Filter für Nährstoffe und Sedimenteinträge aus der Fläche. Eine natürliche Selbstreinigungskraft des Gewässers wird gestärkt.
- Klimaanpassung: Beschattung durch Ufergehölze hilft, die Wassertemperatur zu moderieren, was für hitzesensible Arten wichtig ist. Retentionsflächen mindern die Auswirkungen von Starkregenereignissen.
- Landschaftsästhetik und Erholung: Naturnah gestaltete Bäche und Gräben werten das Landschaftsbild auf und bieten Erholungspotenziale für die lokale Bevölkerung.
- Modellprojekte und Sensibilisierung: Kleinere, überschaubare Projekte an Gewässern 2. und 3. Ordnung können als Modell für größere Maßnahmen dienen und die Akzeptanz für naturnahe Unterhaltung in der Bevölkerung steigern.
5. Handlungsempfehlungen für die Praxis
Um die naturnahe Gewässerunterhaltung an Gewässern 2. und 3. Ordnung zu fördern, sind folgende Schritte entscheidend:
- Interkommunale Zusammenarbeit und Wasserverbände stärken: Bündelung von Ressourcen und Fachwissen.
- Förderprogramme nutzen: Spezifische Förderungen für naturnahe Gewässerentwicklung und -unterhaltung.
- Schulung und Qualifizierung: Sensibilisierung und Weiterbildung des Unterhaltungspersonals und der Anlieger.
- Konzeptionelle Planung: Entwicklung von Unterhaltungskonzepten, die über den reinen Abfluss hinausgehen und ökologische Ziele integrieren.
- Kommunikation und Bürgerbeteiligung: Aktive Einbindung von Anliegern, Landwirten und Naturschutzverbänden zur Erhöhung der Akzeptanz.
- Flexibilität bei der Unterhaltung: Keine starren Intervalle, sondern bedarfsgerechte und abschnittsweise Maßnahmen.
- Einsatz angepasster Technik: Kleinere, wendige Maschinen, die schonend arbeiten, oder sogar manuelle Pflege.
- Entnahme von Totholz nur bei Notwendigkeit: Totholz als wertvolles Strukturelement im Gewässer belassen, sofern der Abfluss nicht wesentlich behindert wird.
- Uferrandstreifen etablieren: Wo möglich, die Entwicklung von ungenutzten oder extensiv bewirtschafteten Uferrandstreifen fördern.
Fazit
Die naturnahe Gewässerunterhaltung an Gewässern 2. und 3. Ordnung ist ein Schlüsselfaktor für die Erreichung der Ziele der Wasserrahmenrichtlinie und ein essenzieller Beitrag zur ökologischen Resilienz unserer Landschaften. Trotz spezifischer Herausforderungen überwiegen die Potenziale für eine deutliche Verbesserung der Gewässerökologie, des dezentralen Hochwasserschutzes und der landschaftlichen Qualität. Eine stärkere Sensibilisierung, gezielte Förderung und eine engere Zusammenarbeit aller Akteure sind notwendig, um die vielfältigen Chancen dieser kleinen, aber überaus wichtigen Gewässer optimal zu nutzen und sie als lebendige Adern unserer Natur zu erhalten und zu entwickeln.
Das dazu gehörige Fachseminar ist in der Seminarwelt des IWU Magdeburg auffindbar.
