Der „GfK-Skandal“ in Hannover: Ein Fallbeispiel für Geruchsimmissionen, Genehmigungspraxis und Bürgerengagement

Gerüche können die Lebensqualität von Anwohnern in industriell geprägten Gebieten erheblich beeinträchtigen und gehören zu den komplexesten immissionsschutzrechtlichen Problemen. Der sogenannte „GfK-Skandal“ in Hannover, der maßgeblich von Emissionen des Unternehmens Kemper System GmbH & Co. KG ausging und das Gewerbeaufsichtsamt Hannover auf den Plan rief, ist ein prominentes Fallbeispiel für die Herausforderungen bei der Regelung und Kontrolle industrieller Geruchsimmissionen. Die Problematik, die sich über Jahre hinzog, betraf insbesondere die Stadtteile Ahlem und Badenstedt und erregte große öffentliche Aufmerksamkeit, auch im Umfeld des dort ansässigen VW-Nutzfahrzeuge-Werks.

1. Die Akteure und die Ursache der Geruchsimmissionen

Kemper System GmbH & Co. KG ist ein führender Hersteller von Abdichtungssystemen und Beschichtungen, die oft auf Basis von flüssigen Kunstharzen und glasfaserverstärkten Kunststoffen (GFK) hergestellt werden. Bei der Produktion und Verarbeitung dieser Materialien kommen häufig Polyesterharze zum Einsatz, die Styrol enthalten. Styrol ist eine flüchtige organische Verbindung (VOC), die einen charakteristischen, stechend-süßlichen Geruch aufweist und bereits in sehr geringen Konzentrationen wahrgenommen werden kann. Es steht im Verdacht, gesundheitsschädlich zu sein und ist haut- und schleimhautreizend.

Die persistenten und intensiven Gerüche, die von den Produktionsanlagen der Kemper System GmbH & Co. KG ausgingen, führten über Jahre hinweg zu einer massiven Belästigung und Besorgnis bei den Anwohnern. Diese Gerüche waren der Auslöser für eine Flut von Beschwerden, die beim zuständigen Gewerbeaufsichtsamt Hannover (als Teil des Landesamtes für Umwelt, Bau und Naturschutz, ehemals Staatliches Gewerbeaufsichtsamt) eingingen.

2. Die Rolle des Gewerbeaufsichtsamtes Hannover

Als zuständige Immissionsschutzbehörde obliegt dem Gewerbeaufsichtsamt die Überwachung der Einhaltung immissionsschutzrechtlicher Vorschriften, die Genehmigung und Kontrolle von Anlagen sowie die Bearbeitung von Beschwerden. Im Fall Kemper System stand das Amt vor einer doppelten Herausforderung:

  • Subjektivität von Geruch: Geruch ist eine schwer objektiv messbare Immission. Während für viele Schadstoffe präzise Grenzwerte existieren, ist Geruch oft eine Frage der Wahrnehmung, der Häufigkeit und Intensität. Die Geruchsimmissionsrichtlinie (GIRL) gibt zwar Anhaltswerte, die Bewertung bleibt aber komplex.
  • Bestandsschutz vs. Nachrüstungspflicht: Die Produktionsanlagen von Kemper System waren teilweise älteren Datums, was Fragen des Bestandsschutzes und der Verhältnismäßigkeit von Nachrüstungsforderungen nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz (BImSchG) aufwarf.

Das Gewerbeaufsichtsamt reagierte auf die Beschwerdelage mit einer Reihe von Maßnahmen:

  • Messkampagnen: Durchführung von umfangreichen Geruchsmessungen (z.B. mit Olfaktometrie, gaschromatographischen Analysen) und meteorologischen Messungen zur Verifizierung der Geruchsquelle und Ausbreitung.
  • Ortstermine und Begehungen: Regelmäßige Kontrollen der Anlage, um Produktionsprozesse und Abluftreinigungsanlagen zu überprüfen.
  • Anordnungen und Auflagen: Das Amt erließ im Laufe der Zeit verschiedene Anordnungen und verschärfte Auflagen zur Reduzierung der Emissionen, unter anderem die Forderung nach dem Einbau und der Optimierung von Abluftreinigungsanlagen.

3. Die GfK-Problematik: Technologische und rechtliche Aspekte der Styrolemissionen

Die Herstellung von GFK-Produkten ist chemisch komplex. Styrol dient hier als reaktives Lösungsmittel und Vernetzungsmittel in den Harzsystemen. Während des Aushärtungsprozesses oder bei der Verarbeitung können Styrolmoleküle in die Umwelt entweichen. Die Herausforderungen bei der Reduktion dieser Emissionen sind:

  • Diffuser Emissionen: Neben den gut zu fassenden Punktquellen (Schornsteine) können auch diffuse Emissionen aus Lagerbereichen, offenen Behältern oder während der Verarbeitung auftreten, die schwerer zu erfassen und zu reinigen sind.
  • Abluftreinigungstechnik: Die effektive Abscheidung von Styrol aus Abluftströmen erfordert hochentwickelte und energieintensive Technologien wie thermische Nachverbrennung (TNV), regenerative thermische Nachverbrennung (RTO) oder Biofilter. Die Wahl und Dimensionierung dieser Anlagen ist entscheidend.
  • Rechtliche Rahmenbedingungen: Die Emissionen von Styrol werden primär durch die Technische Anleitung zur Reinhaltung der Luft (TA Luft) reguliert. Diese Verordnung legt Emissionsgrenzwerte fest und fordert den Einsatz des Stands der Technik zur Emissionsminderung. Bei Bestandsanlagen sind Nachrüstungsforderungen nach § 17 BImSchG möglich, wenn erhebliche Nachteile für die Nachbarschaft entstehen.

4. Öffentliche Wahrnehmung und politische Dimension

Der „GfK-Skandal“ in Hannover war nicht nur eine technische und rechtliche, sondern auch eine stark politisch und öffentlich aufgeladene Angelegenheit.

  • Bürgerengagement: Anwohner formierten sich in Bürgerinitiativen, organisierten Proteste und übten kontinuierlich Druck auf Politik und Behörden aus. Ihre detaillierten Geruchstagebücher und beharrlichen Beschwerden waren oft die Grundlage für behördliche Ermittlungen.
  • Gesundheitsbedenken: Die anhaltenden Geruchsbelästigungen führten zu erheblichen Sorgen um die Gesundheit der Bevölkerung. Obwohl Gerüche primär als Belästigung gelten, können chronische Belastung und die Angst vor Langzeitfolgen die Lebensqualität stark beeinträchtigen.
  • Politische Reaktionen: Lokal- und Landespolitiker wurden in die Debatte hineingezogen und forderten Maßnahmen zur Lösung des Problems. Die Nähe zu anderen großen Industriestandorten wie dem VW-Nutzfahrzeuge-Werk in Hannover trug zur Sensibilisierung für industrielle Emissionen in der Region bei.
  • Vertrauensverlust: Die Langwierigkeit des Konflikts führte zeitweise zu einem Vertrauensverlust in die Fähigkeit der Behörden, das Problem effektiv zu lösen, und in die Bereitschaft des Unternehmens, schnell und umfassend zu reagieren.

5. Lernerfahrungen und Konsequenzen

Der Fall Kemper System in Hannover ist ein Lehrstück für das Management industrieller Immissionen:

  • Notwendigkeit umfassender Sanierung: Kemper System investierte schließlich erhebliche Summen in die Sanierung und Modernisierung seiner Abluftreinigungsanlagen, darunter die Installation einer neuen Abluftreinigungsanlage und die Verlagerung von Produktionsbereichen in eine neue, hermetischere Halle. Diese Maßnahmen führten zu einer deutlichen Reduktion der Emissionen.
  • Bedeutung der kontinuierlichen Überwachung: Der Fall unterstreicht die Notwendigkeit einer dauerhaften und effektiven Überwachung durch die Immissionsschutzbehörden, auch nach erteilten Genehmigungen.
  • Transparenz und Kommunikation: Eine offene und transparente Kommunikation zwischen Unternehmen, Behörden und Anwohnern kann Konflikte entschärfen und das Vertrauen fördern. Bürgerbeschwerden müssen ernst genommen und systematisch erfasst werden.
  • Grenzziehung in industriellen Ballungsräumen: Der Fall verdeutlicht die permanente Spannung zwischen der Sicherung industrieller Arbeitsplätze und dem Anspruch der Anwohner auf eine ungestörte Lebensqualität in der Nähe von Industrieanlagen.

Der „GfK-Skandal“ in Hannover um Kemper System ist somit ein exemplarisches Beispiel dafür, wie persistente Geruchsemissionen zu einem langwierigen Konflikt zwischen Industrie und Anwohnerschaft führen können und welche komplexen Aufgaben sich daraus für Genehmigungs- und Überwachungsbehörden ergeben. Er zeigt aber auch, dass durch technische Investitionen und behördlichen Druck eine signifikante Verbesserung der Immissionssituation erreicht werden kann.

Das dazu gehörige Fachseminar ist in der Seminarwelt des IWU Magdeburg auffindbar.