Die EU-Kommunalabwasserrichtlinie: Eine Säule des europäischen Gewässerschutzes und ihre Wirkung

Die EU-Kommunalabwasserrichtlinie (Richtlinie 91/271/EWG), oft auch als Kommunalabwasserrichtlinie (KommAbwRL) abgekürzt, ist eine der ältesten und wirkungsmächtigsten Rechtsvorschriften im europäischen Umweltschutz. Seit ihrer Verabschiedung im Jahr 1991 hat sie die Art und Weise, wie in Europa kommunale Abwässer gesammelt, behandelt und abgeleitet werden, grundlegend verändert. Ihr primäres Ziel ist es, Gewässer vor den negativen Auswirkungen der Einleitung von unbehandeltem oder unzureichend behandeltem Siedlungsabwasser zu schützen. Ihre Vorgaben sind die Grundlage für einen Großteil der Abwasserinfrastruktur, die wir heute in den EU-Mitgliedstaaten vorfinden.


1. Ziele und Kerninhalte der Kommunalabwasserrichtlinie

Die KommAbwRL verfolgt klar definierte Umweltziele, die sich in ihren Kerninhalten widerspiegeln:

  • Schutz der Gewässer vor Verschmutzung durch kommunales Abwasser: Dies ist das übergeordnete Ziel. Sie soll die Eutrophierung (Überdüngung) von Gewässern und die Belastung durch organische Stoffe sowie Krankheitserreger verhindern.
  • Sammlung von Abwasser: Die Richtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten, für alle Ballungsräume (Agglomerationen) mit mehr als 2.000 Einwohnerwerten (EW) angemessene Sammelsysteme (Kanalisationen) zu schaffen. Die Erfassung des Abwassers muss so erfolgen, dass die Umwelt nicht unnötig belastet wird.
  • Behandlung von Abwasser: Für die gesammelten Abwässer sind Kläranlagen zu errichten, die bestimmte Mindestanforderungen an die Reinigungsleistung erfüllen:
    • Primärbehandlung (mechanisch): Für Abwässer, die in weniger empfindliche Gebiete abgeleitet werden.
    • Sekundärbehandlung (biologisch): Für die meisten Ballungsräume vorgeschrieben, um die Konzentration von organischen Stoffen zu reduzieren.
    • Tertiärbehandlung (weitergehende Reinigung): Für Ballungsräume, deren Abwässer in empfindliche Gebiete (z.B. Gewässer, die von Eutrophierung bedroht sind, Trinkwasserschutzgebiete) abgeleitet werden. Hierzu gehören die zusätzliche Entfernung von Stickstoff und/oder Phosphor.
  • Überwachung und Berichterstattung: Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, die Leistungsfähigkeit ihrer Sammelsysteme und Kläranlagen sowie die Qualität des eingeleiteten Abwassers kontinuierlich zu überwachen und regelmäßig Berichte an die Europäische Kommission zu übermitteln.
  • Einleitungsanforderungen: Die Richtlinie legt zudem Grenzwerte für das eingeleitete Abwasser fest, insbesondere für Parameter wie BSB5 (Biochemischer Sauerstoffbedarf über 5 Tage), CSB (Chemischer Sauerstoffbedarf), Gesamtstickstoff und Gesamtphosphor.

2. Umsetzung in Deutschland

Deutschland hat die EU-Kommunalabwasserrichtlinie umfassend in nationales Recht umgesetzt. Die zentralen nationalen Rechtsgrundlagen sind:

  • Wasserhaushaltsgesetz (WHG): Das WHG als grundlegendes Gesetz für die Gewässerbewirtschaftung enthält die generellen Pflichten zur Abwasserbeseitigung und die Anforderungen an die Abwasserbehandlung.
  • Abwasserverordnung (AbwV): Die AbwV ist das detaillierte Instrument zur Umsetzung der KommAbwRL in Deutschland. Sie konkretisiert die Anforderungen an die Einleitung von Abwasser und die erforderlichen Behandlungsverfahren. Die Anhänge der AbwV legen die branchen- oder stoffspezifischen Mindestanforderungen fest, wobei Anhang 1 speziell die Anforderungen an kommunales Abwasser für verschiedene Größenklassen von Kläranlagen und Einleitungsgebiete (normal/empfindlich) definiert.
  • Landeswassergesetze (LWG) und Kommunale Satzungen: Die Bundesländer und Kommunen regeln die Details der Abwasserbeseitigung, wie z.B. die Zuständigkeiten, die Anschluss- und Benutzungspflichten sowie die Gebühren.

Die Umsetzung der Richtlinie in Deutschland hat zu einem massiven Ausbau und einer Modernisierung der kommunalen Abwasserinfrastruktur geführt. Dies beinhaltet den Bau und die Erweiterung von Kanalnetzen sowie die Errichtung und Modernisierung zahlreicher Kläranlagen mit biologischer und oft auch weitergehender Reinigungsstufe (Stickstoff- und Phosphorelimination).


3. Herausforderungen und zukünftige Entwicklungen

Trotz ihrer Erfolge steht die KommAbwRL und damit die europäische Abwasserwirtschaft vor neuen Herausforderungen:

  • Mikroverunreinigungen: Die Richtlinie berücksichtigt keine neuen Schadstoffgruppen wie Spurenstoffe (z.B. Arzneimittelrückstände, Pestizide, Mikroplastik), die auch nach der biologischen Behandlung im Abwasser verbleiben können und eine potenzielle Gefahr für Gewässer darstellen.
  • Energieeffizienz und Klimawandel: Der Betrieb von Abwasseranlagen ist energieintensiv. Zukünftige Entwicklungen müssen einen Fokus auf Energieeffizienz, die Reduzierung von Treibhausgasemissionen und die Anpassung an die Folgen des Klimawandels (z.B. Starkregenereignisse, Trockenheit) legen.
  • Ressourcenrückgewinnung: Die Kläranlage der Zukunft wird zunehmend als Ressourcenfabrik verstanden. Die Rückgewinnung von Nährstoffen (z.B. Phosphor aus Klärschlamm), Energie (Biogas) und Wasser wird immer wichtiger.
  • Überarbeitung der Richtlinie: Die Europäische Kommission hat bereits eine Überarbeitung der Kommunalabwasserrichtlinie vorgeschlagen, die diese neuen Herausforderungen adressieren soll. Schwerpunkte des Entwurfs sind unter anderem:
    • Ausweitung der Sammelpflicht: Potenziell auch für kleinere Ballungsräume.
    • Erweiterte Behandlungspflichten: Einführung einer vierten Reinigungsstufe (zum Beispiel Ozonung oder Aktivkohlefiltration) zur Entfernung von Mikroverunreinigungen in größeren Kläranlagen.
    • Produzentenverantwortung: Einbeziehung von Herstellern bestimmter Produkte (z.B. Pharmazeutika, Kosmetika) in die Finanzierung der Abwasserbehandlung von Spurenstoffen.
    • Verbesserte Überwachung und Transparenz.
    • Strengere Anforderungen an das Energiemanagement.

Fazit

Die EU-Kommunalabwasserrichtlinie war und ist ein entscheidendes Instrument für den Schutz der europäischen Gewässer. Sie hat maßgeblich dazu beigetragen, die Qualität unserer Flüsse und Seen zu verbessern und die öffentliche Gesundheitsversorgung zu sichern. Die bevorstehende Novellierung zeigt, dass das europäische Wasserrecht dynamisch auf neue ökologische und technologische Herausforderungen reagiert. Die Integration von Mikroverunreinigungen, Energieeffizienz und Ressourcenrückgewinnung in die künftigen Regelwerke wird die Abwasserwirtschaft in Europa erneut prägen und einen weiteren wichtigen Schritt hin zu einem umfassenden und zukunftsorientierten Gewässerschutz darstellen. Die kontinuierliche Anpassung und strenge Anwendung dieser Vorgaben sind unerlässlich, um die Ressource Wasser für kommende Generationen zu schützen.