Die Auswirkungen des Klimawandels und die daraus resultierenden Bestrebungen nach mehr Klimaschutz sind politisch wie (verfassungs-)rechtlich ein generationenübergreifendes Problem von besonderer Tragweite. Mit Beschluss vom 24.03.2021 (1 BvR 2656/18 u.a.) hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) Teile des Bundes-Klimaschutzgesetzes (KSG) für verfassungswidrig erklärt und sich gleichzeitig grundlegend zu den verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen des Klimaschutzes, insbesondere zur Reichweite der Staatszielbestimmung Umweltschutz in Art. 20a Grundgesetz (GG) und der globalen Dimension des Klimawandels, geäußert.
Der Entscheidung des BVerfG lagen mehrere Verfassungsbeschwerden von deutschen und ausländischen in Bangladesch und Nepal lebenden Einzelpersonen sowie von zwei deutschen Umweltvereinigungen zugrunde. Die Verfassungsbeschwerden richteten sich im Wesentlichen gegen einzelne Bestimmungen des KSG, insbesondere gegen die Regelungen in § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 i.V.m. den Anlagen I und 2 und § 4 Abs. 3 KSG sowie gegen das Unterlassen der Bundesrepublik Deutschland, geeignete Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels zu ergreifen. Die Beschwerdeführenden stützten die Verfassungsbeschwerden dabei vor allem auf die grundrechtlichen Schutzpflichten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 und Art. 14 Abs. 1 GG sowie auf ein Grundrecht auf eine menschenwürdige Zukunft und ein Grundrecht auf ein ökologisches Existenzminimum, welche die Beschwerdeführenden aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20a GG und aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG herleiten.
Zweck des KSG vom 12.12.2019 ist der Schutz vor den Auswirkungen des Klimawandels. Das Gesetz hat den Charakter eines Rahmengesetzes, in welchem Ziele und Prinzipien der Klimaschutzpolitik verankert und Minderungsziele für Treibhausgasemissionen festgelegt sind, ohne dass bereits konkrete Maßnahmen getroffen werden. Völkerrechtliche Grundlage für das KSG ist das Pariser Übereinkommen. Auf die Ziele des Pariser Abkommens den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf deutlich unter 2 °C und möglichst auf 1,5 °C zu begrenzen – nimmt § 1 KSG ausdrücklich Bezug. Nationale Grundlagen für die im KSG festgeschriebenen Klimaschutzziele sind der Klimaschutzplan 2050 und das Klimaschutzprogramm 2030.
In dem angegriffenen § 3 Abs. 1 KSG sind die konkreten Klimaschutzziele ausformuliert. Nach dieser Vorschrift sind die Treibhausgasemissionen schrittweise so zu mindern, dass sie bis zum Jahr 2030 im Vergleich zum Jahr 1990 um mindestens 55% reduziert sind. In § 4 Abs. 1 Satz 3 KSG in Verbindung mit Anlage 2 sind die der Minderungsquote von 55 % bis 2030 entsprechenden, konkret zulässigen Jahresemissionsmengen in den verschiedenen Sektoren – beispielsweise auch im Bereich der Abfallwirtschaft (vgl. § 4 Abs. I S. I Nr. 6 KSG) – geregelt. Nicht enthalten sind allerdings die jährlich zulässigen Emissionsmengen ab dem Jahr 2031, sodass der Treibhausgasemissionspfad nicht fortgeschrieben wird. Insoweit wird die Bundesregierung in § 5 Abs. 6 KSG ermächtigt, im Jahr 2025 für die Zeiträume nach dem Jahr 2030 jährlich absinkende Emissionsmengen durch Rechtsverordnung festzulegen.
Das BVerfG hat die Regelungen in § 3 Abs. 1 Satz 2 und § 4 Abs. 1 Satz 3 KSG in Verbindung mit Anlage 2 für unvereinbar mit den Grundrechten erklärt, soweit eine den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügende Regelung für die Fortschreibung der Minderungsziele ab dem Jahr 2031 fehlt. Darüber hinaus hat das Gericht den Gesetzgeber verpflichtet, bis spätestens zum 31.12.2022 die Fortschreibung der Ziele ab dem Jahr 2031 zu regeln. Bis zu diesem Zeitpunkt bleiben die genannten Regelungen anwendbar.
Im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung stellt das BVerfG zunächst fest, dass es sich nicht um unzulässige Popularverfassungsbeschwerden handelt. Allein der Umstand, dass vom globalen Klimawandel eine sehr große Zahl von Personen betroffen sei, stehe einer individuellen Grundrechtsbetroffenheit nicht entgegen. Mit Blick auf die Verfassungsbeschwerde, die von zwei Umweltverbänden als „Anwälte der Natur“ erhoben worden sind, stellt das Gericht allerdings fest, dass das GG und auch das Verfassungsprozessrecht eine solche Beschwerdebefugnis – die vergleichbar wäre mit dem verwaltungsprozessualen Verbandsklagerecht für Umweltvereinigungen im Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz (UmwRG) für die Verfassungsbeschwerde nicht vorsehen. Insoweit wurden die Verfassungsbeschwerden daher als unzulässig verworfen.
Mit Blick auf die Klagebefugnis stellt das BVerfG fest, dass diese nicht unmittelbar aus Art. 20a GG folge. Dieser verfassungsrechtliche Schutzauftrag der natürlichen Lebensgrundlagen umfasse grundsätzlich zwar auch den Schutz des Klimas und sei auch justiziabel. Art. 20a GG enthalte jedoch keine subjektiven Rechte, die eine Beschwerdebefugnis begründen könnten. Die Beschwerdeführenden könnten sich aber darauf stützen, zukünftig möglicherweise in ihren Freiheitsrechten verletzt zu sein. Das Gericht stellt dabei ausdrücklich fest, dass praktisch jegliche Freiheit betroffen sei, weil heute im Grunde alle Bereiche des menschlichen Lebens mit der Emission von Treibhausgasen verbunden seien und dementsprechend nach 2030 drastische Einschränkungen drohten. Je mehr vom noch vorhandenen CO2-Budget aufgebraucht sei, desto drängender würden auch die verfassungsrechtlichen Anforderungen des Klimaschutzes. Dies könne dazu führen, dass zukünftige Grundrechtsbeeinträchtigungen in verfassungsrechtlich zulässiger Weise gravierender ausfallen.
Das BVerfG setzt sich in der Begründetheit zunächst mit den staatlichen Schutzpflichten aus Art. 2 Abs. 2 Satz I GG und Art. 14 Abs. I GG auseinander. Es stellt in diesem Zusammenhang fest, dass die aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgende Schutzpflicht des Staates auch den Schutz vor den Gefahren des Klimawandels umfasse. Dies gelte nicht nur für den Fall, dass bereits Verletzungen eingetreten sind, sondern eine Schutzverpflichtung könne auch im Hinblick auf zukünftige Generation bestehen. Das Gericht stellt außerdem fest, dass der globale Charakter des Klimawandels einer Schutzverpflichtung des Staates nicht generell entgegensteht. Die globale Dimension habe lediglich auf den Inhalt der Schutzpflicht eine Auswirkung. Eine Verletzung der staatlichen Schutzpflichten könne zum jetzigen Zeitpunkt allerdings nicht festgestellt werden. Die vom Gesetzgeber getroffenen Maßnahmen seien nicht offensichtlich ungeeignet. Das Gericht betont, dass dem Gesetzgeber bei der Wahl der geeigneten Maßnahmen ein verfassungsgerichtlich nur begrenzt überprüfbarer Gestaltungsspielraum zustehe.
Nach Auffassung des Gerichts bedarf es allerdings keiner Entscheidung, ob grundrechtliche Schutzpflichten den Staat auch gegenüber im Ausland (hier in Bangladesch und Nepal) lebenden Beschwerdeführern verpflichten. Eine Schutzpflicht gegenüber im Ausland lebenden Menschen habe jedenfalls – soweit sie besteht nicht den gleichen Inhalt wie gegenüber Menschen im Inland. Zwar entbinde allein die Tatsache, dass der Klimawandel nur auf internationaler Ebene gemeinsam angehalten werden könne, den deutschen Staat nicht von seinen Schutzpflichten. Allerdings stünden dem deutschen Staat gegenüber im Ausland lebenden Menschen nicht die gleichen Möglichkeiten für Schutzmaßnahmen offen.
Lehnt das BVerfG eine Verletzung der staatlichen Schutzplichten noch ab, begründet es die teilweise Verfassungswidrigkeit des KSG mit einer Verletzung der Freiheitsrechte der Beschwerdeführenden mit dem Argument, der Staat habe keine ausreichenden Vorkehrungen getroffen, zukünftige Emissionsminderungspflichten grundrechtsschonend zu bewältigen. Diese Emissionsminderungspflichten könnten aufgrund der bis 2030 zugelassenen Emissionen sehr hoch ausfallen. Die durch den Gesetzgeber für den Zeitraum bis 2030 zugelassenen Emissionen entfalten eine „eingriffsähnliche Vorwirkung“ auf die verfassungsrechtlich geschützten Freiheiten der Beschwerdeführenden. Die Grundrechte schützten als „intertemporale Freiheitssicherung“ die Beschwerdeführenden auch vor einer einseitigen Verlagerung der sich aus Art. 20a GG ergebenden Treibhausgasminderungslast in die Zukunft.
Zu berücksichtigen sei bei der Frage, inwieweit eine Grundrechtsbeeinträchtigung im Sinne einer Vorwirkung vorliegt, allerdings, dass auch klimaschädliche Maßnahmen und Handlungen grundsätzlich verfassungsrechtlich geschützt sind. Diese unterlägen allerdings den Grenzen aus Art. 20a GG und den staatlichen Schutzpflichten. Dabei betont das Gericht, dass verfassungsrechtlich maßgeblich vor allem das Klimaschutzgebot des Art. 20a GG sei. Das relative Gewicht der Freiheitsbetätigung nehme daher mit dem fortschreitenden Klimawandel und immer intensiveren Umweltbelastungen stetig ab. Vorschriften, die zum jetzigen Zeitpunkt CO2-Emissionen zuließen, begründeten eine unumkehrbar angelegte rechtliche Gefährdung künftiger Freiheit, weil dadurch das Restbudget an CO2 irreversibel verkleinert werde. Zukünftige Eingriffe in die Grundrechte bedürften wegen dieser Irreversibilität bereits heute der verfassungsrechtlichen Rechtfertigung.
Maßstab für diese verfassungsrechtliche Rechtfertigung seien dabei insbesondere die Vereinbarkeit mit Art. 20a GG sowie das Gebot der Verhältnismäßigkeit. Verfassungsrechtlich sei der Gesetzgeber verpflichtet, die notwendige Reduktion von CO2 so zu gestalten, dass die damit verbundenen Freiheitseinbußen zumutbar ausfielen und zukünftige Generationen nicht einseitig belastet würden. Dabei betont das Gericht ausdrücklich, dass in der Zukunft selbst gravierende Grundrechtseinbußen verhältnismäßig und gerechtfertigt sein könnten. Insofern misst es der Generationengerechtigkeit im Bereich des verfassungsrechtlich gebotenen Klimaschutzes eine besondere Bedeutung bei.
Diesen Maßstab zugrunde gelegt, ist die Grundrechtsvorwirkung der Emissionsmengenregelungen in § 3 Abs. 1 Satz 2 und § 4 Abs. 1 Satz 3 KSG in Verbindung mit Anlage 2 nach Auffassung des Gerichts verfassungsrechtlich nicht vollständig zu rechtfertigen. Sie begründeten eine nicht hinreichend eingedämmte Gefahr künftiger Grundrechtsbeeinträchtigungen. Die Schonung künftiger Freiheit verlange einen rechtzeitigen Übergang zur Klimaneutralität.
Darüber hinaus sei es verfassungsrechtlich unerlässlich, dass Reduktionsmaßnahmen rechtzeitig über das Jahr 2030 hinaus und hinreichend weit in die Zukunft festgelegt würden. Das Gericht stellt aber ausdrücklich fest, dass Verrechnungsmöglichkeiten von Jahresemissionsmengen, wie sie in § 4 Abs. 3 KSG vorgesehen sind, nicht ausgeschlossen sind, soweit die Emissionen insgesamt weiter sinken.
Mit dem Beschluss prägt das BVerfG maßgeblich die zukünftige Ausrichtung des Klimaschutzes und verleiht dem Klimaschutzgebot in Art. 20a GG deutlich mehr Gewicht. Das Gericht stellt ausdrücklich die generationenübergreifende Bedeutung des Klimaschutzes fest und bedient sich der bisher unbekannten Figur der „intertemporalen Freiheitssicherung“, also einer Vorwirkung des Grundrechtsschutzes, um der Generationengerechtigkeit hinreichend Rechnung zu tragen. Gerade diese Rechtsfigur sorgt dafür, dass alle Handlungen und Maßnahmen, die mit Treibhausgasemissionen verbunden sind, an diesem Maßstab zu messen sind. Das betrifft nahezu alle Bereiche des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens.
Gleichzeitig stellt das Gericht jedoch auch fest, dass eine Verletzung staatlicher Schutzpflichten zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht feststellbar ist. An dieser Stelle betont das Gericht, dass dem Gesetzgeber bei der Wahl der Maßnahmen grundsätzlich ein gerichtlich nur begrenzt überprüfbarer Gestaltungsspielraum zustehe. Auch stellt das Gericht fest, dass Verrechnungsmöglichkeiten von Emissionsmengen nicht grundsätzlich ausgeschlossen sind, wenn die Emissionen insgesamt weiter sinken. Insoweit lässt das BVerfG die Tür für den Emissionshandel und die Verrechnung von Emissionsmengen offen. Inwieweit dies auch in der Zukunft möglich ist, kann aber nicht sicher prognostiziert werden, da das Gericht ausdrücklich betont, dass in Zukunft aufgrund des verfassungsrechtlich gebotenen Klimaschutzes deutlich strengere Maßnahmen und intensivere Grundrechtseinschränkungen möglich erscheinen.
Außergewöhnlich schnell hat der Gesetzgeber auf das Urteil des BVerfG reagiert. Bereits am 24. Juni 2021, also nur drei Monate nach der Entscheidung, hat der Bundestag die Novelle des KSG verabschiedet und der Bundesrat am 25. Juni 2021 zugestimmt. Mit der Novelle wird das Ziel der Klimaneutralität von 2050 auf 2045 vorgezogen. Auch das Ziel, die Treibhausgasemissionen bis 2030 um 55 Prozent gegenüber 1990 zu senken, ist auf 65 Prozent angehoben worden. Dies ergab sich aber bereits aus verschärften europäischen Klimaschutzzielen. Die neuen Regelungen sehen jetzt auch konkrete Minderungsziele für die Jahre ab 2040 vor und beschreiben den Reduktionspfad daher weitergehend. Über den konkreten Anteil der einzelnen Sektoren soll aber erst zu einem späteren Zeitpunkt entschieden werden.
Das KSG weist aber auch nach der Novelle, trotz verschärfter Klimaziele, keine konkreten Maßnahmen zur Erreichung dieser Ziele auf. Insoweit bleibt offen, wie massiv sich der Klimaschutz in Zukunft auf die einzelnen Bereiche des privaten und des wirtschaftlichen Lebens auswirken wird.
Quelle: Köhler & Klett Rechtsanwälte
Das dazu gehörige Fachseminar ist in der Seminarwelt des IWU Magdeburg auffindbar.