Zur Umsetzung der EG-Luftqualitätsrichtlinie 2008/50/EG

vom 21.05.2008 in das deutsche Bundes-Immissionsschutzrecht

Nach der Zusammenfassung und Fortschreibung der Luftqualitätsrichtlinien der EG in der Richtlinie 2008/50/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21.05.2008 über Luftqualität und saubere Luft für Europa soll nunmehr deren Umsetzung durch eine Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes und durch eine neue Verordnung über Luftqualitätsstandards und Emissionshöchstmengen – 39. BImSchV – erfolgen. Neben dem anlagenbezogenen Immissionsschutzrecht, kommt diesem Gesetzgebungsvorhaben zum flächenbezogenen Immissionsschutzrecht als zweiter Säule unseres Immissionsschutzrechts große inhaltliche Bedeutung zu. Über den Inhalt des Gesetzgebungsvorhabens wird angesichts der Verpflichtungen der Behörden zu Umsetzungsaktivitäten in der Praxis berichtet.

Rechtsentwicklung

Das deutsche Immissionsschutzrecht beruht, soweit es nicht anlagenbezogen geregelt ist, auf dem EG-Luftqualitätsrecht. Dieses hat die Europäische Gemeinschaft in Umsetzung ihres 6. Umweltaktionsprogramms von 2002 durch die Richtlinie über die Beurteilung und Kontrolle der Luftqualität 96/62/EG (sogenannte Rahmenrichtlinie) und vier Einzelrichtlinien über Grenzwerte zu Luftschadstoffen (sogenannte Tochterrichtlinien) sowie die Entscheidung 97/101/EG des Rates vom 27.01.1997 zur Schaffung eines Austausches von Informationen und Daten aus Netzen und Einzelstationen zur Messung der Luftverschmutzung in den Mitgliedstaaten zu einem übergreifenden, auch den Verkehrsbereich einbeziehenden Immissionsschutzrecht entwickelt. In ihm werden zur Sicherstellung einer bestimmten Qualität die europaweiten Luftimmissionswerte unabhängig davon festgesetzt, welche Quellen diese Qualitätsziele gefährden oder beeinträchtigen. Die Rahmenrichtlinie 96/62 von 1996 regelt die umfassende Steuerung und Bekämpfung der Luftverschmutzungen und enthält Regelungen, wie die in den Tochterrichtlinien enthaltenen Grenzwerte und sonstigen Immissionswerte anzuwenden und durchzusetzen sind. Die sogenannten Tochterrichtlinien legen hierzu die Immissionswerte, wie Immissionsgrenzwerte, Alarmschwellen und Zielwerte für die einzelnen Schadstoffe Schwefeldioxid, Stickoxid, Stickstoffoxide, Partikel und Blei (Richtlinie 1999/30), für Benzol und Kohlenmonoxid (Richtlinie 2000/69) und für Ozon (Richtlinie 2002/3) fest. Zu den in der Richtlinie 2004/107/EG vom 15.12.2004 geregelten Stoffen Arsen, Cadmium, Quecksilber und Nickel und zyklische aromatische Kohlenwasserstoffe in der Luft sollen vor ihrer Verbindlichwerdung noch ausreichende Erfahrungen mit der Anwendung dieser Richtlinie gewonnen werden, bevor weitere Vorgaben zur Umsetzung erfolgen. Die Bundesrepublik Deutschland hat diese EG-Richtlinien mit der 22. BImSchV, neugefasst durch die Bekanntmachung vom 04.06.2007, durch das 7. Gesetz zur Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes vom 11.09.2002 und unterstützend durch die TA Luft 2002 umgesetzt. Dieses Luftqualitätsrecht wird nunmehr fortgeschrieben: In Anpassung an die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse und Entwicklungen im Bereich Gesundheit und an die Erfahrungen der Mitgliedstaaten hat die EG ihr vorgegebenes unübersichtliches Luftqualitätsrecht in einer einzigen Richtlinie, der Richtlinie 2008/50/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 01.05.2008 über die Luftqualität und saubere Luft in Europa (Amtsblatt EU vom 11.06.2008 Nr. L 152/1) zusammengefasst. Diese Richtlinie soll von den Mitgliedstaaten bis zum 11.06.2010 umgesetzt werden. Die Bundesregierung beabsichtigt die Umsetzung dieser Richtlinie durch ein Achtes Änderungsgesetz zum Bundes-Immissionsschutzgesetz und durch eine neue Verordnung über Luftqualitätsstandards und Emissionshöchstmengen – 39. BImSchV. Diese löst mit ihrem Inkrafttreten die geltende 22. und 33. BImSchV ab. Die Gesetzesentwürfe des zuständigen Bundesumweltministeriums (Stand 05.05.2009) sind zwischenzeitlich den beteiligten Kreisen zur schriftlichen Anhörung übersandt worden. In ihnen wird eine 1:1 Umsetzung verfolgt.

Inhalt der Regelungen

Die Regelungen der Richtlinie 2008/50/EG und der künftigen 39. BImSchV lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Immissionswerte

Unter den Oberbegriff „Immissionswerte“ fallen Immissionsgrenzwerte, Alarmschwellen, Zielwerte und kritische Werte.

Immissionsgrenzwerte

Ein Immissionsgrenzwert ist „ein Wert, der aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse mit dem Ziel festgelegt wird, schädliche Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und/ oder die Umwelt insgesamt zu vermeiden, zu verhüten oder zu verringern, und der innerhalb eines bestimmten Zeitraumes eingehalten werden muss und danach nicht überschritten werden darf.“ Es handelt sich dabei um einen verbindlichen Luftqualitätsstandard. Die Immissionsgrenzwerte für Schwefeldioxid, Kohlenmonoxid, Blei und PM10 sind seit dem 01.01.2005 einzuhalten, diejenigen für Stickstoffdioxid und Benzol sind ab 01.01.2010 verbindlich. Die zulässigen Stunden-, Tages- bzw. Jahresmittelwerte sind im Anhang XI Teil B der Richtlinie 2008/50/EG festgelegt. Mit Ausnahme des Tagesmittelwertes für Schwefeldioxid werden den Immissionsgrenzwerten der Anlage XI Teil B der EG-Richtlinie (entsprechend Anlage 11 Teil B des Verordnungsentwurfs) Toleranzmargen zugestanden. Bei diesen handelt es sich um in jährlichen Stufen abnehmbare Werte, um die der Immissionsgrenzwert innerhalb der gesetzlich zugelassenen Übergangsfristen überschritten werden darf, ohne die Erstellung von Luftreinhalteplänen zu bedingen (vgl. § 1 Ziffer 5 der bisherigen 22. BImSchV). Werden innerhalb der zugelassenen Umsetzungsfrist die Immissionsgrenzwerte zzgl. der Toleranzmargen überschritten, bedingt dies die Aufstellung von Luftreinhalteplänen.

Alarmschwellen

Eine „Alarmschwelle“ ist „ein Wert, bei dessen Überschreitung bei kurzfristiger Exposition ein Risiko für die Gesundheit der Bevölkerung insgesamt besteht und bei dem die Mitgliedstaaten unverzüglich Maßnahmen ergreifen müssen“ (vgl. Art. 2 Nr. 10 Richtlinie 2008/50/EG). Alarmschwellen sind für Schwefeldioxid mit 500 µg/m³, für Stickstoffdioxid für 400 µg/m³ als Stundenmittelwert und für bodennahes Ozon mit 240 µg/m³ als Stundenmittelwert vorgegeben (vgl. Anhang XII EG-Richtlinie 2008/50/EG). Für andere Stoffe als Ozon sind die Werte drei aufeinander folgender Stunden an Orten zu messen, die für die Luftqualität in einem Bereich von mindestens 100 km² oder im gesamten Gebiet oder Ballungsraum repräsentativ sind. Ergeben die Messungen, dass die Alarmschwellen für Schwefeldioxid oder Stickstoffdioxid in einem bestimmten Gebiet oder Ballungsraum überschritten werden, sind von den Länderbehörden Pläne für kurzfristige Maßnahmen aufzustellen, die die Gefahr der Überschreitung verringern oder deren Dauer beschränken. Wird durch Messungen oder Abschätzungen eine Überschreitung des Alarmschwellenwertes für Ozon für die Dauer von drei aufeinander folgenden Stunden ermittelt, sind von der Länderbehörde Pläne für kurzfristige Maßnahmen jedoch nur dann zu erstellen, wenn diese der Ansicht sind, dass unter Berücksichtigung der gegebenen geographischen, meteorologischen und wirtschaftlichen Bedingungen ein wesentliches Minderungspotenzial in Bezug auf die Überschreitung besteht (vgl. Art. 24 Abs. 1 Richtlinie 2008/50/EG).

Zielwerte

Ein Zielwert ist „ein Wert, der mit dem Ziel festgelegt wird, schädliche Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit und/oder auf die Umwelt insgesamt zu vermeiden, zu verhindern oder zu verringern, und der soweit wie möglich in einem bestimmten Zeitraum eingehalten werden muss“. Zielwerte sind für PM 2,5 mit einem Jahresmittelwert von 25 µg/m³ am 01.01.2010 und im Ozonbereich mit einem höchstens 8-Stunden-Mittelwert pro Tag von 120 µg/m³, der an höchstens 25 Tagen im Kalenderjahr überschritten werden darf, gemittelt über 3 Jahre, und am 01.01.2010 erreicht werden soll, festgelegt. Der Zielwert für PM 2,5 ist soweit wie möglich ab 01.01.2010 einzuhalten, sofern hierdurch keine unverhältnismäßigen Kosten entstehen (Art. 16 Richtlinie 2008/50/ EG). Bei Gefahr der Überschreitung der Zielwerte in den bestimmten Gebieten und Ballungsräumen zu den vorgegebenen Fristen haben die Länder Luftqualitätspläne aufzustellen. Sie können außerdem Pläne für kurzfristige Maßnahmen erstellen, um die Einhaltung der Zielwerte zu erreichen (siehe hierzu nachstehend).

„Kritische Werte“

Zum Schutze der natürlichen Ökosysteme sind „kritische Werte“ festgelegt worden. Ein „kritischer Wert ist ein aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse festgelegter Wert, dessen Überschreitung unmittelbar schädliche Auswirkungen für manche Rezeptoren wie Bäume, sonstige Pflanzen oder natürliche Ökosysteme, aber nicht für den Menschen haben kann“.

Regelungen zur Beurteilung und Kontrolle der Luftqualität

Die einzuhaltenden Immissionswerte bilden mit den anzuwendenden Beurteilungsverfahren eine Einheit. Ob ein in der Richtlinie 2008/50/EG festgelegter Immissionswert als „streng“ oder „mild“ zu bewerten ist, hängt von dem vorgeschriebenen oder zugelassenen Beurteilungsverfahren ab.

Festlegung von Gebieten und Ballungsräumen

Für die Beurteilung der Luftqualität und deren Kontrolle haben die Länderbehörden Gebiete und Ballungsräume festzulegen. „Gebiete“ sind hierzu festgelegte Teile der Fläche eines Landes, „Ballungsräume“ städtische Gebiete mit mindestens 250.000 Einwohnern oder Gebiete mit einer Einwohnerdichte von 1.000 Einwohnern oder mehr je km² und die mindestens eine Fläche von 100 km² aufweisen.

Beurteilungsverfahren:

Die Beurteilungsverfahren zur Ermittlung und Bewertung der Luftqualität bestehen in Messungen, Berechnungen, Vorhersagen oder Schätzungen. Festlegungen von oberen und unteren Beurteilungsschwellen steuern die Anwendbarkeit der Beurteilungsverfahren:

  • Liegen die bei der durchzuführenden Ausgangsbeurteilung festgestellten Werte in den festgelegten Gebieten und Ballungsräumen über den bestimmten oberen Beurteilungsschwellen für die einzelnen Schadstoffparameter, werden nur ortsfeste Messungen zugelassen. Darüber hinaus können Modellrechnungen und orientierende Messungen durchgeführt werden, um Informationen über die räumliche Verteilung der Luftqualität zu gewinnen.
  • Liegen die im Ausgangsverfahren erhobenen Werte unterhalb der festgelegten Beurteilungsschwellen, brauchen nur Modellrechnungen und objektive Schätzungen durchgeführt werden. Damit werden die geringsten Anforderungen an das anzuwendende Beurteilungsverfahren gestellt.
  • Liegen die im Ausgangsverfahren festgestellten Werte zwischen den festgelegten oberen und unteren Beurteilungsschwellen, ist die Anwendung einer Kombination von Messungen und Modellrechnungen zulässig. In der Richtlinie 2008/50/EG, Anhang III A2 wird nunmehr klargestellt, dass die zur Einhaltung der zum Schutze der menschlichen Gesundheit festgelegten Immissionsgrenzwerte nicht an Orten innerhalb von Bereichen, zu denen die Öffentlichkeit keinen Zugang hat und in denen es keine festen Wohnunterkünfte gibt, nicht auf Industriegelände oder in industriellen Anlagen, für die Bestimmungen über die Gesundheit und Sicherheit am Arbeitsplatz gelten, und nicht auf Fahrbahnen und von Fußgängern nicht begehbaren Mittelstreifen der Straßen zu beurteilen sind.

Probenahmestellen für Messungen

Neben den Beurteilungskriterien und zugelassenen Messmethoden ist die Lage der Probenahmestellen für die Beurteilung der Luftqualität von entscheidender Bedeutung. Grundsätzlich sind die Immissionswerte flächendeckend einzuhalten. Abgesehen von den nicht zu berücksichtigenden kleinräumigen Belastungen sind die Grenzwerte zum Schutz der menschlichen Gesundheit überall einzuhalten, wo sich Menschen zu Wohnzwecken dauerhaft aufhalten. Deshalb sind die Probenahmestellen in den Bereichen einzurichten, in denen die höchsten Konzentrationen auftreten oder die für die Exposition der Bevölkerung repräsentativ sind. Die Anzahl der Probenahmestellen in den festgelegten Gebieten und Ballungsräumen wird davon abhängig gemacht, ob die ortsfesten Messungen für jeden relevanten Schadstoff die einzige Informationsquelle für die Beurteilung der Luftqualität ist oder ob die Informationen aus den Messstellen durch Modellrechnungen und/oder orientierenden Messungen ergänzt werden können. Im Einzelnen wird zwischen den Probenahmestellen, Referenzmethoden und Beurteilungskriterien für die Beurteilung der zum Schutz der menschlichen Gesundheit zu bestimmenden Luftschadstoffe, von Ozonwerten und für Arsen, Kadmium, Nickel, Benzoapyren und Quecksilber, die in Abweichung vom Regelungskonzept der Richtlinie 2008/50/EG bereits in der 39. BImSchV entsprechend der Regelung in der bisherigen 22. BImSchV erfasst werden sollen, unterschieden.

Quelle: Köhler & Klett Rechtsanwälte