Anwendung des bauplanungsrechtlichen Fachplanungsprivilegs im immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahren

Das vom Bayerischen Verwaltungsgericht (BayVGH) mit Beschluss vom 04.09.2013 – 22 AS 13.40052 – entschiedene einstweilige Rechtsschutzverfahren war auf die Anordnung des Sofortvollzugs einer der Antragsstellerin erteilten immissionsschutzrechtlichen Genehmigung gerichtet. Diese betraf eine Anlage zur zeitweiligen Lagerung von gefährlichen und nicht gefährlichen Abfällen, zur Lagerung von Eisen- und Nichteisenschrotten einschließlich Autowracks und zur Behandlung von nicht gefährlichen Abfällen (Nrn. 8.9 Spalte 2 Buchstabe b), 8.11 Spalte 2 Buchstabe b) bb) und 8.12. Spalte 2 Buchstaben a) und b) im Anhang zur 4. BImSchV in der Fassung vom 14.03.1997). Die von der beigeladenen Stadt geltend gemachten Bedenken gegen die bauplanungsrechtliche Gebietsverträglichkeit der Anlage waren bei der Genehmigungserteilung von dem Landratsamt nicht in die Abwägung eingestellt worden. Deswegen hatte der Antrag auf Anordnung des Sofortvollzugs keinen Erfolg.

Die Antragstellerin erhielt unter dem 20.12.2012 von dem Landratsamt die immissionsschutzrechtliche Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb der Abfallentsorgungsanlage. Dabei ging das Landratsamt davon aus, dass die Beigeladene ihr gemeindliches Einvernehmen nach § 36 BauGB erteilt habe und gewährte daraufhin der Antragstellerin gemäß § 31 Abs. 2 BauGB verschiedene erforderliche Befreiungen von den Festsetzungen des maßgeblichen Bebauungsplans.

Die Beigeladene hat daraufhin Klage gegen die der Antragstellerin erteilte Genehmigung erhoben, über die im Zeitpunkt der gerichtlichen Eilentscheidung des BayVGH noch nicht entschieden war. Mit der Klage hat die beigeladene Stadt geltend gemacht, das Landratsamt habe sich darüber hinweggesetzt, dass sie ihr Einvernehmen verweigert habe bzw. dieses nur mit im Bescheid vom 20.12.2012 unzureichend berücksichtigten Maßgaben erteilt habe. Die Klage hatte aufschiebende Wirkung, so dass die Antragstellerin von der ihr erteilten Genehmigung keinen Gebrauch machen konnte. Die Antragstellerin hatte beim Landratsamt vergeblich die Anordnung der sofortigen Vollziehung der ihr erteilten Genehmigung beantragt, sodass sich der BayVGH mit dem Antrag auf sofortige Vollziehung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren zu befassen hatte.

Der Antrag erforderte eine Interessenabwägung des Gerichts. Dabei waren die gleichrangigen Rechtspositionen der Antragstellerin als privatem Unternehmen einerseits und der durch Art. 28 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz geschützten Gemeinde andererseits zu berücksichtigen.

Dem Gericht erschien dabei zweifelhaft, ob die in die Abwägungsentscheidung des Landratsamts einzustellenden städtebaulichen Belange der beigeladenen Stadt hinreichend berücksichtigt worden waren.

Dazu ging der BayVGH von der Geltung des Fachplanungsprivilegs in § 38 Satz 1 Alternative 2 BauGB aus, so dass sich die Gemeinde nicht auf §§ 31, 36 BauGB berufen könne. Denn bei der Anlage der Antragstellerin handele es sich um eine öffentlich zugängliche Beseitigungsanlage im Sinne des § 38 Satz 1 Alternative 2 BauGB. Damit entfiele das verfahrensrechtliche Erfordernis des Einvernehmens. Zwar sei die beigeladene Stadt formell beteiligt worden, nicht jedoch unter dem rechtlichen Gesichtspunkt des § 38 Satz 1 BauGB, sondern deswegen, weil das Landratsamt fälschlicherweise das Einvernehmen der Gemeinde für notwendig erachtet hatte. Dieser Umstand habe auch bei der gebundenen Entscheidung für die immissionsschutzrechtliche Genehmigung Bedeutung, weil infolge der Ausdehnung des Fachplanungsprivilegs in § 38 Satz 1 BauGB auf das immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren dieses um ein planerisches Element angereichert werde, so dass in einem Teilbereich eine Abwägung stattzufinden habe.

Der von der beigeladenen Stadt geltend gemachte Einwand, die streitgegenständliche Anlage diene auch der Lagerung gefährlicher Abfälle und sei deswegen grundsätzlich in einem Gewerbegebiet unzulässig, richtiger Standort sei vielmehr in einem Industriegebiet, könne auf eine nachhaltige Störung der kommunalen Planung hindeuten. Er stelle damit einen berücksichtigungsbedürftigen städtebaulichen Belang dar. Denn ein immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftiger Lagerplatz auch für gefährliche Abfälle sei bei typisierender Betrachtung in einem Gewerbegebiet wohl nicht gebietsverträglich.

Die erforderliche Abwägung sei vom Landratsamt nicht vorgenommen worden. Die Erwägungen des Landratsamts, die in den Nebenbestimmungen zur immissionsschutzrechtlichen Genehmigung aufgenommen worden seien und im Übrigen zeigten, dass es sich mit den Bedenken der Beigeladenen auseinandergesetzt habe, könnten nicht die notwendige Abwägung ersetzen. Dies gelte schon deshalb, weil das Landratsamt zu Unrecht von der Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens ausgegangen sei.

Anzumerken bleibt zur Entscheidung des BayVGH allerdings, dass die streitgegenständliche Anlage nach dem Anlagentyp der 4. BImSchV nicht als „Abfallbeseitigungsanlage“ im Sinne von § 38 Satz 1 Alternative 2 BauGB, sondern als Abfallverwertungsanlage einzuordnen sein dürfte. Damit kommt ihr auch bei öffentlicher Zugänglichkeit das Fachplanungsprivileg nicht zu. Mithin war die beigeladene Stadt nicht gehindert, das verweigerte Einvernehmen geltend zu machen. Ob unter den konkreten Bedingungen des Einzelfalls von einer „Atypik“ und damit der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit bei der Beurteilung der Gebietsverträglichkeit der streitgegenständlichen Anlage in einem Gewerbegebiet ausgegangen werden kann, bleibt der Entscheidung im Hauptsacheverfahren vorbehalten.

Quelle: Köhler & Klett Rechtsanwälte

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