Anspruch auf Informationen zur Innenraumluft?

Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Lüneburg hat in einem Beschluss vom 06.07.2020 – 2 ME 246/20 – entschieden, dass die Innenraumluft keine „Luft“ und mithin keinen Umweltbestandteil im Sinne des Umweltinformationsrechts darstellt. Damit ist das OVG Lüneburg ausdrücklich von der gegenteiligen Rechtsansicht des OVG Berlin-Brandenburg in dessen Beschluss vom 09.02.2015 – OVG 12 M 11/14 – abgewichen. Der Umweltbezug einer Maßnahme im Sinne von § 2 Abs. 3 Nr. 3 b des Umweltinformationsgesetzes des Bundes (UIG) muss nach der Erkenntnis des OVG Lüneburg eine gewisse Intensität erreichen; eine einfache „beiläufige“ Berührung von Umweltgütern reicht hiernach nicht aus. Unter dem Begriff der Umweltinformation über Emissionen im Sinne von § 2 Abs. 3 Nr. 2 UIG ist – so das OVG Lüneburg – ausschließlich eine Information darüber zu verstehen, welche Stoffe in welcher Menge eine Anlage verlassen und in die Umwelt freigesetzt werden. Informationen über Vorgänge innerhalb einer Anlage fallen nicht hierunter und sind somit nicht Gegenstand eines Umweltinformationsanspruchs.

Dem Beschluss des OVG Lüneburg vom 06.07.2020 liegt ein Streitfall zugrunde, der durch die Corona-Pandemie ausgelöst worden war. In einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes hatte der Antragsteller, ein Journalist, beantragt, dem Justizministerium eines Bundeslandes im Wege einer einstweiligen Anordnung aufzugeben, dem Antragsteller die Erlasse des Ministeriums zum Umgang der Justiz mit der Corona-Pandemie zugänglich zu machen. Das Justizministerium hatte zuvor ein entsprechendes Begehren des Antragstellers durch Bescheid abgelehnt und dies damit begründet, dass es sich um innerdienstliche Vorgänge handle, die weder dem Umwelt- noch dem Verbraucherinformationsrecht unterlägen. Gegen den ablehnenden Bescheid hatte der Antragteller Widerspruch eingelegt, über den im Zeitpunkt des OVG-Beschlusses noch nicht entschieden war.

Das erstinstanzliche Verwaltungsgericht (VG) hatte dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung stattgegeben und dem Justizministerium des Landes aufgegeben, dem Antragsteller die ministeriellen Erlasse zum Umgang der Justiz mit der Corona-Pandemie zugänglich zu machen. Zur Begründung hatte das VG dem Antragsteller sowohl einen in der Eilbedürftigkeit der Sache liegenden Anordnungsgrund als auch einen Anordnungsanspruch zugesprochen. Bei den streitgegenständlichen Erlassen handle es sich um Umweltinformationen im Sinne des Umweltinformationsrechts; Ablehnungsgründe seien nicht ersichtlich.

Gegen den Beschluss des VG erhob das Justizministerium des betroffenen Landes Beschwerde gem. § 146 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Das OVG Lüneburg hat die Beschwerde in dem Beschluss vom 06.07.2020 – 2 ME 246/20 – für zulässig und begründet erachtet. Dabei ist das OVG – ebenso wie das erstinstanzliche VG – davon ausgegangen, dass die Zugänglichmachung von Umweltinformationen im Sinne des UIG im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gem. § 123 Abs. 1 VwGO zu einer Vorwegnahme der Hauptsache führt, sodass ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg auch in der Hauptsache, also für das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs, bestehen muss. Nach der Erkenntnis des OVG fehlte es an dieser Voraussetzung: Dem Antragsteller stehe ein Anspruch auf Zugänglichmachung der streitgegenständlichen Erlasse auf der Grundlage des Umweltinformationsrechts wie auch auf einer anderen Rechtsgrundlage nicht zu.

Nach dem Umweltinformationsrecht (§ 3 Abs. 1 UIG wie auch § 3 Satz 1 Niedersächsisches UIG – NdsUIG) hat jede Person – vorbehaltlich der gesetzlich geregelten Ausnahmetatbestände zum Schutz öffentlicher und sonstiger Belange – einen Anspruch auf Zugang zu Umweltinformationen, über die eine informationspflichtige Stelle verfügt. Der Begriff der Umweltinformationen ist gesetzlich abschließend definiert (§ 2 Abs. 3 UIG, § 2 Abs. 5 NdsUIG). Nach den Entscheidungsgründen des OVG Lüneburg stellen die ministeriellen Erlasse zum Umgang der Justiz mit der Corona-Pandemie keine solchen Umweltinformationen dar, weil es bereits an dem erforderlichen Bezug der Erlasse zu einem Umweltbestandteil im Sinne des § 2 Abs. 3 Nr. 1 UIG fehlt (OVG Lüneburg, Beschluss vom 06.07.2020 – 2 ME 246/20, Rn. 8 ff.).

Umweltbestandteile im Sinne von § 2 Abs. 3 Nr. 1 UIG sind alle Umweltgüter wie Luft und Atmosphäre, Wasser, Boden, Landschaft und natürliche Lebensräume einschließlich Feuchtgebiete, Küsten- und Meeresgebiete, die Artenvielfalt und ihre Bestandteile, einschließlich gentechnisch veränderter Organismen, sowie die Wechselwirkungen zwischen diesen Bestandteilen. Dabei ist von einem weiten, durch die europäische Umweltinformationsrichtlinie (UIRL 2003/4/EG, ABl. L 041 vom 14.02.2003, S. 26) vorgegebenen Begriffsverständnis auszugehen (OVG Lüneburg, Beschluss vom 06.07.2020 – 2 ME 246/20, Rn. 9; auch BVerwG, Urteil vom 30.01.2020 – 10 C 11.19, Rn.22).

Die im entschiedenen Fall streitgegenständlichen Erlasse zum Umgang der Justiz mit der Corona-Pandemie betreffen jedoch die Luft in den Gebäuden der niedersächsischen Justiz, also die Innenraumluft. Diese stellt nach der Erkenntnis des OVG Lüneburg keine „Luft“ im Sinne von § 2 Abs. 3 Nr. 1 UIG und damit keinen Umweltbestandteil dar. Das gesetzlich verwendete Begriffspaar „Luft und Atmosphäre“ erfasst lediglich die gesamte Lufthülle der Erde mit ihrem Gasgemisch in vertikaler Ausdehnung. Dazu gehören die Troposphäre (Wetterschicht mit Wind, Temperatur und Niederschlag) und die Stratosphäre (mit der Ozonschicht). Entscheidend ist hiernach, dass die Luft Bestandteil der Umwelt im Sinne der umweltrechtlichen Bestimmungen des nationalen, europäischen und internationalen Rechts sein muss. Daran fehlt es – so das OVG Lüneburg – bei der in einem Innenraum gebundenen Luft, weil diese den umbauten menschlichen Nahbereich noch nicht verlassen hat und deshalb noch nicht Bestandteil der gesetzlich definierten Umwelt geworden ist (OVG Lüneburg, Beschluss vom 06.07.2020 – 2 ME 246/20, Rn. 10).

Das OVG Lüneburg sieht das umweltrechtliche Verständnis des Begriffs der Luft in Art. 2 Nr. 1 der europäischen Richtlinie 2008/50/EG vom 21.05.2008 über Luftqualität und saubere Luft für Europa (ABl. L 152 vom 11.06.2008, S. 1, geändert durch die Richtlinie 2015/1480/EU vom 28.08.2015, ABl. L 226, S. 4) begründet. Luft ist danach die Außenluft in der Troposphäre mit Ausnahme von Arbeitsstätten im Sinne der Richtlinie 89/654/EG, an denen Bestimmungen für Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz gelten und zu denen die Öffentlichkeit normalerweise keinen Zugang hat. Die Innenraumluft ist hiervon umfassend ausgeschlossen (OVG Lüneburg, Beschluss vom 06.07.2020 – 2 ME 246/20, Rn. 11).

Gleiches gilt nach der Erkenntnis des OVG Lüneburg im nationalen Rahmen aufgrund des Bundes-Immissionsschutzgesetzes (BImSchG), das dem Schutz der Atmosphäre dient und deshalb Luftverunreinigungen vermeiden will (§ 3 Abs. 3 und 4 BImSchG). Davon sind nur Luftverunreinigungen erfasst, die den Innenbereich einer Anlage verlassen haben. Die Innenraumluft wird insbesondere vom Arbeitsstättenrecht, nicht aber vom Immissionsschutzrecht erfasst (OVG Lüneburg, Beschluss vom 06.07.2020 – 2 ME 256/20, Rn. 11 mit Nachweisen zur Kommentarliteratur).

Tragfähige Anhaltspunkte für die gegenteilige Auffassung, dass dem Begriff der Luft im Sinne von Art. 2 Nr. 1 Buchst. a UIRL oder § 2 Abs. 3 Nr. 1 UIG ein über das dargelegte umweltrechtliche Begriffsverständnis hinausgehender Inhalt beigemessen werden könne, vermag das OVG Lüneburg nicht zu erkennen. Vielmehr sieht es sowohl in den Erwägungsgründen der europäischen UIRL als auch in dem völkervertragsrechtlichen Übereinkommen über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten vom 25.06.1998 (Aarhus-Konvention) das umweltrechtliche Verständnis des Begriffes „Luft“ bestätigt. Im Handbuch zur Umsetzung der Aarhus-Konvention ist zwar ausgeführt, die Konvention lade die Vertragsstaaten ein, dem Begriff der Luft ein weiteres, auch die Innenraum- und Arbeitsraumluft einschließendes Verständnis zugrunde zu legen (UNECE, The Aarhus Convention, An Implementation Guide, 2nd Edition 2014, 51; darauf abstellend: OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 09.02.2015 – OVG 12 N 11/14, Rn. 6). Das OVG Lüneburg weist demgegenüber jedoch zu Recht darauf hin, dass weder der europäische noch der deutsche Normgeber diese „Einladung“ angenommen hat. Vielmehr haben der europäische und der deutsche Normgeber den Begriff der Luft in seinem üblichen umweltschutzbezogenen Verständnis zugrunde gelegt. Damit haben sie die völkervertragsrechtliche Möglichkeit einer Erweiterung auf die Innenraumluft nicht realisiert (OVG Lüneburg, Beschluss vom 06.07.2020 – 2 ME 246/20, Rn. 12).

Selbst wenn man der abweichenden Ansicht des erstinstanzlichen VG sowie des OVG Berlin-Brandenburg folgen und die Innenraumluft als Umweltbestandteil im Sinne von § 2 Abs. 3 Nr. 1 UIG ansehen wollte, ist nach der Erkenntnis des OVG Lüneburg der geltend gemachte Informationsanspruch hinsichtlich der ministeriellen Erlasse zum Umgang der Justiz mit der Corona-Pandemie zu verneinen. Denn auch die weiteren Voraussetzungen des § 2 Abs. 3 Nrn. 1-3 und 6 UIG seien nicht erfüllt (OVG Lüneburg, Beschluss vom 06.07.2020 – 2 NE 246/20, Rn. 13 ff.). So enthielten die streitgegenständlichen Erlasse keine Daten gemäß § 2 Abs. 3 Nr. 1 UIG, welche die gegenwärtige oder vergangene Beschaffenheit von Umweltbestandteilen beschreiben oder bewerten. Des Weiteren wirkten die Erlasse sich nicht (wahrscheinlich) auf Umweltbestandteile im Sinne von § 2 Abs. 3 Nr. 1 UIG aus. Die Erlasse bezweckten auch nicht, wie in § 2 Abs. 3 Nr. 3 b UIG vorausgesetzt, den Schutz von Umweltbestandteilen. Zwar zielten die Erlasse darauf ab, eine Verbreitung von Viren von Mensch zu Mensch durch die Luft zu verhindern. Diese Zielsetzung macht die Erlasse jedoch – so das OVG Lüneburg – nicht zu Maßnahmen, die – und sei es nur mittelbar – den Schutz von Umweltbestandteilen bezwecken. Der Umweltbezug müsse vielmehr eine gewisse Intensität erreichen; eine einfache Berührung genüge nicht. Zum Ziel des Schutzes von Umweltgütern wiesen die Erlasse nur einen entfernten „beiläufigen“ Zusammenhang auf. Dieser rechtfertige es nicht, die Erlasse als umweltschützende Maßnahmen zu betrachten (OVG Lüneburg, Beschluss vom 06.07.2020 – 2 ME 246/0, Rn. 19).

Ebenso erfüllen die Erlasse – so das OVG Lüneburg – nicht die Voraussetzungen des § 2 Abs. 3 Nr. 2 UIG, da sie keine Daten über Emissionen von Stoffen in die Umwelt enthalten, die sich auf Umweltbestandteile nachweislich oder wahrscheinlich auswirken. Insbesondere geht es in dem entschiedenen Fall nicht um Daten über die Freisetzung des Corona-Virus in die Außenumgebung (OVG Lüneburg, Beschluss vom 06.07.2020 – 2 ME 246/20, Rn. 20 f.). Gleiches gilt für die ebenfalls nicht erfüllten Merkmale des § 2 Abs. 3 Nr. 6 UIG. Vorausgesetzt werden hiernach Daten über den Zustand der menschlichen Gesundheit und Sicherheit sowie die Lebensbedingungen des Menschen, soweit sie jeweils vom Zustand der gesetzlich definierten Umweltbestandteile oder von Faktoren, Maßnahmen oder Tätigkeiten im Sinne des § 2 Abs. 3 Nrn. 2 und 3 UIG betroffen sind oder sein können. Im Fall der streitgegenständlichen Erlasse geht es nicht um „Daten“ zur Belastung der Arbeitsplätze in den Gerichtsgebäuden und damit nicht um solche der Lebens- und Arbeitsbedingungen (OVG Lüneburg, Beschluss vom 06.07.2020 – 2 ME 246/20, Rn. 21).

Schließlich lässt sich nach der Erkenntnis des OVG Lüneburg der geltend gemachte Informationsanspruch auch nicht aus anderen Rechtsgrundlagen herleiten. Insbesondere ist das Verbraucherinformationsgesetz (VIG) nicht einschlägig, weil es im Fall der streitgegenständlichen Erlasse nicht um Daten über Erzeugnisse und Verbraucherprodukte im Sinne des § 1 VIG geht (OVG Lüneburg, Beschluss vom 06.07.2020 – 2 ME 246/20, Rn. 23).

Resümee

Die gerichtliche Erkenntnis, dass ein Anspruch auf Informationen zur Innenraumluft nicht besteht und insbesondere nicht auf das Umweltinformationsrecht gestützt werden kann, ist nicht nur für den entschiedenen, auf die Corona-Pandemie zurückgehenden Streitfall, sondern für die gesamte Rechtspraxis des Immissionsschutzes bedeutsam. Die Begründung des OVG Lüneburg für die Ablehnung eines solchen Informationsanspruchs überzeugt. Gleichwohl wäre es zu begrüßen, wenn die Frage nach einem Informationsanspruch zur Innenraumluft auf einem geeigneten prozessualen Weg einer abschließenden Klärung durch das Bundesverwaltungsgericht zugeführt werden könnte.

Quelle: Köhler & Klett Rechtsanwälte

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