Naturnahe Gewässerunterhaltung an Gewässern 2. und 3. Ordnung: Praktische Umsetzung der EU-Wasserrahmenrichtlinie

Gewässer sind nicht nur essenzieller Bestandteil unserer Landschaft, sondern auch zentrale Elemente des Naturhaushalts, wichtige Lebensräume und Träger vielfältiger Funktionen wie Hochwasserschutz, Wasserabfuhr und Erholung. Die traditionelle Gewässerunterhaltung war lange Zeit primär auf die effiziente Ableitung von Wasser ausgerichtet. Dieses rein technische Verständnis hat jedoch vielerorts zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Gewässerökologie geführt. Mit der EU-Wasserrahmenrichtlinie (WRRL) hat sich ein Paradigmenwechsel vollzogen, der die Gewässerunterhaltung als integralen Bestandteil eines nachhaltigen Gewässermanagements neu definiert. Insbesondere an Gewässern 2. und 3. Ordnung bietet die naturnahe Gewässerunterhaltung immense Potenziale zur Erreichung der WRRL-Ziele.

1. Der Paradigmenwechsel: Von der technischen zur naturnahen Gewässerunterhaltung

Unter Gewässerunterhaltung versteht man alle Maßnahmen, die notwendig sind, um ein Gewässer in einem Zustand zu erhalten, der den jeweils ihm zugewiesenen Funktionen entspricht. Nach § 39 des Wasserhaushaltsgesetzes (WHG) umfasst dies insbesondere die Erhaltung der Leistungsfähigkeit als Vorfluter, die Pflege des Gewässerbetts, der Ufer und des dazugehörigen Uferstreifens sowie die Freihaltung des Abflusses.

Der Wandel von der traditionellen zur naturnahen Gewässerunterhaltung ist geprägt durch:

  • Multifunktionalität: Statt rein auf die Wasserabfuhr zu fokussieren, werden ökologische Funktionen (Lebensraum, Vernetzung), Hochwasserschutz (Wasserrückhalt) und landschaftsästhetische Aspekte gleichberechtigt berücksichtigt.
  • Ökosystemare Ansätze: Das Gewässer wird als dynamisches System mit seinen Wechselwirkungen zu Aue und Grundwasserleiter verstanden.
  • Minimaleingriffsprinzip: Statt routinemäßiger Komplettentfernung von Vegetation und Sedimenten werden selektive, angepasste Maßnahmen bevorzugt.
  • Fokus auf Strukturvielfalt: Schaffung und Erhalt vielfältiger Gewässerstrukturen (variierende Tiefen, Strömungen, Substrate, Totholz) zur Förderung der Biodiversität.

2. Die EU-Wasserrahmenrichtlinie als treibende Kraft

Die EU-WRRL (Richtlinie 2000/60/EG) verpflichtet die Mitgliedstaaten, für alle Binnen- und Küstengewässer einen „guten ökologischen Zustand“ bzw. bei erheblich veränderten oder künstlichen Gewässern ein „gutes ökologisches Potenzial“ sowie einen „guten chemischen Zustand“ zu erreichen oder zu erhalten. Dies soll durch Bewirtschaftungspläne und Maßnahmenprogramme geschehen, die in sechsjährigen Zyklen aufgestellt und überprüft werden.

Die Gewässerunterhaltung ist dabei keine eigenständige Maßnahme im Sinne der WRRL, sondern eine fortlaufende Tätigkeit, die die Erreichung und den Erhalt des guten Zustands/Potenzials sicherstellen soll. Sie muss dem Verschlechterungsverbot Rechnung tragen und darf keine negativen Auswirkungen auf den Gewässerzustand haben. Vielmehr wird sie als integraler Bestandteil der Maßnahmenprogramme verstanden, der aktiv zur Verbesserung der ökologischen Qualität beitragen kann.

3. Gewässer 2. und 3. Ordnung: Besondere Bedeutung und Herausforderungen

Gewässer 2. Ordnung sind in der Regel mittlere Fließgewässer, deren Unterhaltungspflicht den Bundesländern oder den von ihnen beauftragten Kommunen oder Wasserverbänden obliegt. Gewässer 3. Ordnung sind die kleineren Bäche, Gräben und Wasserläufe, die meist in der Verantwortung der Kommunen, Wasser- und Bodenverbände oder der Anlieger liegen.

Ihre besondere Bedeutung liegt in:

  • Hoher Dichte: Sie bilden ein dichtes Netz in der Fläche und sind entscheidend für die Vernetzung von Lebensräumen.
  • Sammelfunktion: Sie nehmen Oberflächenabfluss und Drainagewasser auf und speisen die größeren Gewässer.
  • Potenzial für Strukturverbesserung: Viele dieser Gewässer sind historisch stark begradigt, verrohrt oder monoton ausgebaut. Hier gibt es oft große Potenziale für eine ökologische Aufwertung mit verhältnismäßig geringem Aufwand.

Herausforderungen ergeben sich durch:

  • Landwirtschaftliche Nutzung: Intensive Nutzung der angrenzenden Flächen führt oft zu Konflikten mit Uferrandstreifen und Nährstoffeinträgen.
  • Zuständigkeiten und Ressourcen: Die Vielzahl der zuständigen Akteure und oft begrenzte finanzielle und personelle Ressourcen erschweren eine koordinierte und naturnahe Unterhaltung.
  • Historische Zielkonflikte: Das primäre Ziel der schnellen Wasserabfuhr ist bei vielen dieser Gewässer noch tief in der Planungs- und Praxisphilosophie verankert.

4. Praktische Umsetzung der Naturnahen Gewässerunterhaltung

Die Umsetzung einer naturnahen Gewässerunterhaltung erfordert einen Umdenkprozess und angepasste Arbeitstechniken:

4.1. Planung und Kartierung

  • Vorranggebiete identifizieren: Wo sind die ökologischen Potenziale am höchsten?
  • Schad- und Störstellen erfassen: Wo sind Sohlabstürze, Verrohrungen oder Querbauwerke, die die Durchgängigkeit behindern?
  • Hydraulische Bewertung: Sicherstellen, dass die Hochwasserabfuhr bei naturnaher Unterhaltung weiterhin gewährleistet ist.
  • Regelmäßige Zustandserfassung: Welche Strukturen sind vorhanden, welche Arten leben im Gewässer und welche Belastungen gibt es?

4.2. Anpassung der Maßnahmen und Techniken

  • Selektiver Gehölzrückschnitt: Nur notwendige Gehölze entfernen, Totholz belassen, Ufergehölze als Beschattung und Lebensraum erhalten.
  • Reduzierte Mahd/Räumfrequenzen: Nur so oft wie unbedingt nötig mähen, um Störungen zu minimieren und Lebensräume zu erhalten. Späte Mahd zur Ermöglichung der Samenreife und Bruten.
  • Erhalt und Entwicklung von Röhrichtzonen: Bieten Versteckmöglichkeiten und Nahrung, filtern Nährstoffe.
  • Dynamische Sohl- und Ufergestaltung: Ermöglichen von Sohlgleiten, Ausbildung von Kolken und Sandbänken, Zulassen leichter Mäanderentwicklungen bei ausreichendem Raum.
  • Einbau von Strukturmaterial: Gezieltes Einbringen von Totholz (z.B. Baumstämme, Äste) zur Schaffung von Strömungsvarianz, Verstecken und Substrat für Kleinlebewesen.
  • Rückbau von Querbauwerken: Wo möglich, Wehre und Sohlschwellen entfernen oder durch Fischaufstiegsanlagen ersetzen, um die Längsdurchgängigkeit wiederherzustellen.
  • Anlage von Pufferstreifen: Anlage von mindestens 5-10 Meter breiten Uferrandstreifen ohne intensive Nutzung, um Nähr- und Schadstoffeinträge aus der Landwirtschaft zu minimieren und die Gewässerstruktur zu schützen.

4.3. Technik und Personal

  • Einsatz gewässerschonender Technik: Leichtere Geräte, die den Bodendruck minimieren, Einsatz von Baggern mit speziellen Greifern, um die Gewässersohle nicht unnötig zu beschädigen.
  • Qualifiziertes Personal: Mitarbeiter müssen im naturnahen Gewässermanagement geschult sein und ein Verständnis für ökologische Zusammenhänge entwickeln.

5. Rechtliche Verankerung in Deutschland

Die naturnahe Gewässerunterhaltung ist in Deutschland durch verschiedene Gesetze und Verordnungen verankert:

  • Wasserhaushaltsgesetz (WHG):
    • § 39 WHG Abs. 1 S. 2: Die Unterhaltung hat sich an den Zielen der WRRL zu orientieren.
    • § 39 WHG Abs. 2: Betont die naturnahe Entwicklung und den Schutz der Tier- und Pflanzenwelt.
  • Landeswassergesetze (LWG): Konkretisieren die bundesrechtlichen Vorgaben und regeln Details der Unterhaltungspflichten und Zuständigkeiten.
  • Bundesnaturschutzgesetz (BNatSchG): Allgemeine Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege sowie die Eingriffsregelung sind bei der Gewässerunterhaltung zu beachten.
  • Technische Anleitung Gewässer (TA Gewässer): Gibt konkrete Hinweise und Empfehlungen zur Ausführung der Gewässerunterhaltung nach dem Stand der Technik und ökologischen Gesichtspunkten. Obwohl keine Rechtsnorm, ist sie ein wichtiges Planungsinstrument.
  • Fachplanungen: Maßnahmenprogramme der WRRL-Bewirtschaftungspläne, Hochwasserschutzkonzepte oder Landschaftsplanungen können konkrete Vorgaben enthalten.

6. Chancen und Herausforderungen der naturnahen Gewässerunterhaltung

Chancen:

  • Verbesserung des ökologischen Zustands: Direkter Beitrag zur Artenvielfalt und Habitatqualität.
  • Klimaanpassung: Erhöhter Wasserrückhalt in der Fläche (Hochwasserschutz, Dürrevorsorge), Verdunstungskühlung.
  • Verbesserung der Wasserqualität: Selbstreinigungskräfte des Gewässers werden gestärkt.
  • Ästhetik und Erholung: Attraktivere Landschaften und erhöhter Wert für die Naherholung.
  • Kosteneinsparungen: Langfristig können naturnahe Methoden durch geringere Materialkosten und weniger Pflegeaufwand günstiger sein.

Herausforderungen:

  • Zielkonflikte: Spannung zwischen Hochwasserschutz/effizienter Wasserabfuhr und ökologischen Zielen.
  • Akzeptanz: Widerstände bei Landwirten und Anliegern, die traditionelle Methoden gewohnt sind.
  • Finanzierung: Die Anfangsinvestitionen für Umbau und Schulung können hoch sein.
  • Rechtliche Unsicherheiten: Klare Abgrenzung von Unterhaltung (fortlaufende Pflicht) und Ausbau/Renaturierung (genehmigungspflichtiges Vorhaben) ist nicht immer eindeutig.

Fazit

Die naturnahe Gewässerunterhaltung an Gewässern 2. und 3. Ordnung ist ein unverzichtbarer Baustein zur Erreichung der Ziele der EU-Wasserrahmenrichtlinie. Sie erfordert einen integrierten Ansatz, der ökologische, hydrologische und sozioökonomische Aspekte berücksichtigt. Durch die Abkehr von starren, rein technischen Konzepten hin zu flexiblen, naturorientierten Maßnahmen können diese oft unscheinbaren, aber landschaftlich so wichtigen Gewässer ihre vielfältigen Funktionen wieder voll entfalten. Dies ist ein kontinuierlicher Prozess, der Wissen, Engagement und eine enge Zusammenarbeit aller Beteiligten auf lokaler, regionaler und Landesebene erfordert, um unsere Gewässer fit für die Zukunft zu machen.

Das dazu gehörige Fachseminar ist in der Seminarwelt des IWU Magdeburg auffindbar.