Die VOB 2019 im Tief- und Kanalbau: Von der Ausschreibung bis zur Abrechnung

Die Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB) ist das maßgebliche Regelwerk für Bauvorhaben in Deutschland, insbesondere im öffentlichen Sektor. Die aktuelle Fassung, die VOB 2019, beinhaltet wesentliche Neuerungen und Präzisierungen, die den gesamten Ablauf von Bauprojekten im Tief- und Kanalbau maßgeblich beeinflussen. Dieser Fachbeitrag beleuchtet die Anwendung der VOB 2019 entlang der Phasen Ausschreibung, Vergabe, Durchführung, Abnahme und Abrechnung von Tief- und Kanalbauvorhaben und geht auf spezifische Herausforderungen und Besonderheiten dieses Bausektors ein.

1. Die Ausschreibung im Tief- und Kanalbau nach VOB 2019

Die Ausschreibungsphase bildet den Grundstein für ein erfolgreiches Bauvorhaben. Die VOB Teil A (§§ 1 bis 8b VOB/A) regelt die Verfahren zur Beschaffung von Bauleistungen. Im Tief- und Kanalbau sind insbesondere folgende Aspekte relevant:

  • Wahl der Vergabeart: Die VOB/A sieht verschiedene Vergabearten vor (Öffentliche Ausschreibung, Beschränkte Ausschreibung, Freihändige Vergabe). Die Wahl der Vergabeart hängt vom Auftragswert und der Komplexität des Vorhabens ab. Im Tief- und Kanalbau, der oft durch standardisierte Leistungen, aber auch durch spezifische geologische und hydrologische Bedingungen geprägt ist, kommen häufig öffentliche und beschränkte Ausschreibungen zur Anwendung.
  • Erstellung der Leistungsbeschreibung (LB): Die Leistungsbeschreibung ist das Herzstück der Ausschreibungsunterlagen. Sie muss die zu erbringenden Leistungen eindeutig und erschöpfend beschreiben (§ 7 VOB/A i.V.m. § 9 VOB/A-EU). Im Tief- und Kanalbau sind detaillierte Angaben zu Erdarbeiten (Aushubklassen, Verbau), Rohrleitungsbau (Nennweiten, Materialien, Verlegetechniken), Schachtbau, Entwässerungsanlagen, ggf. Spezialtiefbauverfahren und die Berücksichtigung von Bodengutachten unerlässlich. Die Verwendung von Standardleistungsbüchern (STLB-Bau) kann die Erstellung erleichtern und die Vergleichbarkeit der Angebote verbessern.
  • Beifügung von Plänen und Unterlagen: Neben der LB sind detaillierte Pläne (Lagepläne, Werkpläne, Detailzeichnungen), Bodengutachten, hydrologische Gutachten und ggf. Umweltberichte beizufügen, um den Bietern eine fundierte Kalkulation zu ermöglichen. Die VOB/A fordert die Bereitstellung vollständiger und widerspruchsfreier Unterlagen.
  • Angabe von Zuschlagskriterien: Die Zuschlagskriterien müssen im Vorfeld transparent und eindeutig festgelegt werden (§ 8 VOB/A i.V.m. § 16 VOB/A-EU). Im Tief- und Kanalbau spielt neben dem Preis oft auch die technische Ausführung, die Erfahrung des Bieters mit vergleichbaren Projekten und die Einhaltung von Umweltstandards eine Rolle.

2. Die Vergabephase nach VOB 2019

Die Vergabephase umfasst die Prüfung und Wertung der eingegangenen Angebote sowie die Zuschlagserteilung (§§ 15 bis 20 VOB/A). Im Tief- und Kanalbau sind folgende Aspekte von Bedeutung:

  • Prüfung der Angebote: Die Angebote werden auf Vollständigkeit, formale Richtigkeit und Einhaltung der Ausschreibungsbedingungen geprüft (§ 16 VOB/A). Besondere Aufmerksamkeit gilt der korrekten Kalkulation der Einheitspreise und der Angabe von Nebenangeboten.
  • Wertung der Angebote: Die Wertung der Angebote erfolgt anhand der zuvor festgelegten Zuschlagskriterien. Bei Einheitspreisverträgen ist in der Regel der Gesamtpreis maßgeblich, wobei auch qualitative Kriterien berücksichtigt werden können. Im Tief- und Kanalbau können beispielsweise die angebotenen Ausführungsfristen oder die technische Lösung für komplexe Bauabschnitte in die Wertung einfließen.
  • Zuschlagserteilung: Der Zuschlag wird dem wirtschaftlichsten Angebot erteilt (§ 16 VOB/A-EU). Die Zuschlagserteilung ist ein verbindlicher Rechtsakt, der den Bauvertrag begründet.

3. Die Durchführung des Bauvorhabens nach VOB 2019

Die Durchführung des Bauvorhabens wird maßgeblich durch die VOB Teil B (§§ 1 bis 18 VOB/B) geregelt. Im Tief- und Kanalbau sind folgende Aspekte besonders relevant:

  • Vertragsgrundlagen: Der Bauvertrag besteht aus den Vergabeunterlagen (insbesondere der LB), dem Angebot des Auftragnehmers und den Allgemeinen Technischen Vertragsbedingungen für Bauleistungen (ATV), die in der VOB Teil C enthalten sind (z.B. ATV DIN 18300 Erdarbeiten, ATV DIN 18301 Dränagearbeiten, ATV DIN 18306 Entwässerungskanalarbeiten).
  • Pflichten des Auftragnehmers: Der Auftragnehmer ist zur mangelfreien und termingerechten Ausführung der vereinbarten Leistungen verpflichtet (§ 4 VOB/B). Im Tief- und Kanalbau bedeutet dies die fachgerechte Durchführung von Erdarbeiten unter Berücksichtigung der Bodenbeschaffenheit, die ordnungsgemäße Verlegung von Rohrleitungen gemäß den technischen Regeln und die Einhaltung der Sicherheitsvorschriften.
  • Pflichten des Auftraggebers: Der Auftraggeber ist zur rechtzeitigen Zahlung der Vergütung verpflichtet (§ 16 VOB/B) und muss dem Auftragnehmer die notwendigen Unterlagen und Informationen zur Verfügung stellen.
  • Bauzeit und Behinderung: Die Einhaltung der vereinbarten Bauzeit ist ein zentraler Aspekt. Bei Behinderungen der Bauausführung (§ 6 VOB/B), beispielsweise durch unvorhergesehene geologische Verhältnisse, Grundwasserprobleme oder Lieferengpässe, hat der Auftragnehmer Anspruch auf Verlängerung der Ausführungsfristen und ggf. auf zusätzliche Vergütung.
  • Änderungen und zusätzliche Leistungen: Änderungen des Bauentwurfs oder zusätzliche Leistungen (§ 2 VOB/B) sind schriftlich zu vereinbaren und führen zu einer Anpassung der Vergütung und der Bauzeit. Im Tief- und Kanalbau können unerwartete Funde (z.B. archäologische Relikte) oder notwendige Anpassungen an bestehende Infrastruktur solche Änderungen erforderlich machen.
  • Bautagesbericht und Dokumentation: Eine detaillierte Baudokumentation durch Bautagesberichte ist unerlässlich, um den Baufortschritt, besondere Vorkommnisse und getroffene Vereinbarungen festzuhalten.

4. Die Abnahme nach VOB 2019

Die Abnahme (§ 12 VOB/B) ist ein wichtiger Rechtsakt, mit dem der Auftraggeber die erbrachte Leistung als im Wesentlichen vertragsgemäß anerkennt. Im Tief- und Kanalbau sind folgende Punkte zu beachten:

  • Förmliche Abnahme: Die Abnahme erfolgt in der Regel förmlich durch eine gemeinsame Begehung der Baustelle. Der Auftraggeber prüft die erbrachten Leistungen auf Mängel.
  • Abnahmeprotokoll: Über die Abnahme wird ein Protokoll gefertigt, in dem eventuelle Mängel, Vorbehalte und die Feststellung der Abnahme festgehalten werden.
  • Wirkungen der Abnahme: Mit der Abnahme geht die Gefahr des zufälligen Untergangs oder der zufälligen Verschlechterung auf den Auftraggeber über, die Verjährungsfrist für Mängelansprüche beginnt zu laufen und die Schlusszahlung wird fällig.
  • Teilabnahme: Bei größeren Tief- und Kanalbauvorhaben können auch Teilabnahmen für abgeschlossene Bauabschnitte vereinbart werden.

5. Die Abrechnung nach VOB 2019

Die Abrechnung (§ 14 VOB/B) regelt die finanzielle Abwicklung des Bauvorhabens. Im Tief- und Kanalbau sind folgende Aspekte relevant:

  • Grundlagen der Abrechnung: Die Abrechnung erfolgt auf Grundlage der vertraglichen Vereinbarungen (Einheitspreisvertrag, Pauschalvertrag) und der tatsächlich erbrachten Leistungen. Im Tief- und Kanalbau sind Einheitspreisverträge aufgrund der oft variablen Mengen (z.B. Aushubmengen, Rohrlängen) üblich.
  • Aufmaß: Die Mengen der erbrachten Leistungen müssen durch ein gemeinsames Aufmaß ermittelt und in Aufmaßblättern dokumentiert werden. Im Tief- und Kanalbau erfordert dies eine präzise Erfassung von Längen, Flächen und Volumina.
  • Rechnungsprüfung: Der Auftraggeber prüft die vom Auftragnehmer vorgelegten Rechnungen auf Richtigkeit und Übereinstimmung mit den vertraglichen Vereinbarungen und dem Aufmaß.
  • Zahlungen: Die Zahlungen erfolgen in der Regel in Abschlagszahlungen während der Bauzeit und einer Schlusszahlung nach Abnahme und Vorlage der Schlussrechnung.
  • Schlussrechnung: Die Schlussrechnung fasst alle erbrachten Leistungen und Zahlungen zusammen und bildet die Grundlage für die endgültige Abrechnung des Bauvorhabens.

Besondere Herausforderungen im Tief- und Kanalbau

Der Tief- und Kanalbau weist spezifische Herausforderungen auf, die bei der Anwendung der VOB 2019 berücksichtigt werden müssen:

  • Bodenverhältnisse: Unterschiedliche Bodenarten, Felsvorkommen und Grundwasserstände können die Bauausführung erheblich beeinflussen und zu Behinderungen und Nachträgen führen.
  • Bestehende Infrastruktur: Die Querung und der Schutz bestehender Leitungen (Strom, Gas, Wasser, Telekommunikation) erfordern besondere Sorgfalt und Abstimmung.
  • Umweltschutzauflagen: Im Tief- und Kanalbau sind strenge Umweltschutzauflagen (z.B. Umgang mit kontaminiertem Boden, Gewässerschutz) einzuhalten.
  • Sicherheit: Die Arbeit im Tiefbau birgt besondere Sicherheitsrisiken, die in den Ausschreibungsunterlagen und bei der Ausführung berücksichtigt werden müssen.

Fazit

Die VOB 2019 bildet den zentralen rechtlichen Rahmen für Bauvorhaben im Tief- und Kanalbau. Eine sorgfältige Anwendung der VOB in allen Projektphasen – von der detaillierten Ausschreibung mit präziser Leistungsbeschreibung und Berücksichtigung der spezifischen Bedingungen des Tief- und Kanalbaus über eine transparente Vergabe und eine vertragskonforme Durchführung unter Beachtung der ATV bis hin zur förmlichen Abnahme und einer nachvollziehbaren Abrechnung auf Basis des gemeinsamen Aufmaßes – ist entscheidend für den Erfolg des Bauvorhabens. Die frühzeitige Berücksichtigung der besonderen technischen und umweltrelevanten Herausforderungen des Tief- und Kanalbaus in den Vertragsunterlagen und während der Ausführung ist unerlässlich, um Konflikte zu vermeiden und eine termingerechte und mangelfreie Fertigstellung zu gewährleisten. Die VOB 2019 bietet hierfür die notwendigen Instrumente, deren sachgerechte Anwendung durch alle Beteiligten gefordert ist.

Das dazu gehörige Fachseminar ist in der Seminarwelt des IWU Magdeburg auffindbar.