Unvollständige Umsetzung der Aarhus-Konvention in nationales Recht?

Das Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten der UN-ECE vom 25.06.1998, gezeichnet durch die EG und deren Mitgliedstaaten (sog. Aarhus-Konvention), ist durch die Richtlinie 2003/35/EG vom 26.05.2003 über die Beteiligung der Öffentlichkeit bei der Ausarbeitung bestimmter Pläne und Programme, insbesondere auch durch die Änderung der UVP-Richtlinie und der IVU-Richtlinie auf gemeinschaftsrechtlicher Ebene und durch das Öffentlichkeitsbeteiligungsgesetz vom 09.12.2006 sowie durch das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz vom 07.12.2006 (UmwRG) auf nationaler Ebene konkretisiert worden. Danach gelten für jede Person und für Organisationen weitgehende Zugangsrechte zu Gerichten, hingegen bestehen nach dem UmwRG und dem Bundes-Naturschutzgesetz 2009 für die Verbandsklage Beschränkungen auf drittschützende Normen. Ob insoweit eine ausreichende Umsetzung gemeinschaftlicher Vorgaben in nationales Recht erfolgt ist, ist Gegenstand eines Vorabentscheidungsverfahrens beim EuGH.

Mit dem Beschluss des OVG Nordrhein- Westfalen vom 05.03.2009 – 8 D 58/08.AK – sind im Zusammenhang mit der von einer anerkannten Umweltorganisation erhobenen Klage gegen Vorbescheid und Teilgenehmigung für ein Steinkohlekraftwerk im Wege des Vorabentscheidungsverfahrens dem EuGH Fragen zur Reichweite des Verbandsklagerechts im Umweltrecht vorgelegt worden. Dabei richten sich diese Fragen darauf, ob die Nichtregierungsorganisationen auch die Verletzung solcher Umweltvorschriften geltend machen dürfen, die allein den Interessen der Allgemeinheit zu dienen bestimmt sind. Für den Fall, dass die Ausgangsfrage nicht uneingeschränkt bejaht wird, ist die Frage weitergehend auf die Voraussetzung gerichtet, dass die Verletzung von Umweltvorschriften nur solche erfasst, die unmittelbar im Gemeinschaftsrecht gründen oder die Umsetzung gemeinschaftlicher Vorschriften in innerstaatliches Recht betreffen. Darüber hinaus richten sich die Fragen weiter auf die inhaltlichen Anforderungen, die erfüllt sein müssen, damit deren Verletzung gerügt werden kann.

Zwar wird in dem Vorlagebeschluss festgestellt, dass die einschränkende Regelung in § 2 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 UmwRG mit dem Wortlaut in Art. 10 a) UVP-Richtlinie in Einklang zu bringen ist, jedoch hegt das Gericht Zweifel daran, ob die Vorschrift auch einer funktionalen Betrachtung genügt, bei der die wesentlichen Ziele der Gemeinschaft und der UVP-Richtlinie zu berücksichtigen sind. Wenn es also darum gehe, dass es Aufgabe der Gemeinschaft ist, ein hohes Maß an Umweltschutz und die Verbesserung der Umweltqualität zu fördern, und die UVP-Richtlinie auf die Verbesserung des Vollzugs, der Durchsetzung und Kontrolle gemeinschaftsrechtlicher Umweltvorschriften zielt, komme es darauf an, ob der beabsichtigte Klagezugang der betroffenen Öffentlichkeit bezogen auf diese Ziele innerstaatlich effektiv verwirklicht wird. Dies sei vorrangig daran zu messen, ob und in welchem Umfang das Verfahrensrecht des Mitgliedstaats diese Umweltvorschriften einer gerichtlichen Überprüfung zuführt. Eine solche Vorgehensweise stehe im Einklang mit der Rechtsprechung des EuGH zum Verhältnis zwischen der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten und dem gemeinschaftlichen Effektivitätsgrundsatz. Die vom Gericht geltend gemachten Zweifel beruhen schließlich darauf, dass bei der Beschränkung des Klagerechts von Nichtregierungsorganisationen die Kontrolle des Vollzugs von Umweltvorschriften durch eine unabhängige Stelle für einen weiten Teil des Umweltrechts praktisch unmöglich ist.

Soweit diese Zweifel des Gerichts im Lichte des Gebots der praktischen Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts auch aus Sicht des Gerichtshofs berechtigt sind, stelle sich die weitere Frage, welche weiteren Umweltschutzvorschriften unter Effektivitätsgesichtspunkten in das Klagerecht einzubeziehen sind. Dazu gehört weiter die Frage, ob aus Gründen der praktischen Wirksamkeit das Klagerecht auch die Geltendmachung der Verletzung rein innerstaatlicher Umweltvorschriften umfassen müsse, selbst wenn die Regelung der Kontrolle rein nationalen Umweltrechts nicht der Kompetenz der Gemeinschaft unterfalle, zumal die Unterscheidung, ob ein Aspekt national oder gemeinschaftsrechtlich geregelt ist, willkürlich sei und bei der Verzahnung beider Regelungsbereiche kaum noch möglich sei.

Gegebenenfalls sei sogar der Frage nachzugehen, ob über die Gewährleistung der Klagebefugnis in § 2 UmwRG hinaus das Klagerecht nicht unmittelbar aus der Richtlinie folge, selbst wenn den Mitgliedstaaten in Art. 10 a) Abs. 1 UVP-Richtlinie die Wahl eingeräumt sei, ob der Klagezugang von einem ausreichenden Interesse oder der Geltendmachung einer Rechtsverletzung abhängig gemacht werden soll.

Es ist mit Spannung zu erwarten, wie diese Vorlagefragen durch den EuGH beantwortet werden, weil damit letztlich die gerichtliche Überprüfung insbesondere von Zulassungsentscheidungen für Anlagen mit Auswirkungen auf die Umwelt nicht mehr, wie bisher im deutschen Prozessrecht, von subjektivöffentlichen Rechten abhängig sein würde, sondern im Sinne einer Popularklage auf Übereinstimmung mit den gesamten öffentlich-rechtlichen Vorschriften für den Umweltschutz. Eine solche Änderung würde unabsehbare Folgen für die weitere Entwicklung des Umweltschutzes bei der Errichtung von Anlagen nach sich ziehen.

Quelle: Köhler & Klett Rechtsanwälte

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