Präklusionsregelung des § 10 Abs. 3 Satz 5 BImSchG unionsrechtswidrig

Im deutschen Umweltrecht gibt es eine Vielzahl sogenannter Präklusionsregelungen. Danach können Einwendungen, die nicht fristgerecht im Verfahren zur behördlichen Zulassung bestimmter umweltrelevanter Vorhaben vorgebracht wurden, nicht mehr in einem anschließenden verwaltungsgerichtlichen Verfahren geltend gemacht werden, mit welchem die Zulassungsentscheidung angegriffen wird. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in einem Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland die Präklusionsregelungen des § 2 Abs. 3 Umweltrechtsbehelfsgesetz (UmwRG) sowie des § 73 Abs. 4 Verwaltungsverfahrensgesetz (VwVfG) für unionsrechtswidrig erklärt (EuGH, Urteil vom 15.10.2015 – C-137/14).

 

Das Oberverwaltungsgericht Münster (OVG NRW) hat mit Beschluss vom 31.03.2016 – 8 B 1341/15 unter Berufung auf das Urteil des EuGH vom 15.10.2015 entschieden, dass auch die Präklusionsregelung des § 10 Abs. 3 Satz 5 BImSchG unionsrechtswidrig und nicht mehr anzuwenden ist, soweit es um die Zulassung von Vorhaben geht, die in den Anwendungsbereich der Industrieemissions-Richtlinie oder der UVP-Richtlinie fallen.

 

Gegenstand der Entscheidung des OVG NRW im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes war eine immissionsschutz-rechtliche Genehmigung zur Errichtung und zum Betrieb einer Anlage zur Aufzucht und Haltung von Mastschweinen. Die Beigeladene im gerichtlichen Verfahren – Nachbarin der genehmigten Anlage – hatte die Genehmigung vor dem Verwaltungsgericht angegriffen, weil mit dem genehmigten Vorhaben unzulässige Geruchsimmissionen und Gesundheitsgefahren durch Bioaerosole für sie verbunden seien.

 

Erstinstanzlich war dem Antrag der Genehmigungsinhaberin auf Anordnung der sofortigen Vollziehung der ihr erteilten Genehmigung im Wesentlichen deswegen stattgegeben worden, weil die beigeladene Nachbarin mit ihren – im Genehmigungsverfahren verspätet bzw. nicht vorgebrachten – Einwendungen betreffend Geruchsimmissionen und Gesundheitsgefahren durch Bioaerosole gemäß § 10 Abs. 3 Satz 5 BImSchG ausgeschlossen („präkludiert“) war.

 

Unter Berufung auf die Entscheidung des EuGH vom 15.10.2015 begehrte die Beigeladene vor dem OVG NRW die Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung mit dem Argument, § 10 Abs. 3 Satz 5 BImSchG sei unionsrechtswidrig und daher nicht mehr anzuwenden.

 

Das OVG NRW ist dieser Auffassung gefolgt. Gemäß § 80 Abs. 7 der Verwaltungsgerichtsordnung sei auch eine nachträgliche Änderung höchstrichterlicher Rechtsprechung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes zu berücksichtigen.

 

Auch ohne eine erneute Befassung des EuGH steht aus Sicht des OVG NRW außer Zweifel, dass § 10 Abs. 3 Satz 5 BImSchG unionsrechtswidrig und unanwendbar ist, soweit es um die Zulassung von Vorhaben geht, die in den Anwendungsbereich der Industrieemissions-Richtlinie oder der UVP-Richtlinie fallen. Zwar betreffe die Entscheidung des EuGH vom 15.10.2015 alleine die Präklusionsregelungen in § 2 Abs. 3 UmwRG und § 73 Abs. 4 VwVfG. Dass sich der EuGH in seiner Entscheidung zu der inhaltsgleichen Regelung des § 10 Abs. 3 Satz 5 BImSchG nicht geäußert habe, sei allein dem Streitgegenstand des Vertragsverletzungsverfahrens geschuldet. Die Erwägungen des EuGH, dass § 2 Abs. 3 UmwRG und § 73 Abs. 4 VwVfG besondere Bedingungen aufstellten, die die gerichtliche Kontrolle einschränkten und die weder nach Artikel 11 UVP-Richtlinie noch nach Artikel 25 Industrieemissions-Richtlinie vorgesehen und daher unionsrechtswidrig seien, träfen indes in gleicher Weise auf § 10 Abs. 3 Satz 5 BImSchG zu.

 

Deswegen war die beigeladene Nachbarin der BImSchG-genehmigten Anlage zur Aufzucht und zum Halten von Mastschweinen vor dem OVG NRW mit ihrem Vorbringen zu unzulässigen Geruchsimmissionen und Gesundheitsgefahren zu Bioaerosole nunmehr zu hören. Allerdings konnte sie mit diesem Vorbingen in der Sache nicht durchdringen, weil bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung nach Auffassung des OVG NRW nichts dafür erkennbar war, dass die angegriffene BImSchG-Genehmigung die beigeladene Nachbarin wegen unzulässiger Geruchsimmissionen oder Gesundheitsgefahren durch Bioaerosole in ihren Rechten verletzt.

 

Sollte sich die rechtliche Einschätzung des OVG NRW zur Unionsrechtswidrigkeit des § 10 Abs. 3 Satz 5 BImSchG durchsetzen, hätte dies zur Folge, dass Träger von Vorhaben, die unter die Industrieemissionsrichtlinie und/oder die UVP-Richtlinie fallen, nicht mehr darauf vertrauen können, die ihnen erteilte Zulassung/Genehmigung werde vor dem Verwaltungsgericht Bestand haben, weil der Einwender, der gegen sie klagt, mit seinen – in der Sache möglicherweise zutreffenden – Einwendungen gegen die Rechtmäßigkeit der Zulassung /Genehmigung präkludiert sei und daher insoweit vor Gericht nicht mehr gehört werde.

 

 

Quelle: Köhler & Klett Rechtsanwälte

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