Mit Urteil vom 17.09.2020 – 8 U 1006/20 – hat das Kammergericht (KG) einer Klage auf Mietminderung stattgegeben, die die Mieter von gewerblich genutzten Räumen wegen von einer benachbarten Baustelle hervorgerufenen Lärms, Schmutzes und Erschütterungen erhoben hatten. Das Urteil ist rechtskräftig. Das KG hat in dem Urteil Bedenken in Bezug auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) geäußert, wonach nachträglich erhöhte Geräuschimmissionen in der Regel keinen Mangel der Mietwohnung darstellen, wenn auch der Vermieter sie ohne eigene Abwehr- oder Entschädigungsmöglichkeiten als Grundstücksnachbar hinnehmen muss.
Die Kläger hatten von dem Beklagten im Jahr 2015 Gewerberäume für eine gewerbliche Nutzung angemietet. Im Jahr 2018 wurde das auf dem Nachbargrundstück befindliche Gebäude abgerissen und ein neues Gebäude errichtet. Das KG hat der auf Mietminderung gerichteten Klage in der Berufungsinstanz stattgegeben.
Eine Mietsache ist mangelhaft, wenn die Tauglichkeit zum vertragsgemäßen Gebrauch mehr als nur unerheblich gemindert ist (§ 536 Abs. 1 BGB). Der vertraglich geschuldete Zustand richtet sich in erster Linie nach den Beschaffenheitsvereinbarungen der Parteien, die auch durch schlüssiges Verhalten getroffen werden können. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass Gegenstand einer Beschaffenheitsvereinbarung auch Umstände sein können, die von außen unmittelbar auf die Mietsache einwirken (sog. „Umweltfehler“). Zu den Umweltfehlern zählen auch Immissionen wie Lärm und Schmutz von einer Nachbarbaustelle und durch Bauarbeiten hervorgerufene Erschütterungen.
Nach den Feststellungen des KG hatten die Parteien aber weder ausdrücklich noch konkludent eine Beschaffenheitsvereinbarung getroffen, auf deren Grundlage der Vermieter etwa verpflichtet gewesen wäre sicherzustellen, dass die angemieteten Räumlichkeiten keinen höheren Lärmimmissionen (oder anderen von der benachbarten Baustelle ausgehenden Einwirkungen) als zu Vertragsbeginn ausgesetzt sein dürfen. Aus Sicht des Gerichts war schon deshalb nicht von einer solchen Vereinbarung auszugehen, weil bei Abschluss des Mietvertrags keine konkreten Anhaltspunkte für die Bebauung des Nachbargrundstücks vorlagen.
Der Rechtsstreit hing daher davon ab, ob wegen des Baulärms und der von der ausgehenden Erschütterungen etc. die Tauglichkeit der angemieteten Räumlichkeiten zum vertragsgemäßen Gebrauch erheblich gemindert und deshalb von dem Vorliegen eines Mangels der Mietsache auszugehen war (§ 536 Abs. 1 BGB).
Das KG hat das wegen der durch die Bauarbeiten hervorgerufenen Erschütterungen in dem Mietobjekt bejaht. Die durch die Bauarbeiten hervorgerufenen Risse in Wänden und Decken des Mietobjekts hat es als ein Indiz dafür gewertet, dass die von der benachbarten Baustelle ausgehenden Erschütterungen so erheblich waren, dass die gewerblichen Mieter zur Mietminderung berechtigt waren.
Weil die Kläger die Räumlichkeiten zu dem gewerblichen Zweck des Betriebs eines Thai-Massagesalons angemietet haben, ist das KG außerdem davon ausgegangen, dass eine konkludente Vereinbarung zu den zulässigen Lärmeinwirkungen vorgelegen habe, da die Ausübung dieser gewerblichen Nutzung mit erhöhten Lärmeinwirkungen schwerer vereinbar sei als andere gewerbliche Nutzungen.
In grundsätzlicher Hinsicht hat das KG Bedenken hinsichtlich der Rechtsprechung des BGH geäußert, wonach ein zur Mietminderung berechtigender Mangel wegen nachträglich erhöhter Geräuschimmissionen grundsätzlich nicht gegeben ist, wenn der Vermieter diese Einwirkungen als Eigentümer gemäß § 906 BGB ohne eigene Abwehr- und Entschädigungsmöglichkeit hinnehmen muss.
Die Bedenken des KG gründen sich vor allem auf den Umstand, dass der BGH zur Begründung der vorbezeichneten Rechtsauslegung auf die sachenrechtliche Vorschrift des § 906 BGB Bezug nimmt, die in ihrem unmittelbaren Anwendungsfall den Ausgleich von Nutzungskonflikten im Verhältnis benachbarter Grundstückseigentümer regelt. Das KG hält die entsprechende Heranziehung des § 906 BGB zum Zwecke der Auslegung mietvertraglicher Rechte und Pflichten für bedenklich, weil es im Verhältnis des Mieters zu einem Grundstückseigentümer keine gleichlaufenden Interessen gebe, was aber im Verhältnis zweier benachbarter Grundstückseigentümer zueinander der Fall sei. Denn der Eigentümer eines Grundstücks habe ein abstraktes Interesse an der Bebauung seines Grundstücks, das dem Interesse des benachbarten Grundstückseigentümers entspreche, von dessen Grundstück die störenden Einwirkungen ausgehen. Das ist nach den Erwägungen des KG der Grund dafür, dass der Grundstückseigentümer der nachbarrechtlichen Duldungspflicht gemäß § 906 BGB unterworfen ist. In Bezug auf einen Mieter kann nach der Einschätzung des KG hingegen nicht von einer vergleichbaren Interessenlage ausgegangen werden.
Im Ergebnis kam es auf diese kritischen Erwägungen aber nicht an, weil das KG unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des BGH davon ausgegangen ist, dass die Mieter zur Mietminderung berechtigt waren, weil auch der Eigentümer in dem konkreten Fall die Einwirkungen nicht entschädigungslos hinnehmen musste, da ihm aufgrund einer privatrechtlichen Vereinbarung ein Ausgleichsanspruch gegen die Streithelferin zustand. Diese hatte die Bebauung auf dem Nachbargrundstück errichten lassen.
Quelle: Köhler & Klett Rechtsanwälte
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