1. Einleitung und rechtlicher Rahmen
Die Einleitung von industriellen und gewerblichen Abwässern in öffentliche Abwasseranlagen oder direkt in Gewässer ist ein hochsensibles Thema im Gewässerschutz. Ziel ist es, die Gewässer vor schädlichen Einflüssen zu schützen, die Funktionsfähigkeit der öffentlichen Abwasseranlagen zu gewährleisten und die Klärschlammverwertung nicht zu gefährden. Der rechtliche Rahmen hierfür ist komplex und basiert primär auf dem Wasserhaushaltsgesetz (WHG) und der Abwasserverordnung (AbwV).
Gemäß § 8 WHG bedarf die Einleitung von Abwasser in ein Gewässer (Direkteinleitung) oder in eine öffentliche Abwasseranlage (Indirekteinleitung) einer behördlichen Erlaubnis. Bei Indirekteinleitungen, die hier im Fokus stehen, sind zusätzlich die kommunalen Abwassersatzungen und Einleitungsbedingungen der jeweiligen Abwasserbeseitigungspflichtigen (z.B. Stadtwerke, Zweckverbände) zu beachten.
Die Abwasserverordnung (AbwV) konkretisiert die Anforderungen an das Einleiten von Abwasser aus bestimmten Herkunftsbereichen. Sie enthält branchenspezifische Anhänge, die Grenzwerte für bestimmte Parameter festlegen, die durch den Einsatz „bester verfügbarer Techniken“ (BVT) erreicht werden müssen. Die Vorbehandlung der Abwässer ist oft unerlässlich, um diese Grenzwerte einzuhalten und die öffentlichen Kläranlagen nicht zu überlasten oder zu schädigen.
2. Notwendigkeit der Vorbehandlung und ihre Ziele
Industrielle und gewerbliche Abwässer unterscheiden sich in ihrer Zusammensetzung erheblich von häuslichem Abwasser. Sie können eine Vielzahl von Schadstoffen enthalten, darunter:
- Hohe Konzentrationen an organischen Stoffen (z.B. aus der Lebensmittelindustrie, chemischen Produktion).
- Schwermetalle (z.B. aus Galvaniken, Metallverarbeitung).
- Schwer abbaubare oder toxische Substanzen (z.B. Pestizide, Arzneimittelrückstände, persistente organische Schadstoffe).
- Hohe oder niedrige pH-Werte (saure oder alkalische Abwässer).
- Hohe Temperaturen.
- Feststoffe, Öle und Fette.
Eine Vorbehandlung dieser Abwässer vor der Einleitung in die öffentliche Kanalisation ist aus mehreren Gründen zwingend erforderlich:
- Schutz der Kanalisation: Aggressive Abwässer (extreme pH-Werte, hohe Temperaturen) können das Material der Kanalrohre angreifen. Feststoffe, Öle und Fette können zu Verstopfungen und Ablagerungen führen.
- Schutz des Betriebspersonals: Toxische Substanzen oder Gase können das Personal der Kanalisation und Kläranlage gefährden.
- Schutz der Kläranlage: Öffentliche Kläranlagen sind primär für häusliches Abwasser ausgelegt. Industrielle Schadstoffe können die biologischen Reinigungsprozesse stören oder ganz zum Erliegen bringen (Inhibition). Sie können auch die Schlammbehandlung beeinträchtigen und die Qualität des Klärschlamms für die landwirtschaftliche Verwertung unbrauchbar machen.
- Einhaltung von Grenzwerten: Die kommunalen Einleitebedingungen und die Anforderungen der AbwV müssen eingehalten werden, bevor das Abwasser in die öffentliche Kanalisation gelangt. Bei Direkteinleitungen sind die Anforderungen an die Vorbehandlung noch deutlich strenger, da keine weitere Reinigung mehr erfolgt.
Die Ziele der Vorbehandlung sind somit die Reduzierung der Schadstoffkonzentration, die Neutralisation extremer pH-Werte, die Abtrennung störender Stoffe (Fette, Öle, Feststoffe) und die Anpassung der Temperatur, um eine sichere und effiziente Weiterbehandlung in der kommunalen Kläranlage zu ermöglichen oder eine direkte Einleitung zu erlauben.
3. Techniken der Abwasservorbehandlung
Die Auswahl der geeigneten Vorbehandlungstechniken hängt stark von der Zusammensetzung des Abwassers und den geforderten Einleitewerten ab. Gängige Verfahren umfassen:
- Mechanische Verfahren:
- Rechen und Siebe: Abtrennung grober Feststoffe (Textilien, Papier, Kunststoffe).
- Sandfänge: Entfernung von mineralischen Feststoffen (Sand, Kies).
- Fett- und Ölabscheider: Trennung von nicht emulgierten Ölen, Fetten und Leichtflüssigkeiten durch Dichteunterschiede.
- Sedimentationsbecken/Absetzbecken: Abtrennung feinerer Schwebstoffe durch Sedimentation.
- Flotation: Beschleunigte Abtrennung von Feststoffen, Fetten und Ölen durch Aufschwimmen (oft mit Luftbläschen).
- Physikalisch-chemische Verfahren:
- Neutralisation: Einstellung des pH-Wertes durch Zugabe von Säuren (z.B. Schwefelsäure) oder Basen (z.B. Kalkmilch, Natronlauge).
- Fällung/Flockung: Zugabe von Fällungs- und Flockungsmitteln (z.B. Eisen-, Aluminiumsalze, Polymere) zur Agglomeration gelöster Stoffe und feiner Partikel, die dann leichter abgesetzt oder filtriert werden können. Oft angewendet zur Schwermetallentfernung oder Phosphatelimination.
- Adsorption: Einsatz von Adsorbentien (z.B. Aktivkohle) zur Entfernung gelöster organischer Stoffe, Farbstoffe oder Spurenstoffe.
- Filtration: Trennung von Feststoffen aus dem Wasser mittels Filtermedien (Sandfilter, Membranfilter).
- Membranverfahren (Ultrafiltration, Nanofiltration, Umkehrosmose): Trennung gelöster und ungelöster Stoffe basierend auf Porengrößen, oft zur Aufbereitung für Kreislaufführung oder für sehr hohe Reinigungsanforderungen.
- Biologische Verfahren:
- In einigen Fällen, insbesondere bei hohen organischen Belastungen, können auch kleine biologische Stufen als Vorbehandlung eingesetzt werden, um die Belastung für die öffentliche Kläranlage zu reduzieren. Dies ist aber seltener der Fall, da eine vollständige biologische Reinigung oft im Sinne einer Direkteinleitung nur mit hoher Komplexität realisierbar ist.
4. Häufige Probleme bei der Einleitung und Vorbehandlung
Trotz klarer rechtlicher Vorgaben und verfügbarer Technik treten in der Praxis immer wieder Probleme auf:
- Mangelnde Überwachung und Eigenkontrolle: Betreiber von industriellen und gewerblichen Anlagen vernachlässigen oft die regelmäßige Überwachung ihrer Abwässer und der Funktionstüchtigkeit ihrer Vorbehandlungsanlagen. Dies führt zu schleichenden Verschlechterungen der Ablaufqualität, die erst bei behördlichen Kontrollen oder Störungen in der Kanalisation/Kläranlage auffallen.
- Fehlende oder unzureichende Wartung: Vorbehandlungsanlagen müssen regelmäßig gewartet, gereinigt und gegebenenfalls neu eingestellt werden. Eine mangelhafte Wartung führt zu Effizienzeinbußen und Grenzwertüberschreitungen.
- Betriebsstörungen und Unfälle: Produktionsbedingte Schwankungen, Havarien oder unsachgemäße Einleitungen (z.B. aus der Reinigung von Behältern) können zu kurzfristig extrem hohen Belastungen oder Konzentrationen führen, die die Vorbehandlungsanlage überfordern und eine akute Gefahr für die öffentliche Kanalisation darstellen.
- „Dumping“ von Problemstoffen: In einigen Fällen werden unerlaubterweise besonders problematische Abwässer (z.B. hochkonzentrierte Chemikalien) direkt und unbehandelt eingeleitet, um Entsorgungskosten zu sparen. Dies ist eine Straftat und kann schwerwiegende Folgen haben.
- Komplexität der Abwasserzusammensetzung: Insbesondere bei chemischen Produktionen oder Forschungseinrichtungen können die Abwässer eine sehr heterogene und wechselnde Zusammensetzung aufweisen. Eine darauf abgestimmte, flexible Vorbehandlung ist technisch anspruchsvoll und teuer.
- Wirtschaftliche Aspekte: Die Investitions- und Betriebskosten für Vorbehandlungsanlagen können erheblich sein. Dies führt dazu, dass Unternehmen manchmal versuchen, die Anforderungen zu umgehen oder an der falschen Stelle zu sparen, was langfristig zu höheren Kosten durch Bußgelder und Schäden führen kann.
- Altanlagen ohne ausreichende Vorbehandlung: Bestehende Betriebe, die vor der Verschärfung der Abwasserverordnung oder dem Bau der kommunalen Kläranlage entstanden sind, verfügen oft nicht über die notwendige, dem Stand der Technik entsprechende Vorbehandlung. Die Nachrüstung ist häufig komplex und kostenintensiv.
- Grenzwerteinhaltung vs. BVT-Prinzip: Während Grenzwerte oft klar definiert sind, ist die Umsetzung der „besten verfügbaren Techniken“ (BVT) manchmal Interpretationssache und erfordert eine fortlaufende Anpassung an neue Entwicklungen.
- Kommunikation und Kooperation: Mangelnde Kommunikation zwischen Industriebetrieben und den Abwasserbeseitigungspflichtigen kann zu Missverständnissen und unzureichenden Lösungen führen.
5. Lösungsansätze und Ausblick
Um die genannten Probleme zu minimieren und eine rechtskonforme und umweltgerechte Abwasserentsorgung zu gewährleisten, sind folgende Ansätze wichtig:
- Verstärkte Überwachung und Kontrolle: Regelmäßige, engmaschige Eigenkontrollen der Betriebe und verstärkte behördliche Kontrollen sind unerlässlich.
- Sensibilisierung und Schulung: Betreiber und Personal müssen für die Bedeutung der Abwasserqualität und die korrekte Bedienung und Wartung der Anlagen geschult werden.
- Proaktive Anlagenoptimierung: Statt nur auf Grenzwerte zu reagieren, sollten Unternehmen ihre Prozesse und die Vorbehandlung kontinuierlich optimieren und auf den neuesten Stand der Technik bringen.
- Abfallvermeidung und Kreislaufführung: Die beste Abwasserbehandlung ist die, die gar nicht erst benötigt wird. Prozessinterne Maßnahmen zur Abfall- und Abwasservermeidung sowie zur Kreislaufführung von Wasser und Stoffen sind der Königsweg.
- Transparente Kommunikation: Ein offener Dialog zwischen Industriebetrieben und den Abwasserbeseitigungspflichtigen hilft, Probleme frühzeitig zu erkennen und gemeinsam Lösungen zu entwickeln.
- Technische Innovation: Die Entwicklung und Implementierung neuer, effizienterer und kostengünstigerer Vorbehandlungstechniken ist entscheidend.
- Förderung von Investitionen: Staatliche Förderprogramme können Anreize für Unternehmen schaffen, in moderne Abwasserbehandlungsanlagen zu investieren.
Fazit
Die Einleitung industrieller und gewerblicher Abwässer ist eine Gratwanderung zwischen wirtschaftlichen Interessen und den Anforderungen des Gewässerschutzes. Die Vorbehandlung dieser Abwässer ist eine zentrale Säule, um die Funktionsfähigkeit unserer Kläranlagen zu sichern und unsere Gewässer zu schützen. Die Herausforderungen sind vielfältig, reichen von technischen Problemen bis hin zu mangelnder Sorgfalt und wirtschaftlichem Druck. Eine konsequente Anwendung der bestehenden Gesetze, eine fortlaufende technische Weiterentwicklung, proaktives Handeln der Unternehmen und eine enge Zusammenarbeit aller Beteiligten sind unerlässlich, um diesen wichtigen Bereich des Umweltschutzes nachhaltig zu gestalten.
