In Halle-Ammendorf sind im Zweiten Weltkrieg enorme Mengen von Senfgas produziert und abgefüllt worden. Die Fabrik wurde 1945 zerstört, die Trümmer oberirdisch beseitigt. Die unterirdischen Rohrleitungen und Kavernen sind bisher nicht zurückgebaut oder gar fachgerecht entgiftet. Seit 30 Jahren versucht die Bürgerinitiative Orgacid das Thema in die Öffentlichkeit zu bringen, um endlich das giftige Erbe hinter sich zu lassen. Bislang ohne Erfolg.
Der Anblick ist idyllisch, an einem Birnbaum hinter einem Zaun laden Früchte verführerisch zum Reinbeißen ein. Doch der Appetit verfliegt schlagartig beim Anblick des Warnschilds: Lebensgefahr, Betreten verboten. Denn hinter dem Zaun lag einst die Abfüllstation von Orgacid. Hier wurden mehr als 60.000 Bomben mit dem Chlorgas Lost gefüllt, weiß Erich Gadde von der Bürgerinitiative Orgacid.
Dass das Gelände überhaupt abgesperrt ist, ist einem Zufall zu verdanken, erzählt der 81-jährige Ammendorfer: „Bei einer Begehung im letzten Jahre wurde festgestellt, dass hier illegal gegraben wurde. Ein paar Tage später war das Bild in der Zeitung und erst daraufhin hat man – 80 Jahre nach dem Abriss der Orgacid-Anlagen – dieses Gelände erstmals gesichert.“ Doch mehr sei noch nicht passiert.
Kaum Warnhinweise vor dem giftigen Erbe
Dann führt Erich Gadde zu einer weiteren Hinterlassenschaft der Orgacid-Giftgasfabrik. Ein Schacht auf einem Betriebsgelände, in dessen Tiefe ebenfalls Rohrleitung aus dieser Zeit erkennbar sind, auch hier ohne je behandelt worden zu sein. Eine Warnung sucht man aber vergebens.
Wie auch generell auf dem weitläufigen Gelände. Dort haben sich mittlerweile verschieden Firmen angesiedelt, die die Flächen noch in den 90er-Jahren erworben haben. Zu DDR-Zeiten habe hier unter anderem ein Plast-Werk gestanden, verweist Erich Gadde auf die Industriegeschichte dieses Standortes. Auch schon damals wurde das Orgacid-Erbe totgeschwiegen.
Bürgerinitiative kämpft seit der Wende
Seit der Wende aber setzt sich Gadde mit seiner Bürgerinitiative für die Beseitigung der Gefahren ein. Gab es damals noch ein großes mediales Echo auf die giftige Vergangenheit, ebbte das Interesse immer mehr ab, wohl auch, weil mögliche Sanierungskosten einen nicht unerheblichen Millionenbetrag kosten würden. Die genauen Kosten weiß man nicht genau, weil es seit mehr als 20 Jahren keine entsprechenden Untersuchungen mehr gegeben hat.
Bund und Land und auch die Stadt Halle halten sich bedeckt. Auf Anfrage von MDR SACHSEN-ANHALT antwortete der zuständige Beigeordnete der Stadt für Umwelt, René Rebenstorf, dass derzeit keine Gefahr für die Schutzgüter von den Grundstücken der ehemaligen chemischen Fabrik Orgacid ausgehe.
Bisher keine medizinische Studie
Doch das sieht Erich Gadde anders und zückt daraufhin eine Umfrage vom April dieses Jahres unter Anwohnern und ehemaligen Beschäftigten: „Und da mussten wir feststellen, dass viele von ihnen an Krankheiten wie Krebs, Lungenfibrose, Leukämie oder Depressionen leiden oder auch schon daran gestorben waren.“ Eine medizinische Studie stehe aber bislang aus.
Mittlerweile signalisierte die Stadt Halle, bis 2024 das Grundwasser regelmäßig zu kontrollieren. Aber: „Ich vermisse total eine komplexe Strategie, wie man die Gefahrstoffe, die in dem Gelände hier schlummern und deren Auswirkung untersuchen und beseitigen will“, beklagt CDU-Landtagsabgeordneter Thomas Keindorf. In dessen Wahlkreis liegt das Orgacid-Gelände.
Quelle: MDR.de
Das dazu gehörige Fachseminar ist in der Seminarwelt des IWU Magdeburg auffindbar.