Grenzen des Zurückbehaltungsrechts des Mieters

Mit Urteil vom 17.06.2015 (Aktenzeichen: VIII ZR 19/14) hat der Bundesgerichtshof (BGH) in einem Grundsatzurteil eine bislang umstrittene Frage dahingehend beantwortet, dass ein Mieter sein Zurückbehaltungsrecht hinsichtlich laufender Mietzahlungen zeitlich und betragsmäßig nur begrenzt ausüben darf.


Sachverhalt

Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:

Der Beklagte war seit dem Jahr 1988 Mieter einer im Eigentum der Klägerin (Vermieterin) stehenden Wohnung. Aufgrund eines Schimmelpilzbefalles in dem Mietobjekt zahlte er in der Zeit von März 2009 bis Oktober 2012 keine oder nur einen Teil der Miete. Dies begründete er damit, dass die Miete in diesem Zeitraum wegen des Schimmelpilzbefalles gemindert gewesen sei und ihm zudem ein Zurückbehaltungsrecht an den laufenden Mietzahlungen zugestanden habe, welches einen Verzug mit der Zahlung der Miete – und damit im Ergebnis das Recht der Vermieterin zur fristlosen Kündigung – ausschließe.

Gleichwohl sprach die Vermieterin die Kündigung aus. Das erstinstanzliche Gericht gab der hiernach von der Vermieterin erhobenen Räumungsklage statt. Das Berufungsgericht wies die Klage in der zweiten Instanz ab. Hiergegen legte die Vermieterin Revision ein – mit Erfolg.


Problemstellung

Es ist grundsätzlich anerkannt, dass dem Mieter bei Vorliegen eines Mangels der Mietsache neben dem Recht zur Minderung der Miete auch das Recht zusteht, die laufende Mietzahlung zurückzuhalten. Durch die höchstrichterliche Rechtsprechung war bislang jedoch noch nicht geklärt, in welcher Höhe und wie lange ein solches Zurückbehaltungsrecht geltend gemacht werden darf.


Entscheidung

Der BGH hat klargestellt, dass die Geltendmachung des Zurückbehaltungsrechts sowohl einer zeitlichen als auch einer betragsmäßigen Begrenzung unterliegt. Die Frage, in welchem Umfang und für welchen Zeitraum dem Mieter, der die mit Mängeln behaftete Wohnung weiter nutze, ein Zurückbehaltungsrecht zustehe, könne allerdings nicht pauschal beantwortet werden. Sie sei vielmehr vom Richter im Rahmen seines Beurteilungsermessens aufgrund einer Gesamtwürdigung der Umstände des jeweiligen Einzelfalls unter Berücksichtigung des Grundsatzes von Treu und Glauben zu beantworten.

Im vorliegenden Fall war dieses Beurteilungsermessen nach Auffassung des BGH durch die Vorinstanz überschritten worden. Denn der Mieter hatte das Zurückbehaltungsrecht mit dem – in zeitlicher Hinsicht praktisch unbegrenzten – vierfachen Minderungsbetrag, den er bei 20 % der Brutto-Miete angesetzt hatte, bemessen. Eine solche Bemessung des Zurückbehaltungsrechts führt nach Ansicht des BGH dazu, dass der Mieter auf unabsehbare Zeit überhaupt keine Miete zu zahlen hat. Und (jedenfalls) dies sei unverhältnismäßig und werde insbesondere dem Zweck des Zurückbehaltungsrechts des Mieters nicht (mehr) gerecht, auf den Vermieter lediglich vorübergehend Druck auszuüben. Sei nämlich nicht mehr damit zu rechnen, dass der Vermieter seiner Pflicht zur Beseitigung des Mangels aufgrund der Höhe des Mieteinbehalts und/oder der verstrichenen Zeit seit dem erstmaligen Einbehalt der Miete nachkomme, dann habe das Leistungsverweigerungsrecht seinen Zweck verfehlt, den Vermieter zur eigenen Vertragstreue anzuhalten.

Dabei hat der BGH zugleich darauf hingewiesen, dass der Mieter nicht rechtsschutzlos gestellt ist. Der Mieter könne beispielsweise auf Mangelbeseitigung klagen. Im Falle des Verzugs des Vermieters mit der Mangelbeseitigung könne der Mieter Schadensersatz geltend machen oder den Mangel selbst beseitigen und die Aufwendungen ersetzt verlangen. Außerdem habe der Mieter im Fall eines bestehenden Selbstbeseitigungsrechts Anspruch auf Zahlung eines Vorschusses in Höhe der zu erwartenden Mangelbeseitigungskosten, mit dem er gegen die Miete aufrechnen könne. Schließlich komme auch eine fristlose Kündigung in Betracht.


Fazit

Der BGH hat mit seiner Entscheidung jedenfalls insoweit Klarheit geschaffen, als nun feststeht, dass die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts Grenzen findet. Dies wurde in der Rechtsprechung zuvor unterschiedlich beurteilt, wobei überwiegend angenommen wurde, dass der Mieter den Einbehalt so lange vornehmen könne, bis ihm die Mietsache wieder in mangelfreiem Zustand zur Verfügung stehe.

Nach der Entscheidung des BGH ist das jetzt unstreitig nicht mehr möglich. Der Mieter hat demnach nicht (mehr) die Möglichkeit, die Mietzahlung allein mit dem Hinweis auf einen fortbestehenden Mangel auf unabsehbare Zeit zurückzuhalten, zumal dann nicht, wenn die Höhe der zurückbehaltenen Miete die Höhe der (voraussichtlichen) Beseitigungskosten des Mangels bei Weitem übersteigt.

Ob und wie weit die vom BGH im vorliegenden Fall festgestellte Grenze noch weiter herabgesetzt werden kann, lässt sich der Entscheidung allerdings nicht entnehmen. Das hat der BGH augenscheinlich auch nicht gewollt und deshalb ausdrücklich betont, dass sich eine „schematische Betrachtung“ verbiete und ein zusätzlicher Einbehalt eines Teils der Miete für einen gewissen, etwas längeren Zeitraum grundsätzlich ebenso in Betracht komme wie der Einbehalt der gesamten Miete für einen kurzen Zeitraum.


Praxishinweis

Die (noch zulässige) Ausübung des Zurückbehaltungsrechts bleibt also eine Frage des Einzelfalls, bei der insbesondere im Auge behalten werden muss, ob der insgesamt einbehaltene Betrag noch in einer angemessenen Relation zu der Bedeutung des Mangels steht. Es sollte daher unverändert sorgfältig geprüft werden, ob und wann durch ein überlanges und/oder überhöhtes Zurückhalten der Miete die Grenze der Verhältnismäßigkeit überschritten wird. Denn bei einem Überschreiten dieser Grenze kann der Vermieter wirksam kündigen. Macht also der Mieter von seinem Zurückbehaltungsrecht Gebrauch, geht er immer noch ein oft schwer einschätzbares Risiko ein, das nicht ohne rechtliche Beratung abgewogen werden sollte.

Quelle: Köhler & Klett Rechtsanwälte

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