Abgrenzung Abfall/Nicht-Abfall: Kontaminierter Futtermais als „Zwangsabfall“ gemäß § 3 Abs. 4 KrWG

BVerwG, Urteil vom 29.5.2018 – 7 C 34/15

Die Frage nach der Abfalleigenschaft eines Stoffes oder Gegenstandes markiert eine wichtige Weichenstellung in der abfallrechtlichen Praxis. Denn von ihrer Beantwortung hängt ab, ob die zuständigen Abfallbehörden die ihnen eingeräumten Befugnisse wahrnehmen dürfen. Das deutsche KrWG bildet den Abfallbegriff anhand einer Reihe von Vermutungstatbeständen, die – im Sinne von Beweiserleichterungen – den Behörden den Nachweis ermöglichen sollen, ob ein Stoff oder Gegenstand Abfall ist – oder eben nicht. Zu diesen Regelungen gehört auch der Tatbestand des sogenannten „objektiven Abfallbegriffs“ in § 3 Abs. 4 KrWG, mit dem sich das Bundesverwaltungsgericht in der hier besprochenen Entscheidung befasst hat.

Zugrunde lag der folgende Fall: Die Klägerin hatte aus dem Ausland Futtermais nach Deutschland importiert. Der Mais sollte als Futtermittel in der Landwirtschaft zum Einsatz gelangen. Nachdem der noch im Hafen lagernde Mais durch die zuständige Behörde beprobt und eine Belastung von Teilen des Maises mit Schimmelpilzen (sog. Aflatoxin B1) festgestellt worden war, sprach das zuständige Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit ein futtermittelrechtliches Verarbeitungs- und Verkehrsverbot gegenüber der Klägerin aus. In der Folge gab die Klägerin an, den nicht mehr als Futtermittel einsetzbaren Mais als Biomasse zur Energieerzeugung oder in Anlagen zur Herstellung von Bio-Ethanol verwenden zu wollen. Die zuständige Abfallbehörde verpflichtete sie dagegen mittels Bescheides zur Entsorgung des Futtermaises und zur Bezahlung der Verfahrenskosten.

Vor dem Bundesverwaltungsgericht wurde nur noch über die Rechtmäßigkeit des Kostenfestsetzungsbescheides gestritten. Der Futtermais war zwischenzeitlich in die USA verbracht worden. In Rahmen des verbliebenen Rechtsstreits hinsichtlich der Kosten des Verfahrens musste das BVerwG aber auch inzident zu der Frage Stellung nehmen, ob die entsorgungsrechtliche Grundverfügung deshalb rechtswidrig gewesen sein könnte, weil der Futtermais, auf den sie sich bezog, möglicherweise gar nicht als Abfall anzusehen gewesen war.

Das Bundesverwaltungsgericht prüfte diese Frage anhand des objektiven Abfallbegriffs gemäß § 3 Abs. 4 KrWG, der im Kern drei Voraussetzungen für das Vorliegen sogenannten „Zwangsabfalls“ formuliert: Der betrachtete Stoff oder Gegenstand wird nicht mehr entsprechend seiner ursprünglichen Zweckbestimmung verwendet, er weist ein spezifisches Gefahrenpotential auf und dieses kann allein mit den Mitteln des Abfallrechts ausgeschlossen werden. Diese drei Voraussetzungen bejahte das Gericht bei einer Betrachtung der Umstände im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt (der Lagerung der Abfälle im Hafen).

Bei Prüfung der Frage, ob der betrachtete Stoff noch entsprechend seiner ursprünglichen Zweckbestimmung verwendet wurde, stellte das BVerwG klar, dass hier dieselben Maßstäbe anzuwenden seien, die auch bei der Prüfung des sogenannten „subjektiv-objektivierten Abfallbegriffs“ gemäß § 3 Abs. 3 Satz 2 KrWG gelten, auch wenn sich dies dem Wortlaut von § 3 Abs. 4 KrWG so ausdrücklich nicht entnehmen lässt. Kennzeichen des subjektiv-objektivierten Begriffs ist, dass etwaige Behauptungen des jeweiligen Besitzers über eine (vermeintlich) noch fortbestehende oder eine unmittelbar neue Zweckbestimmung behördlicherseits unter Rückgriff auf die Figur der Verkehrsanschauung objektiviert und somit gegebenenfalls korrigiert werden können.

Auf dieser Grundlage machte das BVerwG als „ursprünglichen Verwendungszweck“ im Sinne von § 3 Abs. 4 KrWG den Einsatz des Maises als Futtermittel in der Landwirtschaft aus. Dieser ursprüngliche Zweck sei nach Auffassung des BVerwG infolge des behördlicherseits ausgesprochenen Verarbeitungs- und Verkehrsverbots aus objektiven Gründen entfallen. Denn die Zweckbestimmung eines Stoffes oder Gegenstandes entfalle objektiv immer dann, sobald er aus tatsächlichen oder – wie hier – rechtlichen Gründen nicht mehr zweckentsprechend verwendet werden könne.

Den Einwand der Klägerin, auf die fehlende rechtliche Verwendbarkeit als Futtermittel komme es bei der Beurteilung der Frage, ob der Verwendungszweck entfallen sei, nicht entscheidend an, weil zumindest (auch) der Einsatz als Biomasse zur Energieerzeugung geplant sei, ließ das Bundesverwaltungsgericht nicht gelten. Denn dieser Verwendungszweck sei jedenfalls im maßgeblichen Beurteilungszeitpunkt (nämlich bei Erlass des Entsorgungsbescheides) nicht als Nebenzweck zum Futtermitteleinsatz erkennbar gewesen.

Auch mit der Behauptung, der Futtermais hätte noch außerhalb der EU (in den Vereinigten Staaten) – wegen dort geltender niedrigerer Grenzwerte – als Futtermittel verwendet werden können, so dass immer noch von einer fortbestehenden Zweckbestimmung die Rede sein könne, drang die Klägerin nicht durch. Für eine solche Verwendungsfähigkeit außerhalb Europas sah das BVerwG die Klägerin als darlegungsverpflichtet an. Nach Sicht des Gerichts hatte die Klägerin solche Umstände jedoch – jedenfalls im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt – nicht dargelegt. Auch habe die Behörde eine solche Verwendungsoption nicht von Amts wegen prüfen müssen.

Im Ergebnis verneinte das BVerwG somit die (Weiter-)Verwendbarkeit des Maises entsprechend seiner ursprünglichen Zweckbestimmung.

Neben dem Entfallen der Zweckbestimmung setzt § 3 Abs. 4 KrWG – zweitens – voraus, dass der Stoff geeignet sein muss, gegenwärtig oder künftig das Wohl der Allgemeinheit zu gefährden. Das BVerwG stellte zunächst klar, dass das Gesetz hier keine konkrete Gefahrenlage im Sinne des Polizeirechts fordere. Vielmehr reiche es aus, dass die gegenwärtige Aufbewahrung oder künftige Verwendung einer Sache typischerweise zu einer Umweltgefahr führe. Diese Voraussetzung bejahte das Gericht im Kern unter Verweis auf die umwelt- und gesundheitsgefährdenden Eigenschaften des Pilzgiftes Aflatoxin B1, das im streitgegenständlichen Futtermais deutlich oberhalb des europäischen Grenzwertes für unerwünschte Stoffe in der Tierernährung nachgewiesen worden sei.

Auch die dritte und letzte Voraussetzung für das Vorliegen des objektiven Abfallbegriffs gemäß § 3 Abs. 4 KrWG sah das BVerwG als erfüllt an. Hiernach ist erforderlich, dass das Gefahrenpotential des betrachteten Stoffes nur durch eine ordnungsgemäße und schadlose Verwertung bzw. gemeinwohlverträgliche Beseitigung im Sinne des Abfallrechts ausgeschlossen werden kann. Nach Ansicht des BVerwG konnte das Gefahrenpotential in Bezug auf den Futtermais allein durch eine Hauptverwendung als Brennstoff oder als anderes Mittel der Energieerzeugung im Sinne des Verwertungsverfahren R1 gemäß Anlage 2 des KrWG oder durch eine gemeinwohlverträgliche Beseitigung, insbesondere durch eine biologische Behandlung und Ablagerung der Reststoffe im Sinne der Beseitigungsverfahren D1 und D 8 gemäß Anlage 1 zum KrWG ausgeschlossen werden. Gegenüber dem Abfallrecht speziellere Schutznormen erkannte das Gericht in der vorliegenden Konstellation nicht. Auch sei das allgemeine Ordnungsrecht im gegebenen Fall nicht „hinreichend leistungsfähig“, um die vom belasteten Mais ausgehenden abfallspezifischen Risiken angemessen zu erfassen.

Anmerkung: Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts hat für die Praxis überragende Bedeutung, da gerade die Abgrenzung zwischen Abfall und Nicht-Abfall regelmäßig Anlass für Streitigkeiten bietet. Auch wenn die Entscheidung im Ergebnis überzeugend ist, irritiert an ihr doch die vom BVerwG vorgeschlagene entsprechende Anwendung der Maßstäbe des sogenannten subjektiv-objektivierten Abfallbegriffs des § 3 Abs. 4 KrWG auf den sogenannten Zwangsabfallbegriff gemäß § 3 Abs. 4 KrWG. Denn mit diesem Kunstgriff wird das dogmatische Verhältnis der beiden Tatbestände eher verschleiert als geordnet. So wird nicht recht klar, warum das Gericht sich nach Verneinung der – analog geprüften – Voraussetzungen des subjektiv-objektivierten Abfallbegriffs (Entfallen der ursprünglichen Zweckbestimmung und kein ersichtlicher neuer Verwendungszweck) noch die „Mühe“ machen musste, die weiteren Voraussetzungen des objektiven Abfallbegriffs (spezifische Gefahrenlage und Möglichkeit ihrer Bekämpfung nur mittels Abfallrecht) zu prüfen. Zur Annahme von Abfall jedenfalls wäre das Bundesverwaltungsgericht hier auch gelangt, wenn es sich auf die Prüfung der Voraussetzungen in § 3 Abs. 3 KrWG beschränkt hätte.

Quelle: KOPP-ASSENMACHER & NUSSER

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert